„Marie-Antoinette oder Kuchen für alle!“ beim Theatersommer Ludwigsburg im Cluss-Garten
Geschichte wird auf den Kopf gestellt
Premiere „Marie-Antoinette oder Kuchen für alle!“ von Peter Jordan und Leonhard Koppelmann beim Theatersommer im Cluss-Garten am 16. August 2025/LUDWIGSBURG
In der temperamentvollen Regie von Christine Hofer entwickelt die tragische Geschichte von Königin Marie-Antoinette und König Ludwig XVI. eine andere Wendung. Beide wurden ja bekanntlich während der Französischen Revolution hingerichtet. Hier jedoch verdreht sich manches Detail ins groteske Gegenteil. Bühne und Figurenbau von Dirk Seesemann lassen zwar die Schrecken der Französischen Revolution lebendig werden, unterstreichen jedoch auch die satirischen Komponenten. So fährt Ludwig XVI. doch tatsächlich eine richtige Guillotine auf die Bühne! Madame Dubarry wird auf dieser während ihrer krampfhaften Halsbandsuche geköpft. Sie war die frühere Mätresse von Ludwig XV., den Ludwig XVI. als „debilen, notgeilen alten Sack“ bezeichnet. Im Palast von Versailles ist es mit der Langeweile deswegen bald vorüber. Marie-Antoinette überlegt sogar, ob sie ihre Kinder nicht in den Waldorfkindergarten schickt und die schwäbische Sprache spricht. Seit nunmehr fünfzehn Jahren warten Marie-Antoinette und ihr Mann König Ludwig XVI. auf ihre Hinrichtung. Bürokratie, Machtkämpfe und Intrigen eskalieren – und die Königin macht sich Sorgen um ihr Erscheinungsbild. Denn sie ist tatsächlich gezwungen, den abgeschlagenen Kopf der Dubarry hin- und herzujonglieren. Ringsum sterben allerdings auch Aristokraten und in Ungnade gefallene Revolutionäre wie die Fliegen. Alles geht drunter und drüber. Selbst der einfache Perückenmacher muss auf sein Haupt achtgeben. Die Kostüme von Paula Gehrlein lassen vor allem die Pracht der Perücken glänzen. Marie-Antoinette darf ihre schließlich ablegen, nachdem sie das Personal mit vergifteten Torten unschädlich gemacht hat. „Wenn das Volk kein Brot hat, soll es doch Kuchen essen!“ fordert sie schließlich ultimativ. Als sogar Napoleon auftaucht, gerät alles aus den Fugen: „Ich strebe die Weltherrschaft an!“ Dann geht auch noch das Eis aus und der Champagner wird warm, was Marie-Antoinette zur Weißglut bringt. Slapstick und Screwball-Komödie werden hier immer wieder auf die Spitze getrieben, wobei Alexandra Marinescu als Marie-Antoinette alle darstellerischen Register zieht: „Sogar unsere Hinrichtung wurde abgesagt, ein Skandal!“ Karsten Zinser steht ihr als umtriebiger König Ludwig und älterer Revolutionär kaum nach. Josephine Bönsch kann dem Kammermädchen Cecile, Madame Dubarry, dem jungen Napoleon und einem jungen Revolutionär gleichermaßen Charisma verleihen. Sie erinnert dabei ganz entfernt sogar an Mireille Mathieu. Und auch Elias Baumann als Diener Jean-Pierre, Kardinal Rohan, freier Bürger Guillaume sowie Robespierre überrascht wiederholt aufgrund seiner schauspielerischen Wandlungsfähigkeit. Mit dem Erscheinen Robespierres überschlagen sich die Ereignisse. Die Bevölkerung möchte das Schloss stürmen – und Robespierre wird vom Königspaar mit einem Kuchenstück vergiftet, nachdem er sich diesem vorgestellt hat. Er wird von Marie-Antoinette und Ludwig XVI. zuletzt aus dem Fenster gestüzt und stirbt! Zuvor hat er noch dem Volk „Ich scheiß‘ auf eure Revolution!“ zugerufen. Es gelingt dem schlagfertigen Königspaar tatsächlich, unbehelligt ins Exil zu gehen. Und Ludwig XVI. wird sogar als „Sonnenkönig“ gefeiert. Aufgrund der brillanten schauspielerischen Leistungen kann diese Premiere einmal mehr überzeugen. Mit dem Entsetzen wird Scherz getrieben. So verschwinden die Leichen von Robespierre und der Dubarry im Schrank. Auch die musikalische Leitung von Carmen Stürmer und Elias Baumann fesselt die Zuschauer, obwohl die Rock- und Popnummern eigentlich aus dem Rahmen fallen. Mozarts „Requiem“ passt da besser ins Bild. Frenetisch-begeisterter Schlussapplaus des Publikums!
Alexander Walther