THEATER LÜBECK : I CAPULETI E I MONTECCHI – Belcanto pur
Bellinis selten gespielte Oper „I Capuleti e i Montecchi“ (Romeo und Julia) hatte am 7.4.Premiere. Es ist von einem sehr gelungener Abend unter der Stabführung von Andreas Wolf zu berichten. Szenisch und manchmal auch gesanglich läuft das Opernhaus in Lübeck dem großen Bruder in Hamburg meistens den Rang ab!
Wioletta Hebrowska (Romeo), Evmorfia Metaxaki (Giulietta) – Foto: Oliver Fantitsch, Theater Lübeck
Schon vor der Aufführung öffnet sich der Vorhang und man sieht eine raumhohe Bretterwand. Mir erweckt sich der Eindruck, dass damit das vernagelte Verona gemeint ist, in dem sich die Familien ununterbrochen im blutigen Streit befinden. Während der Ouverture erscheint lässig ein junger Mann (Romeo), steckt sich eine Zigarette an und sprüht auf die Wand ein Herz mit den Initialen R + J. Julia kommt aus einer Tür und das Liebespaar fällt sich in die Arme. Bevor es später richtig zur Sache geht, kommt Lorenzo und holt Julia ins Haus. Ein sehr gelungener Einstieg, um deutlich zu machen, dass Bellinis Oper wenig mit Shakespeare zu tun hat, sondern erst beginnt, nachdem Romeo Julias Bruder bereits im Kampf getötet hat.
Im ersten Bild öffnet sich die Wand und man sieht aus den gleichen Brettern einen Halbkreis. Die Bühne wird von einem riesigen Tisch beherrscht, der in der Achse drehbar ist. Chor, Tebaldo und Julias Vater, Capellio sitzen wie bei einem Meeting an dem Tisch. Es ist sicherlich nicht zufällig, dass man bei diesem Bild an die Mafia oder den Paten denkt. Als Romeo – unerkannt – als Bote auftritt, um für Frieden zu werben, wird der Tisch zum „Kampffeld“.
Für Julias Zimmer dreht sich der Bühnenhintergrund und öffnet auf halber Höhe Julias Zimmer. Dieses wird auch als Zimmer im 2. Akt verwendet. Das „Duell“ zwischen Romeo und Tebaldo im 2. Akt beginnt vor einem „Sternenvorhang“, der sich dann öffnet, um im Hintergrund Julias Sarg und den Trauerzug zu zeigen.
Das Schlussbild spielt sich dann wieder vor der Bretterwand ab, vor der sich der Einstieg in Gruft befindet. Der Bühnenboden hebt sich und gibt den Blick auf die Gruft frei. Eine gelungene und praktische Ausstattung von Stefan Rieckhoff.
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Wioletta Hebrowska (Romeo), Evmorfia Metaxaki (Giulietta) – Foto: Oliver Fantitsch, Theater Lübeck
Das eigentliche Ereignis sind jedoch die Sänger, insbesondere die Sängerinnen, die – bis auf eine Ausnahme – alle teilweise seit einigen Jahren am Theater in Lübeck in vielfältigen Rollen auftreten. So singt die polnische Sängerin Wioletta Hebrowska (Romeo) mit ihrer – wie ich meine – Ausnahmestimme die ganze Palette von Barock, über Mozart, belcanto, Französische Oper und Brangäne. Sie ist, wie auch ihre griechische Partnerin Evmorfia Metaxaki (Jiuletta/Julia) nicht nur gesanglich hervorragend für Bellini geeignet, sondern beide lassen auch darstellerisch keinen Wunsch offen. Sie sind das junge verliebte Paar und können das Haus bezaubern. Hebrowska hat eine angenehm warm timbrierte Stimme, die – fast – immer mühelos auch die Höhen der Partie meistert. Metaxaki ist an manchen Stellen schon sehr dramatisch, so dass sie die Spitzentöne im forte manchmal überreizt. Das schmälert aber nicht den hervorrragenden Gesamteindruck, weil sie dieses mehr als wett macht mit ihren linnigen und yrischen Passagen. Für mich erfreulich war es, Bellini mal wieder mit einer jungen, frischen Stimme zu hören, anstelle von artifiziellen Tönen gealterter Primadonnen.
Die Personenführung lässt keinen Zweifel daran, dass das große Duett zwischen den beiden im 2. Bild nicht nur harmonisch abläuft, sondern vielmehr bezüglich der unbedingten Liebe (hier Flucht, dort Liebe zum Vater) eine Menge „Streitpotential“ beinhaltet. Auch der Vater wird von dem Hamburger Regisseur Michael Sturm sehr herrisch angelegt, der bis zur letzten Minute unbeugsam bleibt und seiner Rache das Glück Julias unterordnet. Gesanglich kann der einzige Gast Andrey Valiguras mit den Kräften des Hauses nicht ganz mithalten. Sein Bass klingt am Beginn etwas „hohl“ und auch polternd, fügt sich aber im großen Ensemble dann durchaus ein.
Romeos Gegenspieler Tebaldo wird von den Haustenor Daniel Jenz etwas hölzern verkörpert und bleibt als Gegenspieler eher blass. Mit seinem eher lyrischen Tenor meistert er aber weitgehend die Tücken der Partie und kommt nur bei den Ausbrüchen an seine Grenzen. Dabei hat er keine Mühe, die Spitzentöne zu beherrschen. Hyungseok Lee als Lorenzo aus dem Opernstudio fehlen darstellerisch noch ein wenig die Möglichkeiten, der Bedeutung der Partie als Drahtzieher entsprechend zu wirken. Gesanglich füllt er diese nicht sehr dankbare Rolle aber problemlos aus.
Das Publikum hat mit seinem Schlussbeifall gezeigt, wie sehr es diesen Abend genossen hat. Man sollte sich die Aufführung dieses selten gespielten Werkes in dieser Besetzung nicht entgehen lassen. Die Dramaturgin hat bei der Premierenfeier kurz begründet, warum man in Lübeck dieses Werk auf den Spielplan gesetzt hat: einfach ein Muss, wenn man zwei solche Sängerinnen im Hause hat.
Dietrich Vogler, Hamburg 9. April 2016