Luzern/Theater Luzern: Salome – Grosse Oper in kleinem Haus
Besprochene Vorstellung vom 30.01.2020
Die Faszination um die Musik von Richard Strauss lässt sich auch in kleineren Theatern der Welt wiederfinden, welche mit viel Können seine teilweise monströsen Werke auf die Bühne bringen und den grösseren Opernhäusern in Nichts nachstehen. Die Salome von Richard Strauss ist sicherlich nicht nur auf Grund des eigentlich über 100-köpfigem Orchester eine monströse Angelegenheit, sondern auch wegen der höllisch schweren Partie der Protagonistin und mancher Nebenrolle. So hat sich auch das Luzerner Theater ebenfalls der Aufgabe gestellt, das biblische Drama zum Erklingen zu bringen und macht dabei Vieles richtig. Es gibt allerdings auch ein paar Störfaktoren, welche berücksichtigt werden müssen.
Dass im Luzerner Orchestergraben keine 100 Musiker sitzen, versteht sich aus Platzgründen von selbst. Das Theater hat sich deswegen für die von Strauss selbst angefertigte reduzierte Orchesterfassung entschieden. Zudem sitzt der Grossteil der Perkussion nicht im Graben, sondern in den Seitenlogen. Die Zuschauer in der ersten Reihe ganz links oder rechts müssen jedoch keine Angst haben, von den Trommeln erschlagen zu werden, da sich die Musiker sehr zurücknehmen. Als sehr ausgewogen lässt sich im Generellen der Klang des Luzerner Sinfonieorchesters beschreiben. Unter der Leitung von Clemens Heil flimmert und sprüht die Musik des vielschichtigen Werkes, trotz der reduzierten Orchesterfassung. Heil dirigiert sehr schlank, gibt klare Einsätze für die Aufführenden und schafft es, eine mystische Atmosphäre zu kreieren, die in den Bann zieht. Er hat das Orchester gut im Griff. Es gibt nur wenige Stellen, an denen die Dynamik überbordet. Das hat allerdings mehr mit der Raumbeschaffenheit des Theaters, als mit der Interpretation des Dirigenten zu tun. Hin und wieder merkt man jedoch, dass das Orchester an seine Grenzen kommt, was sich durch rhythmische Unsicherheiten und verwaschenen Phrasen erkennbar macht.
Gesanglich hält der Abend positive, als auch negative Überraschungen bereit. Ein Gemurmel geht durch die Reihen, als die Salome (Heather Engebretson) als erkältet angekündigt wird. Erleichterung breitet sich aus, als es heisst, dass Engebretson trotzdem singen wird. Von ihrer Erkältung ist nicht viel zu hören. Ganz im Gegenteil. Sie kann ihre kraftvolle Stimme scheinbar mühelos entfalten und begeistert mit feinsten Piani. In den sehr hohen Passagen übt sie jedoch sehr viel Druck auf die Stimme aus, was zur Folge hat, dass sie manchmal eine Spur zu hoch singt. Die anspruchsvollen letzten 15 Minuten der Oper, in denen Salome komplett den Verstand verliert und sich mit dem Kopf des Jochanaan vergnügt, scheinen die Sängerin sehr zu fordern. Es ist ihr nicht mehr möglich, sehr differenziert zu singen und wirkt daher sehr laut. Aus darstellerischer Sicht überzeugt sie jedoch diskussionslos. Stimmgewaltig ist ebenfalls der amerikanische Bariton Jason Cox, welcher in der Rolle des Propheten Jochanaan auf der Bühne steht. Auch er hat keine Mühe seine kräftige Stimme zu präsentieren und ist auch eher zu laut als zu leise. Das hat jedoch inszenatorische Gründe, da er sämtliche Passagen auf der Bühne singt, anstatt aus dem «Brunnen», in welchem er eingesperrt sein sollte. Sehr löblich ist seine saubere Diktion und die ebenfalls grandiose Darstellung. Robert Maszl singt die anspruchsvolle Partie des Offiziers Narraboth und ausserdem die nicht minder knifflige Passage des ersten Juden. Er überzeugt stimmlich am meisten an dem Abend und klingt stets entspannt und brilliert durch eine hervorragende Technik auch in den hohen Lagen. Zum Dahinschmelzen schön gelingt ihm den Einstieg der Oper, in der er die Schönheit Salomes besingt. Als bitterböse Herodias steht Solenn` Lavanant Linke auf der Bühne. Stimmlich meistert sie die Partie mühelos und zieht durch ihr stilisiertes Äusseres die Blicke der Zuschauer auf sich. Man assoziiert sofort einen Zusammenhang mit der bösen Schwiegermutter aus Cinderella oder der Königin aus Schneewittchen. Als ungewöhnlich muss man die Besetzung des Herodes bezeichnen. Der Bariton und Schauspieler Hubert Wild singt die überaus anspruchsvolle Rolle des Tetrarchen, die für einen Charakter-TENOR komponiert wurde. Die Partie ist einem Bariton viel zu hoch und eigentlich nicht singbar. Wild spielt daher die Rolle eher als er sie singt. Das tut er herausragend und begeistert mit einer intelligenten Analyse der Rolle, ohne sie zu klischeehaft darzustellen. Käme da nicht die Musik dazu. Er singt die hohen Passagen mit seinen stimmlichen Möglichkeiten trotzdem aus, was ihn aber nicht mehr hörbar macht. Und tatsächlich wird er leider die meiste Zeit vom Orchester überdeckt, da seine Kopfstimme nicht gegen die Kraft aus dem Graben ankommt. Das ist sicherlich für Wild selbst eine Zumutung, als auch für das Publikum. Es ist bis zum Schluss fraglich, weshalb kein Tenor für die Rolle besetzt wurde.
Die Inszenierung ist zu Beginn spannend, wird aber im Laufe des Stückes anstrengend. Als grossartig ist die Personenführung des Regisseurs Herbert Fritsch. Jede Rolle ist klug durchdacht und nachvollziehbar. Besonders die Besetzung der Salome ist schon wegen ihrer kleinen Körpergrösse speziell, da sie durch das Kostüm wie ein kleines Mädchen wirkt, aus dessen Augen die Handlung gezeigt wird. So läuft einem mancher Schauer über den Rücken, wenn man sieht, wie sich das «Mädchen» dem kontroversen Geschehen und ihren sexuellen Gelüsten hingibt. Allerdings zieht sich eine lebhafte Physis der Rollen durch die gesamte Inszenierung, welche oft von der Musik ablenkt. So hüpft und rennt die kleine Salome ständig von einem Punkt der Bühne zum anderen und fällt dabei fast vom nicht gesicherten Goldthron. Das ist manchmal zu viel des Guten und anstrengend für die Sängerin, als auch für das Publikum. So ergeht es sämtlichen Rollen mit Ausnahme des Jochanaan. Letztlich hat die Inszenierung Hand und Fuss und das Konzept ist bis zum Ende durchdacht. Der Tanz der Sieben Schleier ist choreographisch ein «Wurf» und man muss Fritsch ebenfalls loben, dass er den Blutrauschorgasmus am Ende der Oper nicht zu einer Blutorgie gemacht hat. Die Handlung ist nur angedeutet und das eigentliche Geschehnis ist in der Musik selbst zu hören.
Die Szenerie ist märchenhaft, jedoch schlicht und einfach. In dem blauen Bühnenboden, auf dem sich lediglich zwei glänzende Throne aus Gold befinden, spiegelt sich der weisse Mond, welcher sich am Ende blutrot färbt. Für das ansprechende Bühnenbild zeigen sich Herbert Fritsch und Marco Brehme verantwortlich. Ein Hingucker sind die stilisierten und aufwändigen Kostüme von Victoria Behr. Sie persifliert anhand der Kostüme die psychische Verfassung der gestörten Charaktere auf wunderbare Weise. Die Lichtregie von David Hedinger-Wohnlich ist sehr stimmig und fügt sich hervorragend in die Szenerie ein.
Die Luzerner Salome überzeugt nicht in allen Belangen. Trotzdem ist sie musikalisch auf einem hohen Niveau und die Inszenierung bietet schöne und interessante Momente. Es ist bewundernswert was das Luzerner Theater zu stemmen vermag und es bleibt zu hoffen, dass vermehrt kleinere Häuser ein Risiko eingehen und sich solchen Aufgaben annehmen.
Philipp Borghesi und Michael Hug