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MACERATA/ Galleria dell’Accademia di Belle Arti di Macerata: „Trasguardi“ – Eine Ausstellung über die Sinnlichkeit des lebendigen Theaters in der Bühnenphotographie von Clarissa Lapolla

20.08.2024 | Ausstellungen

„Trasguardi“ – Eine Ausstellung über die Sinnlichkeit des lebendigen Theaters in der Bühnenphotographie von Clarissa Lapolla

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Clarissa Lapolla

Kaum eine Kunstform vermag es, alle Sinne so anzusprechen wie die Oper. Auditiv, visuell und sogar olfaktorisch gelingt es ihr, grandiose Momente zu schaffen, zu bewegen, Gänsehaut zu erzeugen und manchmal sogar jene Katharsis, die das antike griechische Drama stets erzielen wollte. Historisch wurde dabei auch stets die Frage diskutiert, ob nun die Musik oder das Wort den Primat innehaben – Prima la musica e poi le parole? Insbesondere in der Zusammenarbeit von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal kumulierte diese Frage zu einem außergewöhnlichen Klimax des gemeinsamen Schaffens, denn letztlich war die Frage irrelevant, arbeiteten doch beide, Musik wie Wort, in der Oper stets zusammen. Im Ergebnis erzeugte die Operngeschichte gemeinsam mit den bildenden Künsten oftmals atemberaubende Produktionen, die uns in andere Welten entführten und das gesamte Spektrum menschlichen Fühlens und Erlebens abzubilden vermochten. Exemplarisch seien hier Produktionen wie „La Giocanda“, die in einer Fassung aus ihrer Entstehungszeit bis Februar 2024 an der Deutschen Oper Berlin gezeigt wurde, Margarete Wallmanns „Tosca“ aus dem Jahr 1958 oder Otto Schenks „Der Rosenkavalier“ aus dem Jahr 1968 an der Wiener Staatsoper, sowie Franco Zeffirellis „La Bohème“ aus dem Jahr 1963 für die Scala und natürlich auch seine „Turandot“ für die MET aus dem Jahr 1987 genannt. Interessanterweise entstand historisch gesehen nie eine Diskussion, ob nicht vielleicht auch das Bild und die Inszenierung den Primat vor Musik und Wort innehaben sollten. Stets folgte das Bühnenbild der durch Musik und Libretto festgelegten Deutung des Werks.

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„Salome“, Teatro Petruzzelli, Bari, Premiere am 24. Februar 2023

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„Arianna a Nasso“ (Ariadne auf Naxos, ital. Fassung), Festival della valle d’Itria, Martina Franca, Premiere am 21.07.2020 

Erst mit den 68ern machten sich in Frankreich und im deutschprachigen Raum jene Regisseure breit, deren Konzept des Regietheaters zunächst vom Spieltheater kommend eine bewusste Dekonstruktion der Werke und ihrer Lesarten durchsetzen wollte. Unter dem Vorwand der „Modernisierung“ begann so eine zunehmende Aushöhlung von Theaterstücken, die es dem Regietheater ermöglichte, den Werken völlig fremde Deutungen überzustülpen und so zumeist gesellschaftspolitische Agenden zu propagieren. Im Laufe des erfolgreichen „Marschs durch die Institutionen“ jener 68er wurden dann zunehmend auch Intendanzen französischer und deutscher Theater mit Protagonisten des Regietheaters besetzt, später folgend dann ebenso in Österreich. Als im Ergebnis zunehmend das Publikum ausblieb, da das Interesse an belehrenden Theaterabenden überschaubar blieb, stürzte dies einerseits die Spieltheater in die Krise. Andererseits begannen die Protagonisten des Regietheaters damit, auf die Oper überzugreifen und verlagerten den von ihnen initiierten Kulturkampf auch in die Musiktheater. Heute haben es sich zahlreiche Protagonisten des Regietheaters an den großen Opernhäuserm in Frankreich, Deutschland und Österreich komfortabel eingerichtet, beispielhaft seien hier Paris, München und Wien genannt. Es ist keine Überraschung, dass jenes Konzept des Regietheaters noch weniger an den Opernhäusern funktioniert, da es zumeist jeder Sinnlichkeit entsagt und somit einen wesentlichen Charakterzug der Oper schlicht auslöscht. Auslastungen von unter 25% wie beispielsweise an der Staatsoper Hamburg sind das Resultat. Als Reaktion ist dann häufig die Rede davon, dass die Oper eine verstaubte, zu modernisierende Kunstform sei, die man nur durch zunehmende Ideologisierung für ein junges Publikum attraktiv machen müsse, um sie als Kunstform zu retten, am Regietheater könne es aber keinesfalls liegen wer das nicht verstehe sei intellektuell eben nicht ausreichend gebildet.

Dass eine Veränderung oder gar Politisierung von existierenden Opern und ihren Libretti genauso lästig und vollkommen unnötig ist, liegt auf der Hand. Und tatsächlich beweist ein Blick nach Italien immer wieder, dass zeitgenössische Inszenierung von Opern möglich ist, ohne die Werke zu entfremden oder dekonstruieren zu müssen. Im Gegenteil, im Land von Puccini, Verdi, Rossini und Donizetti entstehen kontinuierlich ästhetisch herausragende Gesamtkunstwerke, in der die volle Bandbreite der gewählten Darstellung von Minimalismus zu völliger Opulenz zu erleben ist und die so der Kunstform Oper als holistisches Kunstwerk nicht nur Tribut zollen. Vielmehr wird genau so die Oper lebendig gehalten und weiterentwickelt.

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„La Bohème“, Teatro Petruzzelli, Bari, Premiere am 21.12.2023

Dieses anspruchsvolle Schaffen auf den Bühnen Italiens zu dokumentieren, hat sich die Bühnenphotographin Clarissa Lapolla zum Ziel gemacht. Nach ihrem Studium an der Accademia del Teatro alla Scala kehrte sie 2014 zurück in ihre Heimat Apulien und wirkt seitdem von Bari aus. Einerseits ist sie ständige Photographin des Teatro Petruzzelli, als auch des Festival della Valle d’Itria und der Camerata Musicale Barese und begleitet das dortige künstlerische Schaffen. Dazu kamen in der Vergangenheit Arbeiten am Teatro Stabile in Turin, dem Newport Dance Festival in Rhode Island oder dem Premio Roma Danza. Auch gestaltete sie die Plattencover für Franco Fagiolis „Anime Immortali“ und Javier Camarenas „Signor Gaetano“. Dabei wirft Frau Lapolla ihren Blick der Kamera nicht nur auf die Oper als Gesamtkunstwerk, sondern auch all ihre einzelnen Bestandteile, seien es Tanz, seien es Details im Bühnenbild oder die Menschen, die hinter den dargestellten Charakteren verschwinden oder in ihnen aufgehen.

Ausgewählte Werke von Clarissa Lapolla sind nun in Macerata in der Galleria dell’Accademia di Belle Arti unter dem Titel passenden „Trasguardi“ ausgestellt. Gezeigt werden dort „Bilder, die einen Ausschnitt des Lebens erzählen, eine Geschichte innerhalb einer Geschichte, aber auch ein Eintauchen in Bewegung und Licht“. Dabei zeugen ihre Aufnahmen von der Vergänglichkeit des Dargestellten, da jeder Moment stets einzigartig ist und nie repetitiv sein kann. Es ist diese Einzigartigkeit, die im Fokus von Clarissa Lapollas Werken steht und die sie herausarbeitet, indem sie in die Dunkelheit um die Bühne herum eintaucht, um das Dargestellte zu isolieren und in den Fokus der Betrachtung zu stellen. Die dadurch ausgesprochene Einladung an den Betrachter ist dabei nicht nur eine zum Betrachten des einzelnen Motivs. Gleichzeitig werden Details herausgestellt, sozusagen ausgeleuchtet und so zur Beweglichkeit erweckt. Und wo Bewegung ist, ist Interaktion, mit einem Mal entstehen Dialoge zwischen ihren Bildern, zwischen verschiedenen Opern als auch Balletten und eine Reise in die Welt des Theaters beginnt, führt uns mit dem Tageslicht von Aussen erst in das Theater hinein, wo das Licht gedimmt wird, dann nur noch auf der Bühne vorhanden ist und über die Menschen des Theaters hin in seine innerste Seele führt. Eben zu genau dem, was das Theater ausmacht und lebendig hält.

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13. Internationales Ballett Festival DANCE OPEN, 23.-28. April 2014, St. Petersburg

Eine bemerkenswerte Ausstellung über das Schaffen einer bemerkenswerten Künstlerin, deren Arbeit die den auf der Bühne gezeigten Werken innewohnende Ästhetik herausstreicht und nicht nur als Zeugnis des Theaters in Italien zu sehen ist. Sie spricht eben all unsere Sinne an, lässt uns teilhaben an jenem aufwühlendem, katharsischem Geschehen und gibt uns so die Möglichkeit, den Kern und Sinn von jeder Art des Bühnenschaffens, seien es Spieltheater, Ballett oder Oper wiederzufinden und neu zu verstehen. Fernab von jeder Ideologie, Verfälschung oder Umdeutung, dafür aber ganz nah an Herz und Leben.

„Trasguardi“ – Clarissa Lapolla e il teatro
19 Juni – 3 Oktober 2024
Galleria dell’Accademia di Belle Arti di Macerata (GABA.MC),
Piazza Vittorio Veneto 7
62100 Macerata
Italien

 

 

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