Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

LYON/ Opéra: DIE GEZEICHNETEN von Franz Schreker

27.03.2015 | Oper

LYON/ Opéra : DIE GEZEICHNETEN von Franz Schreker am 26.3.2015

 aviano
Alviano und die verlorene Jugend Genuas. Copyright: Opéra de Lyon

Franz Schreker(1978 – 1934) war zu Lebzeiten einer der erfolgreichsten Komponisten überhaupt, erfolgreicher z.B. auch als Richard Strauss, dessen Ruhm ihn mittlerweile überlebt hat. Denn Schreker wurde von den Nazis aufgrund seiner jüdischen Herkunft verfemt und starb  an einem Herzinfarkt(=an gebrochenem Herzen) ein Jahr nach ihrer Machtübernahme.

In den Siebziger begann eine Art von Wiederentdeckung dieser „entarteten Musik“, die – mit großen Intervallen – bis heute anhält. Seine Oper „Die Gezeichneten“ wurde z.B. zuletzt 2005 in Salzburg und 2011 in Palermo aufgeführt. Jetzt kam es in Lyon zu ihrer französischen Uraufführung (!).

Schrekers Meisterwerk erlebte seine Premiere 1918 in Frankfurt und beruht auf einem von ihm selbst verfassten Libretto.

Der reiche, aber extrem hässliche Adelige Alviano hat der Liebe entsagt und stattdessen vor der Küste Genuas die ideale Insel der Schönheit „Elysium“ entstehen lassen. Diese wird allerdings von der einheimischen Jeunesse dorée für Orgien mit entführten und vergewaltigten Mädchen missbraucht. Daraufhin beschließt der sich schuldig fühlende Urheber des Geschehens, diesen geheimen Ort dem Volk zu schenken und für alle zugänglich zu machen. Gleichzeitig verliebt sich zu seinem Entsetzen die herzkranke Malerin Carlotta in ihn und will „seine Seele“ portraitieren. Nach Fertigstellung des Bildnisses ist es jedoch aus mit der Liebe zu seiner „Seele“ und sie gibt sich in der Elysischen Lusthöhle lieber dem Körper des jungen und feschen Playboys Tamare hin. Daraufhin ersticht ihn der Betrogene und Verlassene, Carlotta stirbt aus Kummer auf der Stelle und Alviano wird wahnsinnig.

Schrekers – besonders in der Orchestrierung – geniale Musik oszilliert zwischen Spätomantik, Jugendstil und Dekadenz und zeichnet sich gegenüber seinen Post-Wagnerianischen Zeitgenossen durch eine stärkere, „italienischere“ Betonung der Melodik gegenüber der Harmonik aus.

FotJPG
Carlotta will Hände malen. Foto: Opéra de Lyon

Die Besetzung in Lyon ist nicht anders als erstklassig zu nennen. An allervorderster Stelle Charles Workman als Alviano. Der in Europa zuerst als Rossini-Tenor bekannt gewordene Amerikaner zeichnet ein ungemein präzises Portrait dieser gequälten ambivalenten – innerlich schönen, äußerlich hässlichen –  Kreatur. Und das mit jeder Faser seines Körpers und in jedem Augenblick seiner Präsenz auf der Bühne – auch dann, wenn er „nicht dran ist“, wenn er nicht singt, sondern nur zuhört. Eine der bewunderungswürdigsten  Sängerdarsteller-Leistungen der letzten Zeit. Ihm kaum nachstehend Magdalena Anna Hofmann als die gegen bürgerliche Konventionen rebellierende Malerin Carlotta, Simon als der sich letztendlich zur Liebe bekehrende Schnösel/Lüstling Tamare, aber auch Markus Marquardt als Herzog Adorno(!). Noch besonders erwähnens- und lobenswert: die absolute Textdeutlichkeit aller Mitwirkenden.

Falko Herold hat eine schwarze,verbrannte Endzeitlandschaft auf die Bühne gestellt, die sehr geschickt durch Hinzufügung einzelner Elemente und großartiger Hintergrundproduktionen in die verschiedenen Spielorte (Palast, Atelier, Insel) verwandelt wird.

David Bösch führt sein Ensemble mit großer Liebe und großer Genauigkeit, und der argentinische Dirigent Alejo Pérez bringt gemeinsam mit dem Orchestre de l’Opéra de Lyon diese anspruchsvollste Partitur zum Flirren und Glühen.

Foto
Carlotta wird begrapscht. Copyright: Opéra de Lyon

Auch wenn man nicht immer durch den dichten und widersprüchlichen Metaphern- und Symboldschungel sowohl des Werks selbst als auch der Inszenierung durchsteigt, ist die Begegnung mit dieser mustergültigen „Gezeichneten“-Produktion(der man wirklich wünscht, an anderen Häusern nachgespielt zu werden) dennoch überwältigend, vom Anfang bis zum Ende.

Und das Schlussbild, in dem sich der verzweifelte und wahnsinnig gewordene „Krüppel“ zu den in seiner Lusthöhle(die allerdings mehr einem Kampuschschen Folterkeller ähnelt) missbrauchten und getöteten Mädchen legt, ist so zutiefst erschütternd, dass es einen schaudert.

 Robert Quitta, Lyon

 

 

 

Diese Seite drucken