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LYON: RODELINDA von G.F.Händel

23.12.2018 | Oper


Copyright: Jean-Pierre Maurin

Lyon: „RODELINDA“– Opéra 21.12.2018

 Die Opern Georg Friedrich Händels stellen für jeden Regisseur eine große Herausforderung dar. Nicht nur, dass eine große Anzahl aneinandergereihter, langer da-capo-Arien mit Leben erfüllt werden müssen, sollte die verworrene und oftmals abstruse Handlung einigermaßen glaubhaft auf der Bühne für ein heutiges Publikum in Szene gesetzt werden. Einige Regisseure retten sich damit, indem sie das Ganze nicht ernst nehmen und als Opernparodie auf die Bühne bringen. Andere Regisseure nehmen die Handlung wiederum zu ernst und verbreiten damit nur Langeweile. Und ganz, ganz selten gelingt es einem Regisseur tatsächlich zum Kern der Opernhandlung vorzustoßen und die verworrene Handlung wie einen gordischen Knoten zu lösen und alle Facetten offenzulegen. Dieses große Kunststück ist in ganz wunderbarer Weise Claus Guth in seiner „Rodelinda“-Inszenierung gelungen, die bereits am Teatro Real in Madrid zu sehen war und nun, vor ihrer Weiterfahrt nach Barcelona und Frankfurt, in Lyon zu sehen ist.

Händel hat „Rodelinda“ unmittelbar nach seinen Meisterwerken „Giulio Cesare in Egitto“ und „Tamerlano“ komponiert, das Libretto verfasste ebenso wie bei den beiden vorangegangenen Opern Nicola Francesco Haym. Dabei handelt es sich nicht um ein Originallibretto, sondern Haym griff – wie das eben zu Zeiten, in denen es noch kein Copyright gab – auf ein Libretto von Antonio Salvi zurück. Dieses wurde mit der Musik von Giacomo Antonio Perti 1710 am Hofe der Medici in Florenz uraufgeführt. Salvis Libretto wiederum beruht auf einer Tragödie Corneilles sowie auf dem historischen Bericht des Geschichtsschreibers Diaconus. Die Uraufführung von Händels Oper fand am 13. Februar 1725 am King’sTheatre am Londoner Haymarket statt. Die Oper war einer der erfolgreichsten Werke zu Händels Lebzeiten, nicht nur, aber auch wegen der illustren Besetzung, zu der u.a. die große Sopranistin Francesca Cucconi als Rodelinda und der weltberühmte Kastrat Senesino in der Partie des Bertarido gehörten.

Nur kurz zur Handlung der Oper: Der langobardische Thron wurde von Grimoaldo erobert, wobei der legitime Erbe Bertarido flüchtete und seine Frau Rodelinda und seinen Sohn Flavio zurückließ. Grimoaldo, der Bertaridos Schwester Eduige versprochen war, will nun stattdessen Rodelinda heiraten, mit dem Ziel, die Macht an sich zu reißen, aber die Königin weist ihn ab und beweint ihren Gatten, den sie für tot hält. Garibaldo, Fürst von Turin, stiftet Grimoaldo an, die Verlobung mit Eduige zu brechen, womit er selbst nun ihr den Hof machen kann, die als Schwester des Königs ebenso den Thron beanspruchen kann. Garibaldo droht Rodelinda an, ihren Sohn zu töten, wenn sie nicht zustimme, Grimoaldo zu heiraten. Bertarido kehrt verkleidet an den Hof von Mailand zurück. Als er und Rodelinda sich in die Arme fallen, werden sie von Grimoaldo überrascht, der den zurückgekehrten König nicht erkennt. Er lässt den vermeintlichen Nebenbuhler in den Kerker werfen und verurteilt ihn zum Tode. Eduige befreit ihren Bruder aus dem Gefängnis, der gerade noch rechtzeitig verhindern kann, dass Garibaldo den schlafenden Grimoaldo ermordet. Grimoaldo heiratet Eduige, während Bertarido und Rodelinda wieder glücklich vereint sind.

Claus Guth hat nun diese Geschichte um Liebe, Treue, Verrat, Totschlag und Macht in der Gegenwart angesiedelt und als große Familienauseinandersetzung inszeniert, wobei er sich hier auch noch eines großen Tricks bedient. Er lässt die Geschichte aus der Sicht des Kindes Flavio erzählen, der durch die Mordanschläge und sonstigen Beziehungsprobleme schwerstens traumatisiert ist. Und durch diese Sichtweise geschieht etwas Unerwartetes: die verworrene Handlung und die komplizierten Beziehungen der Personen unter- und zueinander erscheinen aus der kindlichen Perspektive auf einmal ganz klar und plausibel. Bereits während der Ouvertüre wird Flavio Zeuge, wie Grimoaldowährend eines festlichen Dinners einen Mordanschlag aufdas Familienoberhaupt (König Bertarido)verübt, um so selbst die Vormachtstellung in der Familie zu übernehmen. Diese Vorgeschichte wird ganz deutlich in Zeitlupe gezeigt. Als der blutende Bertarido aus dem Zimmer gezerrt wird, ist jedoch unklar, ob er tot oder nur verletzt ist. Flavio wird nicht nur von den realen Personen der Handlung bedroht, er sieht als Einziger diese Menschen auch als bedrohliche Gespenster mit Riesenköpfen, die ihn durch das Haus verfolgen. Während alle um die Krone kämpfen, die eigentlich nach Bertaridos Tod Flavio zustehen würde, muss der Junge ständig um sein Leben fürchten und versucht seine Ängste und Traumata durch Zeichnen zu verarbeiten. Und seine düsteren Zeichnungen werden auch für die Zuseher sichtbar eingeblendet. Als im Finale der Bösewicht Garibaldo tot am Boden liegt und alle anderen ein scheinbares Happy-End besingen, wird Flavio von den mit Messern bewaffneten Gespenstern durch das Haus gejagt. Wenn der Junge am Ende angsterfüllt einen stummen Schrei ausstößt, dann läuft es einem schon kalt über den Rücken. Der Kampf um die Krone und das Morden wird weitergehen.

Christian Schmidt, der nicht nur für die eleganten Kostüme der Gegenwart sondern auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, stellt ein ganzes weißes Haus auf die Drehbühne. Auf einer Seite sieht man im Erdgeschoß das Esszimmer und darüber das Schlafzimmer Rodelindas, auf der anderen Seite sieht man das Treppenhaus, das zu den einzelnen Zimmern führt (und das frappant an das Treppenhaus der Guth-Inszenierung von Mozarts „Le nozze di Figaro“ bei den Salzburger Festspielen erinnert), und dann sieht man auch gelegentlich die Vorderansicht des Hauses.

Die musikalische Leitung lag in den Händen von Stefano Montanari, der gemeinsam mit dem bestens disponierten Orchestre de l‘Opéra de Lyon bewies, dass man Barockopern nicht unbedingt mit Spezialorchestern spielen muss. Sabina Puértolas sang ihre Arien so seelenvoll, so berührend, dass man über den kleinen Einwand hinwegsehen konnte, dass man für die Titelpartie eigentlich eine Sopranistin mit mehr Stimmvolumen erwarten würde. Xavier Sabata war eine gute Alternativbesetzung des Bertarido (die Premiere sang Lawrence Zazzo) mit perfekt perlenden Koloraturen und Krystian Adammit seinem warmen, lyrischen Tenor ein ausdrucksstarker Grimoaldo. Eine große Entdeckung war Avery Amereau mit ihrer schön timbrierten Alt-Stimme als Eduige.Christopher Ainslie war mit seiner weichen Countertenor-Stimme eine gute Besetzung des treuen Unulfo. Jean-Sébastien Bou war in der Rolle des Bösewichts Garibaldo zwar auf der Bühne sehr persönlichkeitsstark, aber seine harte Baritonstimme eignet sich nicht unbedingtfür Barockmusik. Eine unglaublich starke Leistung vollbrachte der kleinwüchsige Schauspieler Fabián Augusto Gómez Bohórquez in der stummen Rolle des Flavio; den ganzen Abend über dachte man, dass hier tatsächlich ein Kind auf der Bühne stehen würde.

Nach vier Stunden Aufführungsdauer, in der keinen Moment lang Langeweile aufkam, feierte das begeisterte Publikum das Ensemble mit lang anhaltendem Applaus. Wie vor einem Jahr mit der wundervollen Herheim-Inszenierung von Rossinis „La Cenerentola“ hat Intendant Serge Dorny nun mit dieser Produktion auch in diesem Jahr seinem Publikum ein schönes Weihnachtsgeschenk bereitet.

 Walter Nowotny

 

 

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