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LÜBBEN IM SPREEWALD LIEBEN LERNEN

17.04.2014 | KRITIKEN, REISE und KULTUR

Lübben im Spreewald lieben lernen, 16.04.2014

von Ursula Wiegand

Lübben, paddeln auf der Spree
Lübben, paddeln auf der Spree. Foto: Ursula Wiegand

Lübben im Spreewald, südöstlich von Berlin, ist ein gerne besuchtes Ziel aller Naturliebhaber. Die Spree und ihre Seitenarme haben die 14.000-Einwohner-Stadt in ein „Venedig des Ostens“ verwandelt. Paddeln, angeln, schlendern, rund ums Städtchen wandern und radeln – alles nach Herzenslust. Und es ist die die Stille, die so gut tut.

Der Clou sind für viele die Kahnpartien. „Eine Spreefahrt, die ist lustig,“ ließe sich das bekannte Seemannslied umdichten.

Lübben, ein Reiher an der Spree
Lübben, ein Reiher an der Spree. Foto: Ursula Wiegand

Leise stakt Fährmann Martin Matthei mit einer 4 Meter langen Stange, dort Rudel genannt,  den Kahn vorwärts. Der 40-Jährige hat Argusaugen und erspäht alsbald einen Eisvogel mit herrlich blauem Gefieder. Den sonst so seltenen Vogel gibt es dort inzwischen häufiger.

Ein Milan kreist am Himmel, ein Reiher steht furchtlos am Ufer. Vögel begleiten mit ihrem Gezwitscher die Fahrt durch dieses Biosphärenreservat. Stellenweis’ ist das ein deutscher Dschungel, aber ohne Giftschlangen. 

Lübben, Biosphärenreservat Spreewald
Lübben, Biosphärenreservat Spreewald. Foto: Ursula Wiegand

Besonders wohl fühlen sich die Bieber an den Spreeufern. „Vor 11 Jahren hatten wir drei, jetzt sind es 150. Die waren echt fleißig,“ lacht Martin. Früher, während der 40tägigen Fastenzeit, kamen sie in den Klöstern auch schon mal als Braten auf den Tisch. Da sie im und am Wasser leben, zählte man sie kurzerhand zu den Fischen. Ob nur aus Unkenntnis, das ist die Frage.

Bei unserer Fahrt lassen sich keine Bieber blicken, denn die sind bekanntlich nachtaktiv. Bei einer nächtlichen Kahnfahrt hätten wir sicherlich bessere Chancen, sofern sich die Bootsinsassen ruhig verhalten. Bei der Kahnnacht „Napoleonische Abenteuer“ am 19. Juli dürfte es jedoch lauter werden. Diese Veranstaltung erinnert an Frankreichs Kaiser, der vor fast 201 Jahren tatsächlich mit seinen Truppen durch Lübben zog.

Lübben, Spree und Schloss
Lübben, Spree und Schloss. Foto: Ursula Wiegand

Wieder in Hafennähe, spiegelt sich das mittelalterliche Schloss (seit 2000 ein Museum) mit dem gelben Renaissance-Giebel in den Fluten. Am Ufer lächelt uns schon Stadtführerin Marga Morgenstern entgegen, bekleidet mit weißer Hube und weißer Bluse, hier Kittelchen und Halstuch genannt. Dazu ein schwarzer Rock und eine fein bestickte schwarze Schürze. Die Jacke trägt sie überm Arm. „Das ist die wendische Festtagstracht,“ erklärt sie. Zusammen mit mehreren Unterröcken wiegt die 5 kg!  Recht viel für die zarte Frau.

Lübben, Marga Morgenstern an der Spree
Lübben, Marga Morgenstern an der Spree. Foto: Ursula Wiegand

„Meine wendische Großmutter hatte 27 Trachten für alle Gelegenheiten. Die wurden vor der Hochzeit auf einen Leiterwagen geladen und durchs Dorf gekarrt, damit alle sehen konnten, welch gute Partie sie war,“ erzählt Frau Morgenstern. Die wurde damals Amme bei hohen Herrschaften. Die Frauen aus Margas Familie haben sogar die Hohenzollern gestillt und waren hoch angesehen. 

Frau Morgenstern, Autorin einiger Heimatbücher, ist ein wandelndes Geschichtsbuch. Die kennt in Lübben jeden Stein und jede Jahreszahl. Sie weiß auch, welchem Wilhelm die Huldigung über dem Eingangsportal des Schlossturms gelten sollte: Kaiser Wilhelm II war es, den man 1917 in Lübben erwartete. Der aber hatte Kriegssorgen und kam nicht. 

Lübben, Historiengemälde im Waffensaal, 2
Lübben, Historiengemälde im Waffensaal. Foto: Ursula Wiegand

Aus dem Jahr 1917 datiert auch das Monumentalgemälde im Wappensaal. Darunter steht: „Begrüßung des Kurfürsten Friedrich II Eisenzahn, von Brandenburg, vor den Toren der Stadt“, ein Ereignis aus dem Jahr 1444. Hoch zu Ross ist er in Lübben eingeritten.

Ist das Wasser sauber genug zum Baden? Durchaus. Am „grünen Strand der Spree“ gibt es Badestellen, seit dem Vorjahr aber auch eine speziell angelegte: Lübbens SpreeLagune mit echtem märkischen Sandstrand.

Lübben, die SpreeLagune, 2
Lübben, die Spree Lagune. Foto: Ursula Wiegand

Eine weitere Attraktion ist dort die grazile Hängebrücke, die recht heftig schwankt. Am Maschendrahtgitter hängen einige Treueschlösser. „Viel zu wenige“, grummelt ein Spaziergänger. Die Lübbener müssen diese Stelle wohl noch für sich entdecken, genau so, wie ich gerade Lübben entdecke.

An der SpreeLagune führt ein asphaltierter Radweg vorbei, der gleichzeitig einen 5 km langen Rundweg um Lübben darstellt. Bald bin ich in Steinkirchen und stehe vor einer Kirche mit altersdunklem Holzglockenturm. Die ist geschlossen, doch ein Schild gibt Auskunft.

Lübben, Steinkirchen, älteste Steinkirche der Niederlausitz, 2
Lübben, Steinkirchen, älteste Steinkirche der Niederlausitz. Foto: Ursula Wiegand

Das hier ist die Alte Steinkirchner Dorfkirche, errichtet aus Backstein und Feldstein im 13. Jahrhundert und die „älteste Steinkirche der Niederlausitz“. Der Glockenstuhl mit 2 Glocken stammt aus dem 17. Jahrhundert. Das Erstaunliche: hier war es die Kirche, die dem Ort den Namen Steinkirchen gab.

Und nur 5 Minuten sind es von hier zum „Neuhaus“. „Hier lebte von 1822-1845 der Dichter und Reformer Christoph Ernst Freiherr von Houwald (1778-1845)“, kündet eine Tafel. Der ist mir unbekannt, aber in Lübben wird der Spätromantiker nach wie vor sehr geschätzt.

Heutzutage ist das Neuhaus eine „Anerkannte Musikschule im Land Brandenburg“. Gerade eilen Mädchen und Jungen mit ihren Geigenkästen heimwärts. Vielleicht werden die Begabtesten und Fleißigsten später an den Pulten des Brandenburgischen Staatsorchesters in Frankfurt/Oder sitzen, vielleicht auch in Berlin und darüber hinaus. Zu wünschen wäre es ihnen.

Lübben, Strandcafé und Hotel Strandhaus
Lübben, Strandcafé und Hotel Strandhaus. Foto: Ursula Wiegand

Wieder in Lübben angekommen, wünsche ich mir auch etwas, nämlich Kaffee und Kuchen im Strandcafé. Ein stattlicher Herr im Karohemd setzt sich zu mir. Das ist Markus Karl, seit 2007 der Eigentümer dieses traditionellen Cafés (von 1929).

Karl ist gebürtiger Bayer, war vorher Chef im Schloss Ziethen, danach im Schloss Lübbenau. Beides feine Adressen. 2002 hat er sich selbständig gemacht und ist „der Liebe wegen“, so sagt er, im Spreewald geblieben. „Meine Frau stammt aus einer bekannten Lübbenauer Gurken-Einlegefamilie,“ fügt er hinzu. Ob wohl die Gläser bei „Gurken Paule“ am Hafen aus diesem Betrieb stammen? Vermutlich stehen sie für die Touristen Spalier.  

Die kommen im Sommer in Scharen, insbesondere aus Berlin. Also hat Markus Karl 2007 das Strandcafé gekauft, komplett renoviert und drinnen ein gemütliches Restaurant eingerichtet. Vor zwei Jahren wurde das Hotel Strandhaus angefügt, ein zweistöckiger Bau mit goldbrauner Lärchenholzfassade, der gut in die Landschaft passt.

Offensichtlich hat solch ein 4-Sterne-Haus in Lübben gefehlt. „Im ersten Jahr hatten wir 72 Prozent Auslastung, im Vorjahr 80 %,“ freut sich Karl. Wer es sich leisten kann, bucht die Spa Suiten in 2. Stock, ausgestattet mit Küche, privater Sauna und 4 Balkonen.

Lübben, Kahnpartie kulinarisch mit Markus Karl
Lübben, Kahnpartie kulinarisch mit Markus Karl. Foto: Ursula Wiegand

Eine Kahnfahrt mit kulinarischer Überraschung lässt sich bei ihm auch buchen. Dann lädt er Tische in den Kofferraum seines Autos und fährt sie zu einer Stelle am Spreeufer, wo das lange Boot anlegen kann. Sekt, Säfte, Wasser und belegte Brötchen warten auf die Aussteigenden.  Eine Spreefahrt ist wirklich lustig.

Den Spreeblick genieße ich aber auch aus meinem Zimmer im Strandhaus. Und da ich im Erdgeschoss wohne, habe ich sogar direkten Zugang zum Fluss und kann – leises Plätschern im Ohr – in den aufgestellten Liegen relaxen. Noch gibt es keine Mücken, und selbst im Sommer bräuchte ich keine Malaria-Prophylaxe.

Leise paddelt ein junges Paar in einem roten Boot vorbei. Die beiden wirken zufrieden. „Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah“, wusste (volkstümlich umgeformt) schon der weit gereiste Goethe.

Lübben, Sarah Gwiszcz mit Sorbisch modern, b
Lübben, Sarah Gwiszcz mit Sorbisch modern. Foto: Ursula Wiegand

Die 26-jährige Designerin Sarah Gwiszcz mit sorbischen Vorfahren und heutiger Punk-Frisur sieht das ebenso. Sie hat im turbulenten Berlin studiert, ist nun aber in ihre Heimatstadt zurückgekehrt und will im Juni in Lübben ein Atelier eröffnen.

Momentan stattet sie die Damen in den Touristik-Ämtern von Lübben, Burg und Lübbenau mit Trachten in „Sorbisch modern“ aus. Tragbare Outfits sind es, ohne die 80-100 womöglich pieksenden Stecknadeln bei den Traditionstrachten. Das dunkelblaue Jäckchen mit dem Pünktchen-Rand möchte ich ihr am liebsten gleich abkaufen.   

Auch im freundlichen Service-Team vom Strandhaus gibt es Rückkehrerinnen. Der 31jährige Küchenchef Mario Ückert stammt jedoch aus Lübbenau und hat den Bogen raus. Das Frühstücksbuffet ist rekordverdächtige, und seine abendlichen Viergangmenüs sind echt lecker. Den Hecht hatte am Vormittag ein Fährmann geangelt, der Zander hat allerdings eine gewisse Reise hinter sich.

Lübben,  Stadtturm vor der Paul-Gerhardt-Kirche, 1
Lübben,  Stadtturm vor der Paul-Gerhardt-Kirche. Foto: Ursula Wiegand

Einige Reisen und Lebensstationen hatte auch der Kirchenlieddichter Paul Gerhardt  (1607-1676) hinter sich, als er 1669 in Lübben Pfarrer wurde. Sein Denkmal, errichtet 1907, steht vor dem 53 Meter hohen weißen Stadtturm. Jeder Fremde denkt, das sei der Kirchturm, ist er irgendwie auch, gehört aber nicht der Gemeinde. 

Es gibt sogar eine Turmführerin namens Vera Städter, die die Besucher die 115 Stufen bis unter die Uhr geleitet und vieles zu berichten weiß. In der Türmerstube steht ein altertümliches Bett. „Kinder wollen immer wissen, ob ich hier schlafe,“ lacht sie. 

Lübben, Paul-Gerhardt-Kirche, Portalbogen
Lübben, Paul-Gerhardt-Kirche, Portalbogen. Foto: Ursula Wiegand

Selbst wenn der Turm Stadteigentum ist, dient er doch gleichzeitig als Eingang zur Paul-Gerhardt-Kirche. Über dem Portalbogen aus Ziegelstein steht einer von Paul Gerhardts Versen: „Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb’ auf Ewigkeit“. Die Köpfe von Bach, Händel und den Reformatoren begrüßen die Eintretenden.

Im Sommer ist die Kirche stundenweise geöffnet. Sollte die Tür verschlossen sein, brauchen Besucher jedoch nur die angeschlagene Telefonnummer (03546-3142)  zu wählen und schon eilt Klaus Ballenthin herbei.

Der Ex-Schlosser kennt die Kirche wie seine Westentasche und jede der unglaublich vielen Figuren am Altar, am Taufstein und an der Kanzel. Kunstwerke von 1609 sind es, aus Sandstein gemeißelt von Samuel Hanauer.

Lübben, Paul-Gerhardt-Kirche, Christi Himmelfahrt an der Kanzel
Lübben, Paul-Gerhardt-Kirche, Christi Himmelfahrt an der Kanzel. Foto: Ursula Wiegand

Lebensecht wirken die leicht verwitterten Gestalten, manches ist auch zum Schmunzeln, speziell eine Darstellung an der Kanzel.  „Schau’n Sie, wie Christi Beine bei seiner Himmelfahrt aus den Wolken hängen,“ sagt Ballenthin.

Auf dieser Kanzel hat Paul Gerhardt, der in Lübben seine sieben letzten Lebensjahre verbrachte, gepredigt und außerdem 137 Liedertexte geschrieben. Sein „O Haupt voll Blut und Wunden“ findet sich in Bachs Matthäus-Passion, ebenso sein „Befiehl du deine Wege“, was auch draußen unter seinem Denkmal steht. 

Dass Paul Gerhardt auf allen Kontinenten bekannt ist und seine Lieder weltweit noch immer in Gebrauch sind, wurde den Lübbenern erst 2007 – bei den Feiern zu seinem 400. Geburtstag – so richtig bewusst. Bis aus Australien reisten Delegationen an, haben ihre Gesangbücher dagelassen oder welche geschickt. Exemplare aus ganz Europa, aus Nord- und Südamerika, aus Afrika und Asien sind unter Glas zu sehen. Ein indisches enthält sogar 24 Paul-Gerhardt-Lieder.

Lübben, Paul-Gerhardt-Kirche, Gesangbuch aus Buenos Aires
Lübben, Paul-Gerhardt-Kirche, Gesangbuch aus Buenos Aires. Foto: Ursula Wiegand

Angeregt durch das große Interesse veranstaltet die Kirche seither zweimal jährlich eine Paul-Gerhardt-Woche, die nächste vom 5. – 11. Mai. Eine weitere folgt im September. Die Gemeinde besitzt einen guten Chor, und die restaurierte spätromantische Schuke-Orgel klingt herrlich durchs Gotteshaus. „Ständig kommen Chöre, um bei uns zu singen, nicht nur während der Paul-Gerhardt-Wochen,“ betont Ballenthin.

Darüber hinaus wird bereits an einem Paul-Gerhardt-Weg entlang seiner Arbeitsstätten getüftelt, d.h. von der Nikolaikirche in Berlin über Mittenwalde in Brandenburg bis nach Lübben. Im nächsten Jahr soll er komplett ausgeschildert sein. Ein „Denk mal Weg“ soll er  werden zum Wandern, Meditieren und Naturgenießen.

„Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit“ – auch das hat Paul Gerhardt gedichtet.  Doch diese Freude bietet Lübben schon lange. Bis 2015 muss niemand darauf warten.

Infos bei der Spreewaldinformation Lübben, Tel. 0049-(0)3546-3090 und www.luebben.de. Hotel Strandhaus: Tel. 0049-(0)3546-7364 und www.strandhaus-spreewald.de.  Fährmannsverein „Lustige Gurken“, Tel. 0049-(0) 3546-7122. (U.W.)

 

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