Richard Wagners „Lohengrin“ konzertant am 17. Juli 2022 im Forum am Schlosspark/LUDWIGSBURG
Monumental und plastisch im Ausdruck
Dieses 1850 in Weimar uraufgeführte Werk kann man als Schlüsselwerk im Schaffen Wagners bezeichnen, denn in ihm hat er neue Pforten hinsichtlich der harmonischen Behandlung des Orchesters geöffnet, die bis zum späteren „Parsifal“ nachwirken. Überhaupt erkennt man die Nähe zwischen beiden Werken beim bloßen Hören noch deutlicher wie bei einer Inszenierung. Gegen Lohengrin, der naht, um die schwer beschuldigte Elsa von Brabant gegenüber Friedrich von Telramund zu verteidigen, richtet sich der Hass Ortruds, der Tochter des entthronten Heidenfürsten Radbod. Mit ihr verbündet sich Telramund, um Elsa zur Verletzung des Frageverbots und zur Entweihung des Heiligtums zu bewegen. Elsa trotzt aus natürlicher Neugier und Eitelkeit der Frau diesem Verbot und büßt ihre Tat mit dem Abschied Lohengrins.
Diese Höhepunkte der Handlung kamen bei der packenden konzertanten Aufführung im Forum am Schlosspark gut zur Geltung. Die Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz musizierte unter der Leitung von Guillermo Garcia Calvo wie aus einem Guss. Das melodische und motivische Material erwuchs aus sich selbst, es gab keine stilistischen Brüche. Statt dessen stand der Fluss der Musik im Mittelpunkt, wovon die Sänger immer wieder deutlich profitierten. Auch die Leitmotivtechnik deutete sich an.
Im Zentrum der konzertanten Aufführung stand in jedem Fall der wandlungsfähige und geniale Tenor Klaus Florian Vogt als Lohengrin, der die sphärenhaft-leuchtenden A-Dur-Kantilenen seiner Partie in faszinierender Weise zu Gehör brachte. Seine Darstellung ist derzeit wohl konkurrenzlos. Vor seinem Erscheinen erklang das Thema in verschleiertem As-Dur, beim Abschied in düster-schmerzlichem a-Moll. Die strahlkräftige Sopranistin Astrid Kessler als Elsa von Brabant ließ das B-Dur als charakteristischen Wesensausdruck erkennen, während Jukka Rasilainen als Telramund und Monika Bohinec als Ortrud ihr gewaltiges fis-Moll betonten. Der dämonische Charakter der berühmten Auseinandersetzung im zweiten Akt sowie Ortruds ungeheure Racheschwüre besaßen bohrende dramatische Intensität, die hier aber noch steigerungsfähig wäre. David Steffens (Bass) als König Heinrich der Vogler ließ ein ehernes C-Dur machtvoll ertönen.
Die Sängerriege wartete dabei immer wieder mit präziser Intonation auf, was die Robert-Schumann-Philharmonie unter Guillermo Garcia Calvo unterstützte. Insbesondere beim Vorspiel betonte Calvo den Charakter der sinfonischen Dichtung. In zartestem Pianissimo beginnend und zu immer mächtigerem Klangvolumen anwachsend wurde die Ankunft des Grals geschildert. Neben den monumentalen Momenten rückte das Poetische deutlich in den Vordergrund. Es wurde bei dieser Interpretation jedenfalls deutlich, dass nur ein Thema und ein Gedanke das musikalische Geschehen beherrscht. Aus den zarten Flageolett-Tönen der Streicher entwickelten sich in geheimnisvoller Weise lichte Harmonien – und auch die verklärte Melodik wurde sehr gut herausgearbeitet. Allmählich verdichtete sich das harmonische Geschehen, Holzbläser und Hörner übernahmen deutlich die thematische Führung. Trompeten und Posaunen unterstützten machtvoll den vollen Glanz des großen Orchesters. Dabei überzeugte stets die klangliche Ebenmäßigkeit. Zuletzt erstrahlte das gewaltige ritterliche Thema in grandioser Deutlichkeit. Wagner selbst beschrieb das „Lohengrin“-Vorspiel in deutlichen Worten: „In keuscher Freude schwebt nun, lächelnd herabblickend, die Engelschaar wieder zur Höhe; den Quell der Liebe, der auf Erden versiegt, führte sie von Neuem der Welt zu; den ‚Gral‘ ließ sie zurück in der Hut reiner Menschen…“
Auch die kleineren Rollen waren hier opulent besetzt. Neben David Pershall als Heerrufer des Königs (Anm.d. Redaktion: nicht eben eine kleine, sogar sehr schwierige und wichtige Rolle) überzeugten ebenso Konrad Furian (erster Edler), Tommaso Randazzo (zweiter Edler), Enrico Buffon (drittler Edler) und Daniel Pastewski (vierter Edler). Eine Glanzleistung vollbrachten der subtil geführte Opernchor und Extrachor der Theater Chemnitz sowie der Kinderchor. Bei der konzertanten Aufführung und beim genauen Hören erkannte man auch stärker wie sonst die Nähe zum „Tristan“-Vorspiel, denn Guillermo Garcia Calvo legte auf den klaren strukturellen Aufbau des musikalischen Geschehens großen Wert. Das galt auch für das Frageverbot, das im Orchester zwischen a-Moll, G-Dur und C-Dur schwankte. Und auch der große musikalische Zauber bei Elsas erstem Auftreten mit den eindringlichen Klängen der „flehenden“ Oboe sowie des Englisch Horns wurde ausgezeichnet erfasst. Neben Astrid Kesslers gesanglicher Leuchtkraft als Elsa ließ vor allem auch Jukka Rasilainen als Telramund den trotzigen Wahn dieser Figur drastisch deutlich werden. Die heftig pochende Begleitung unterstrich markant seine Rebellion gegen das Abmahnen seiner Freunde. Ein klanglich überaus mächtig aufgebautes Gebet führte in fulminanter orchestraler Steigerung zum gewaltigen Kampf mit dem Gottesgerichts-Motiv. Und der geheimnisvoll abwärtsgehende Sekundenschritt des Rachemotivs bei der Begegnung Elsas mit Ortrud im zweiten Akt fesselte aufgrund seines Charakterisierungsreichtums. Ein Höhepunkt der Aufführung war zweifellos das Liebesduett von Elsa und Lohengrin im dritten Akt, wo sich neben den überwältigenden Klängen des Glücks auch eine wehmütige Dissonanz bemerbar machte. Sehr poetisch deutete der Dirigent Guillermo Garcia Calvo vor allem auch den Schluss des Werkes mit den Gralsmotiven und dem Lohengrin-Motiv, wobei es Klaus Florian Vogt als Lohengrin hervorragend gelang, in feinen dynamischen Abstufungen die seelischen Regungen des Protagonisten zu verdeutlichen. Wagner selbst bezeichnete die „Poesie“ als die „Erzeugerin des Dramas“. Und es war die besondere Poesie, die die Qualität dieser konzertanten Aufführung unterstrich.
Viele „Bravo“-Rufe, Begeisterung im Publikum.
Alexander Walther