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LUZERN/ Luzerner Theater: PETER GRIMES. Ein hartes, aber stimmiges Sittengemälde. Premiere

07.09.2025 | Oper international

Benjamin Britten: Peter Grimes • Luzerner Theater • Premiere: 06.09.2025

Ein hartes, aber stimmiges Sittengemälde

Das Luzerner Theater startet mit einer eindrücklichen Produktion von Brittens «Peter Grimes» in die neue Saison.

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Foto © Emanuel Ammon

Die Inspiration zu «Peter Grimes», mit dessen Uraufführung am 7. Juni 1945 im Sadler’s Wells Theatre in London Britten seinen internationalen Durchbruch als Komponist feiern konnte, empfingen er und sein Mitautor Peter Pears durch die Abschrift eines Vortrags von E. M. Forster über den Dichter George Crabbe im BBC-Magazin «The Listener». «Ich kannte zu dieser Zeit keines von Crabbes Gedichten, aber die Lektüre über ihn weckte in mir eine solche Sehnsucht nach Suffolk, wo ich immer gelebt hatte, dass ich nach einer Ausgabe seiner Werke suchte und mit «The Borough» begann» (Britten im Vorwort zu «Peter Grimes»). Britten wurde in Lowestoft in der Grafschaft Suffolk geboren (22. November 1913), Crabbe (1754-1832) im gut 50 Kilometer entfernten Aldeborough, wo sich Britten und Pears 1942 nach ihrer Rückkehr aus den Vereinigten Staaten niederliessen und 1948 das bis heute existierende Musikfestival gründeten. Kurz vor seinem Tod am 4. Dezember 1976 wurde Britten zum Baron Britten of Aldeburgh geadelt. «Es [Crabbes Geburtsort Aldeborough] ist ein finsterer, kleiner Ort, unschön. Er drängt sich um eine Kirche mit einem Feldsteinturm und erstreckt sich hinab zur Nordsee – und welch ein Gebrodel macht das Meer, wenn es auf den Strand schlägt. In der Nähe liegt ein Quai bei einer Flussmündung, und hier wird die Szene melancholisch und flach. Schlammniederungen, salziges Miteinander und schreiende Marschvögel» (aus: E.M. Forster: George Crabbe – Der Dichter und Mensch (1941)).

Mit genau diesem Bild der Quaimauer eines kleinen (englischen) Hafenstädtchens beginnt Wolfgang Nägele (Regie) seine Inszenierung (Bühne: Valentin Köhler; Licht: Petri Tuhkanen). Vor diesem Hintergrund entwickelt sich nun die Handlung und Nägele zeichnet (in machen Augen zu) hart, aber stimmig Brittens Sittengemälde nach. Nicht nur im Prolog ist die Quaimauer das trennende Element zwischen dem Aussenseiter Grimes und der Gesellschaft. Er schafft es nicht die Leiter hoch und nur Ellen Orford hat die Kraft, und ein Stück weit das Format, zu Grimes hinabzusteigen. Nägele verfolgt dieses Bild aber nicht weiter. Die Fischfabrik als Symbol des tristen Alltags der Gesellschaft befindet sich auf der Ebene Grimes: nachvollziehbar, aber nicht zum Bild der Mauer als trennendem Element passend. Auf dieser Ebene findet sich später auch Aunties «Lokal»: ein simpler Schiffscontainer, aus dem sie Flaschenbier verkauft und in dem sie ihre «Nichten» anschaffen lässt. Die Kostüme von Marie-Luise Otto, die die Handlung in die Sechziger oder Siebziger verlegen, mildern die gezeigte, «gegenwärtige» Härte des Sittenbildes etwas ab. Das zeitlose Identifikationspotential bleibt trotzdem gewahrt.

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Foto © Emanuel Ammon

Der Sturm zerstört dann die Quaimauer und gibt den Blick auf ein Turner nachempfundenes Gemälde frei, das für Grimes Traum durch Reichtum akzeptiert zu werden steht. Auf den ersten Blick ist das Bild nachvollziehbar. Letztlich ist dieser Perspektivwechsel völlig unpassend, denn Grimes Traum vom grossen Fang, der es ihm ermöglicht Ellen Orford zu heiraten und (endlich) akzeptiert zu werden, vergrössert die Trennung von der Gesellschaft bis hin zum Eklat, als Grimes das Bild niederreisst und ein letztes Mal, nun in suizidaler Absicht, auf die See hinausfährt. Fazit: So sehr das Sittengemälde gelingt, so wenig überzeugt die szenische Darstellung des Kampfes zwischen dem Aussenseiter und der Gesellschaft.

Der amerikanische Tenor Brett Sprague gibt einen klug disponierten Peter Grimes und überzeugt mit kraftvollen dramatischen Ausbrüchen wie feinen lyrischen Passagen. Die Stimme sitzt, spricht gut an und trägt im ganzen Haus. Das Repertoire der Emotionen und deren eindringliche Vermittlung ist noch ausbaufähig. Die Ellen Orford von Eyrún Unnarsdóttir ist stimmlich tadellos und entspricht szenisch ganz dem Bild der einfühlsamen, gesellschaftlich aber doch eher am Rande stehenden Lehrerin. Vladyslav Tlushch feiert mit wunderbar satt klingendem Bariton und perfekter Diktion als Anwalt Balstrode zu Recht einen grossen Erfolg. Judith Schmid gibt mit grosser Erfahrung, frischer Stimme und phänomenaler Bühnenpräsenz eine restlos überzeugende Auntie. Tania Lorenzo Castro und Elvira Margarian entsprechen mit überlangen Kniestrümpfen und Rollschuhen in der Rolle ihrer Nichten dem Bild der damaligen Dorfjugend. Rueben Mbonambi gibt mit wohlklingendem, kernigem Bass und natürlicher Autorität den Bürgermeister Swallow. Valentina Stadler gelingt es die Intriganz und Bösartigkeit der Mrs. Sedley, hier medikamentenabhängige Rädelsführerin bei der Ausgrenzung und Vernichtung von Peter Grimes erschreckend echt darzustellen. Robert Maszl als Boles, Luca Bernard als Pastor Horace Adams, Michael Temporal Darell als Ned Keene und Marc-Olivier Oetterli als Hobson begeistern als Sänger-Darsteller und tragen ihren Teil zu dem unangenehm eindrücklichen Sittengemälde bei.

Der Opernchor Luzerner Theater und der Extrachor Luzerner Theater (Chor: Manuel Bethe) überzeugen vor allem darstellerisch. Musikalisch ist satter Klang auf der Habenseite zu vermerken. In Sachen Koordination ist noch Luft nach oben, die bei den weiteren Vorstellungen sicher dünner werden wird.

Das Luzerner Sinfonieorchester unter musikalische Leitung von Musikdirektor Jonathan Bloxham spielt wieder einen in jeder Hinsicht überzeugenden Abend. Gerade die Sturmszenen, die akustische Präsenz der visuell nicht präsenten See gelingen so vorzüglich, dass das weitgehende Fehlen der See gar nicht auffällt.

Eine musikalisch überzeugende Produktion.

Weitere Aufführungen:

Fr. 12.09.2025, 19.30; So. 14.09.2025, 15.00; Di. 23.09.2025, 19.30; Do. 25.09.2025, 19.30;

Do. 09.10.2025, 19.30; Fr. 17.10.2025, 19.30; Fr. 31.10.2025, 19.30.

07.09.2025, Jan Krobot/Zürich

 

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