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LUZERN/ Lucerne Festival 2019 – Ausgewählte Konzerte – Teil 2    LE NOZZE DI FIGARO, konzertante Aufführung,

In der Tat „Ein toller Tag“

13.09.2019 | Oper

Luzern: Lucerne Festival 2019 – Ausgewählte Konzerte – Teil 2   

LE NOZZE DI FIGARO, konzertante Aufführung, 13.9.2019

In der Tat „Ein toller Tag“

Der Hype um Teodor Currentzis ist gross und entsprechend lastet der Erwartungsdruck auf ihm. Aber unbehelligt davon zieht er sein Ding durch. Dass er dies unter Einsatz seiner extravaganten Persönlichkeit tut, schadet der Sache nicht wirklich, denn er ist faszinierend von A bis Z. Ob man nun mit allem einverstanden ist, spielt keine Rolle, denn was Currentzis bewirkt, ist doch Einiges. Nach den Zeiten der historischen Aufführungspraxis, als Manches doch arg anämisch klang (kein Vibrato, kaum Legato, kein Ausdruck etc.), greift nun Currentzis quasi in die Vollen – und was herauskommt, ist eine blutvolle Entscheidung, eine deutliche Wegmarke.

Zu raschen, manchmal gar schnellen und sogar überhetzten Tempi neigend, nimmt Currentzis den Untertitel der Mozart/DaPonte-Oper wörtlich: „La folle Journée“ oder zu deutsch „Der tolle Tag“. Die Ereignisse überstürzen sich wahrlich und entwirren sich erst im 4. Akt. Die ersten zwei Akte fasst Currentzis zu einem Ganzen zusammen: Der Morgen des „tollen Tages“ läuft nach dem Prinzip von Einheit in Ort und Zeit in Überseinstimmung mit dem realen Geschehen ab. Und nach der Pause spielen dann der 3. und 4. Akt gegen den Abend und in die Nacht hinein. Da wird dann auch das Dirigat von Currentzis gelöster und er verlässt sich immer mehr auf die lyrischen Haltepunkte. So wurde der 4. Akt zum Höhepunkt des Abends: Die Nachtstimmung, nicht nur durch die zurückhaltende Lichtgebung angedeutet, spiegelte sich in den warmen Orchesterklängen der vorzüglichen Musikerinnen und Musiker der musicaAeterna wieder. Die Sängerinnen und Sänger fanden zu mehr Individualität, die vor der Pause durch den Tempo-Turbo etwas gar ins Hintertreffen geraten waren. Die Rosenarie und das nahezu durchkomponierte Ensemble bis zum Finale waren aus einem Guss. Als sich dann die Solistinnen und Solisten zum Schluss unter die Sängerinnen und Sänger des Chors der musicAeterna mischten und die Hymne der Liebe anstimmten, war das Glück perfekt!

Das Sänger-Ensemble war durchwegs gut bis ausgezeichnet besetzt, wobei festzuhalten ist, dass Currentzis offenbar eher die leichtgewichtigen Stimmen gegenüber volleren Stimmen bevorzugt. Das wirkt sich beim Grafenpaar aus, die m.E. mit zu lyrischen Stimmen besetzt waren. Ekaterina Scherbachenko als Gräfin verfügt über wunderbare Kopf-Piani à la Schwarzkopf, hat aber wenig Wärme in der Mittellage. Sie singt gepflegt, aber alles ist ein bisschen kühl und erweckt kaum Empathie. Ihr Gatte ist mit Andrei Bondarenko stimmlich gut besetzt. Leider baut er aber nach der Pause ab und seine Arie, wo Currentzis ein irrwitiges Tempo vorlegt, war so in den Koloraturen kaum noch zu schaffen. Auch von der Charakterisierung her – es wird in dieser konzertanten Aufführung doch viel agiert – ist er zu blass. Dagegen ist Alex Esposito als Titelheld Figaro ein Temperamentsbündel sondergleichen. Ihm glaubt man seine Lust zur Opposition gegenüber den Herrschenden und seinen Witz, die Intrigen einzufädeln. Schön ist es, wenn sich im 4. Akt Figaro und Susanne – allen Verwechslungen im Dunkeln zum Trotz – in der Liebe zueinander finden. Dies ist übrigens eine der berührendsten Stellen in dieser Oper! – Olga Kulchynska, die wir am Opernhaus Zürich schon mehrfach bewundern durften, singt eine ausgezeichnete Susanna und  ist es auch in der Darstellung. Sie ist ja die eigentliche Hauptrolle in diesem Stück und zudem – wie wir wissen – eine der längsten lyrischen Sopranpartien überhaupt. Dies liess die Sopranistin in keinem Fall spüren, war sie doch immer in ihrer Rolle und stets die Strippenzieherin. Sie sang mit lyrischer Flexibilität und tonreiner Schönheit, was manchmal etwas kühl wirken mochte. Die Rosenarie gestaltete sie zu einem Höhepunkt des Abends. Cherubino d’amore wurde von Paula Murrihy verkörpert und war dies in idealer Einheit von Gesang und Darstellung. Mit ihrem flexiblen Mezzo, der in der Stimmfarbe etwas an Frederica von Stade erinnert, war sie ein vorzüglicher Page. Die beiden Soli waren hinreissend gesungen: eine der ganze schönen Stimmen des Abends! In der kleinen Rolle der Barbarina überzeugte Fanie Antonelou in ihrer entzückenden Arie über die verlorene Nadel. Interessant wie Currentzis die Suche, das Fragen auch musikalisch deutet, indem er den Musikfluss für Bruchteile von Sekunden in der Luft anhält: ein überwältigender Effekt. So liessen sich viele neu gehörte Wendungen anführen. Immer wieder peilt Currentzis unsere Ohren mit Ungewohntem an. Sicher, man muss nicht immer alles anders machen. Aber Currentzis tut dies mit überwaltigender Überzeugung – und das ist schon bewundernswert!

Als Bartolo war Evgeny Stavinsky mit frischem Bass unterwegs und Daria Telyatnikova als seine Partnerin ein Gewinn: sie durfte ihre Arie im 4. Akt singen und tat dies hervorragend. Dem mit Krystian Adam als Charaktertenor besetzten Basilio hatte man dagegen seine Arie von der Eselshaut gestrichen. Danis Khuzin als stotternder Don Curzio (ist das nötig?) und Garry Agadzhanyan als Brummbär Antonio vervollständigten das äusserst ausgewogene Ensemble. Bei allen wunderschönen Arien sind es doch immer wieder diese genialen Ensemblesätze, die „Le Nozze di Figaro“ so unsterblich machen.

Teodor Currentzis mit dem Orchester und Chor musicAeterna und dem vorzüglichen Sänger-Ensemble eröffnete so den Mozart-DaPonte-Zyklus beim Lucerne Festival 2019, der mit „Don Giovanni“ und „Cosi fan tutte“ (mit Cecilia Bartoli als Despina!) abgerundet wurde.    

John H. Mueller

 

 

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