Dschungel, Szenenbild mit dem Sohn des roten Barons ©Ingo Hoehn
LUZERN/ Theater: DSCHUNGEL – Brassopera von Manuel Renglli- Uraufführung
Am 8. Februar 2020 feierte die Uraufführung der Brassoper „Dschungel“ im Luzerner Theater ihre umjubelte Premiere und am 14. Februar gab es die zweite Vorstellung, die ich mir für die Beurteilung des Werkes noch unbedingt einmal anhören musste. In der Einführung wurde dem Publikum ein „Novum“ der ersten „Brassoper“ versprochen, dass dieser Klassifizierung nicht statthält. Braucht gute Musik zwingend ein einschnürendes Korsett? Für mich gibt es nur gute oder schlechte Musik! Schreckt nicht vielleicht auch die Bezeichnung einen Teil des potentiellen Publikums ab?
Dem junge Schweizer Komponist Manuel Renggli vertraute das Luzerner Theater die Vertonung der Erzählung des Berner Schriftstellers Michael Fehr an. Eine weitere Vorgabe folgte, denn das Stück sollte nicht von einem Sinfonieorchester, sondern von einem Brass Orchester begleitet werden. Nicht von irgendeinem sondern von der Brass Band Bürgermusik Luzern, die schon seit den „Zwanziger Jahren“ besteht und kein bestehendes Berufsorchester ist, was aber zu keinem Zeitpunkt irgendwie negativ auffiel. Schon vorab kann ich hier nur Michael Bach, dem Dirigenten des Dschungels und musikalischer Leiter eben dieser Brass Band, beglückwünschen, wie großartig er das Werk einstudierte und welche Klangfarben er aus seinem Orchester herausholte. Den Sonderapplaus des Luzerner Premierenpublikum hat er sich redlich mit der Brass Band verdient.
Michael Fehr, ein Schweizer Wortkünstler, schrieb nach einem Aufenthalt in Indien eine Geschichte, die man nur als fantastisch beschreiben kann. Ohne zu moralisieren setzt er sein Geschehen an Ort des Nirgendswo, wo dieser Ort mit dem Dschungel in Konkurrenz steht. Man kann durchaus hier auch den heutigen Konflikt sehen, den die Menschheit mit der Natur hat. Erzählerisch und Raum für die eigenen Gedanken und Interpretation machen diese Erzählung so spannend und interessant für jeden.
Mit einem Erzähler (Walter Sigi Arnold), der auch gleichzeitig die Rolle eines Panthers hat, führt mehr erzählerisch als katzenartig klar durch die Geschichte. Er ist kein Sänger und versucht auch nicht zu singen. Die klare Diktion seiner Stimmer geht tief in das Ohr des Publikums.
Titelfigur ist Brahma (Nina Langensand), auch eine Schauspielerin, die nicht singt. Brahma lebt in der Gosse der braun/roten Stadt ohne Vater und mit einer alkoholabhängigen Mutter, die sich nicht um Brahma kümmern kann.
Brahma vorne, Raja hinten ©Ingo Hoehn
Bevor ich die Erzählung fortsetzen möchte, muss ich auf die Bühne eingehen, die von Simon Sramek gestaltet wurde und uns in eine märchenhafte, reduzierte und farbenprächtige Welt entführt. Ergänzt wird dieser Eindruck durch ebenso eindrucksvolle Kostüme von Birgit Künzler, die auch noch produziert wurden. Diese traumhafte teilweise wahnhafte Reise durch Brahmas Welt verdanken wir der Inszenierung von Tom Ryser.
Nun begleiten sie mich weiter durch das Stück. Es kommt zu einer auseinandersetzen zwischen der in braun gekleideten und etwas ärmlich zerlumpten Brahma und Raja ihrer Mutter (Rebecca Krynski Cox), die überwiegend in roter Kleidung überzeugend darstellt, dass sie ihrer Sucht zufolge nicht mehr in der Lage ist sich körperlich koordiniert zu bewegen. Selbst ihren Gesang lässt sie mit starkem Vibrato und schwankendem Stimmsitz fast lallend anmuten. Sie fordert von Ihrer Tochter Dankbarkeit und Alkohol, wobei Brahma nur essen möchte. Mit diesem Hungergefühl macht sich Brahma auf durch die Stadt. Die Dynamik der Stadt wird von der Brass Band sehr eindrucksvoll musikalisch ausgemalt, wobei sie in einem fast komplett bedeckten Orchestergraben sitz. Der Druck der Instrumente muss dort wohl an die Schmerzgrenze gehen. Im Zuschauerraum entsteht ein urbanes Klanggefüge, das die Hektik jedem nahebringt. In diesem Treiben sieht sie eine Gruppe junger Leute, die sich um einen exponieren Sohn des roten Barons (Jason Cox) sammeln. Brahma sieht nur rote und verführerische Kügelchen und schlägt sie dem Sohn aus der Hand, um ihren Hunger zu stillen. Sie werden es ahnen, es sind keine Bonbons sonder Drogen und der Sohn ist wenig erfreut, dass Brahma gleich viele davon verschluckt. Er bedroht sie. In diesen Situationen kommt es immer zu wundersamen Wendungen, die aber niemals gekünstelt wirken, sondern eine rauschhafte Natürlichkeit haben und jeder Fantasie freien Raum zur Entfaltung lassen.
Eine Rotte Ratten eilt durch die Stadt genau dort, wo Brahma vom Sohn bedroht wird. Es gelingt ihr sich ihnen anzuschließen. Gespielt werden die Ratten und auch die vielen anderen Tiere überwiegend vom Chor, aber auch die Solisten haben überwiegend eine weitere Rolle als Tier. Hierdurch erwägt das recht kleine Ensemble des Luzerner Theaters aber eine ungehörige Vielfalt an Tieren und Menschen. Das Stück genießt daher auch immer eine Vielfalt, die es für den realistischen oder psychogenen Charakter braucht. Auch hier wird das Publikum nicht eingeengt in eine Interpretationsmöglichkeit.
Der Run durch die Stadt kommt langsam zum Erliegen. Nun erscheint die Schlange Atlanta (Diana Schnürpel) mit ausgeprägt ariosen Melodien, in denen sie großartige die Überwältigungskraft einer bis in die höchsten Höhen durchdringenden Opernstimme ausspielt, obwohl in der zweite Vorstellung eine Ansage für sie gemacht wurde, dass sie sich stark erkältet habe. Aber wirklich beeindruckend schlängelte sie sich in der dritten Oktave nahezu durch das Stück. Es ist mehr oder weniger die einzige Stimme, die opernhaft geführt wurde, wenn auch Opernkenner sofort merken, dass es fast an eine Unmöglichkeit grenzt, wie die Partie angelegt ist. Nicht zu Unrecht erhielt sie als einzige Sängerin sowohl bei der Premiere als auch bei der leider recht leeren Vorstellung am gestrigen Abend großen Beifall und einige Bravos. Die Schlange Atlanta führt Brahma durch den Dschungel und zu einem Tempel, nachdem ihre Versuche Brahma in die Obhut der Ameise oder Hunde zu geben misslingen. Nebenbei schafft sie es auch noch mit ihrem Instinkt einen Affen zubeißen, so dass er ihrem Gift erliegt. Aus Versehen halt und sie bittet etwas verschämt um Entschuldigung.
Atlanta umschlingt Brahma ©Ingo Hoehn
Die Handlung wird nun ungemein komplexer, so dass ich an dieser Stelle nur grob weiter hierauf eingehen kann. Für die übrigen Rollen entscheidet sich Renggli für ausgeprägten Sprachgesang. Dieser bringt handfeste Komik ins Spiel wie bei dem gefiederten Menschen (Hubert Wild), der in dieser Rolle seine Counterlage und in seiner Rolle als Hund seinen Bariton einsetzt. Hubert Wild zu erleben, ist immer wieder ein großer Genuß. Seine Träume, einmal zu fliegen, werden erfüllt, weil Brahma die Vögel darum bittet, obwohl er sie zuvor nicht beschützen konnte. Sie wurde vom roten Baron (Vuyani Mlinde) gefangen genommen. Mit seinem Bass verhöhnt er alle. So kommt es wie es kommen muss, wenn seine Leibwächterin (Sarah Alexandra Hudarew) mit einer Pistole mit Schalldämpfer ihn erschießt, auch weil sie es einfach satthat, sich immer von ihrem Chef diskriminieren zu lassen. Ihr Gesang erinnert Hip Hop, auf den sich Renggli unter anderem beruft. So entkommt Brahma ein weiteres Mal einer Katastrophe. Ein weiteres Mal flieht Brahma nun mit der Leibwächterin in den Dschungel.
Zwischenzeitlich ist Brahma wieder zu Kräften gekommen, so dass die nicht mehr gefiederte Mensch und die sich versteckende Leibwächterin Brahma drängen, ihr noch junges Leben in der Stadt und Zivilisation zu suchen. Brahma lässt sich überreden und sucht das Haus des toten roten Barons, wo sie auf seinen nunmehr ohne seinen Vater hilflosen Sohn trifft, der ihr eine Tasche mit Geld gibt. So endet die Erzählung mit einem Anfang, den wir uns selbst weitererzählen können.
Das ganze Stück fesselt das Publikum in cineastischer Manier und so ist es auch großartig. Mehr bedarf es für einen guten aber auch nachdenklichen Abend nicht. Es gibt noch viele Möglichkeiten, das Stück sich anzuschauen. Es lohn sich wirklich und für jeden.
Luzern, den 15. Februar 2020
Carl Osch
Premiere vom 8. Februar 2020 Luzerner Theater