Hermann-Haake-Stiftung im Schlosstheater Ludwigsburg: DIE MUSE SIEGT
Hermann-Haake-Stiftung: Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ mit Querverweisen am 3. September 2016 im Schlosstheater/
Die Hermann-Haake-Stiftung lud wieder einmal ins Schlosstheater ein. Unter dem vielsagenden Motto „Wandel – panta rhei – alles fließt“ wurde auch Jacques Offenbachs berühmte Oper „Hoffmanns Erzählungen“ von Bernhard Epstein (Klavier und Moderation) in ungewöhnlicher Weise beleuchtet. Der alkoholisierte Dichter E.T.A. Hoffmann phantasierte hier ekstatisch über Olympia, Antonia, Giulietta und Stella. Hoffmanns Abgründe und die Figurenkonstellationen dieser Frauen blitzten hervor. Und die Wirkungsgeschichte dieser Oper seit der Pariser Premiere im Jahre 1881 erläuterte Epstein einfühlsam. Denn es standen interessante Querverweise im Vordergrund. Zunächst befand sich Roman Poboinyi (Tenor) als Hoffmann mit ebenmäßigen Kantilenen und schlanker Stimmführung im Saufrausch. Er ertrank seinen grenzenlosen Kummer in Wein, denn alle Beziehungen zu den geheimnisvollen Damen zerbrachen. Nur die Muse schaffte es, ihn von den Frauen abzubringen. Eindringliche Melodik und Charakteristik stachen dabei facettenreich hervor, wennglich die „Olympia“-Arie leider fehlte.
Die begabte französische Sopranistin Anais Sarkissian unterstrich den glanzvollen Koloratur-Stil der französischen Grand Opera anhand der Arie des Pagen aus Giacomo Meyerbeers Oper „Die Hugenotten“, wo sich auch das Pompöse und Pathetische fulminant behauptete. Selbst die Oper „Carmen“ von Georges Bizet wurde vorgestellt, wobei die Musikbeispiele aus anderen Werken schon fast überhand nahmen. Roman Poboinyi gestaltete die Verzweiflung des Don Jose mit ungebrochener gesanglicher Leidenschaft, die sich zu glutvoller Hitze steigerte. Anschließend begeisterten Joyce de Souza (Mezzosopran) und Anais Sarkissian (Sopran) beim bekannten „Blumenduett“ aus der Oper „Lakme“ von Leo Delibes mit filigranen Spitzentönen – sie verschwanden dann plötzlich in der riesigen Ahnengalerie des gewaltigen Ludwigsburger Residenzschlosses, was akustisch reizvoll war. Melodischer Schmelz und rhythmische Verve dominierten. Man erahnte die farbige Instrumentation. Philipp Franke gefiel als dämonischer Kuppler Malatesta beim Querverweis auf Donizettis Oper „Don Pasquale“ – und Roman Poboinyi und Anais Sarkissian überzeugten beim Liebesduett von Hoffmann und Antonia mit feinsinnigen dynamischen Steigerungen. Italienisches Melos und prickelnde rhythmische Essenzen vereinigten sich dabei in ansprechender Weise.
Schließlich wurde sogar aus Jules Massenets sehr selten zu hörender Oper „Cherubin“ zitiert, wo Anais Sarkissian die Liebeslust aufblühen ließ. Man begriff, wie stilvoll Massenet versuchte, das effektsichere Pathos der Großen Oper im Sinne von Giacomo Meyerbeer mit dem lyrischen Schmelz von Charles Gounod zu verbinden. Bernhard Epstein unterstrich am Klavier den emphatischen Impetus. Bei der „Barcarole“ aus Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ triumphierte wiederum das harmonische Gleichgewicht, das sich hier immer mehr zu verfeinern schien. Auch Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Die Hochzeit des Figaro“ imponierte mit Philipp Franke als voluminösem Grafen Almaviva, der forsch seine Ehre retten wollte. Dabei wies Epstein wiederum auf die Parallelen zu „Hoffmanns Erzählungen“ hin, denn der verzweifelte Dichter Hoffmann will hier sein verloren geglaubtes Spiegelbild retten. Roman Poboinyi konnte dem Herzog von Mantua in Giuseppe Verdis „Rigoletto“ bei der Arie „La donna e mobile“ Parlando-Zauber und vibrierendes Brio abgewinnen. Zum Abschluss trieb er dann wesensverwandt als unheimlicher Doktor Mirakel Antonia (höhensicher: Anais Sarkissian) im Duett mit ihrer Mutter (mit bewegenden Kantilenen: Joyce de Souza) bei Offenbach in den Tod. Da kam es schließlich nochmals zu einer gewaltigen dramatischen Steigerung bis zu den letzten Trillern auf f. Zuletzt hatte dann nur die Muse in der verführerischen Gestalt von Joyce de Souza gesiegt, alle anderen Damen mitsamt der männermordenden Kurtisane Giulietta waren verschwunden. Trotz der allzu häufigen Beispiele aus anderen Opern war diese Vorstellung von Offenbachs einziger Oper über weite Strecken ungewöhnlich und interessant. Es handelte sich um ein Team mit Gesangsstudenten der Stuttgarter Musikhochschule.
Alexander Walther