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LUDWIGSBURG/ Schlosskirche im Residenzschloss: Internationale Bach-Akademie Stuttgart, Gaechinger Cantorey; H-C. Rademann

22.07.2023 | Konzert/Liederabende

Internationale Bach-Akademie Stuttgart bei den Schlossfestspielen in der Schlosskirche des Residenzschlosses am 21.7.2023/ LUDWIGSBURG

Eine bewegende Gerichtskantate

holk
Copyright: Holger Schneider

Bachs „Leipziger Kantatenschatz“ stand im Mittelpunkt dieses besonderen Konzerts im Rahmen der Ludwigsburger Schlossfestspiele. Bach sah Gott in erster Linie als gerechten Richter und interessierte sich auch für dessen Geheimnisse. Als Komponist wusste er auf die letzten Fragen immer eine überzeugende Antwort. Als Impuls las Anja Halle in diesem Zusammenhang einen Text von Ulrich Weinhold („Dem Vater die Rechnung übergeben“), der sich mit der Resozialisierung jugendlicher Straftäter im Seehaus Leonberg befasst. Ein wirklicher Zusammenhang mit den Kantaten Bachs ließ sich allerdings eher schwer finden. Denn Bach erzählt in diesen Kantaten vom Lebensende der Menschen. Sie bestechen durch ihre reife Abgeklärtheit, die Hans-Christoph Rademann mit der Gaechinger Cantorey übrigens immer klangschön zu Gehör brachte. Dies machte auch die dynamisch ausgewogene und transparente Wiedergabe von Johann Sebastian Bachs Kantate „Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht“ BWV 105 deutlich, wo die Gesangssolisten Miriam Feuersinger (Sopran), Elvira Bill (Alt), Benedikt Kristjansson (Tenor) und Matthias Winckhler (Bass) eine überzeugende Einheit bildeten. Hans-Christoph Rademann leitete hier die Gaechinger  Cantorey mit feinem Gespür für harmonische Vielschichtigkeit und Tiefe. Insbesondere der Chor hatte immer wieder große Augenblicke, die das Kirchenschiff ausfüllten. Die Arie Nr. 3 der Sopranstimme gewann in Miriam Feuersingers ausdrucksvoller Darstellung starkes Format: „Wie zittern und wanken der Menschen Gedanken!“ Die repetierten Noten der Violine klangen stark verinnerlicht und auch ängstlich, während die Oboe sich zwischen Himmel und Erde zu bewegen schien. Der Weg zur Lösung der Schuld verlief dabei bewegend über das Kreuz Christi, man vernahm in unheimlicher Weise die Sterbeglocken im Continuo. Die Solisten trugen den Text vor, dann folgte das gesamte  Ensemble mit den Instrumenten. Die Fuge beschrieb eindringlich die Bitte an den Herrn, nicht ins Gericht zu gehen. In dieser Gerichts- und Rechnungskantate machten sich vor allem die Streicherstimmen eindrucksvoll bemerkbar, die über dem Choralsatz geradezu erbebten. Aber es ergab sich hier kein störendes Vibrato, denn zuletzt triumphierten  auch wieder der protestantische Choral und die bemerkenswerte „musikalische Predigt“. Monteverdi, Gabrieli, Corelli und Vivaldi blieben ebenfalls bei Bachs Kantate zum 10. Sonntag nach Trinitatis „Schauet doch und sehet, ob irgend ein Schmerz sei“ BWV 46 spürbar, wo sich die betörende Melodie mit Sinnlichkeit, Kunst, Natur und Geist verband. Elvira Bill (Alt), Benedikt Kristjansson (Tenor) und Matthias Winckhler (Bass) machten die dynamischen Kontraste lebendig. Nach dem ergreifenden Eingangschor brillierte der ausdrucksstarke Bassist Matthias Winckhler bei der Arie Nr. 3 über das aufziehende Gewitter mit einer gewaltigen Koloratur. Der Charakter des Klagegesangs beherrschte die gesamte Kantate, wobei Hans-Christoph Rademann die Akzente nicht übertrieb. Die Skala zwischen Schmerz und Freude  sowie feierlichem Ernst und lyrischer Sensibilität wurde facettenreich ausgekostet. Die an Couperin gemahnende bilderreiche Klangwelt fehlte hier ebenfalls nicht. Der Geist schien bei dieser Wiedergabe das Tonmaterial bis in die letzten Tiefen zu durchforschen. Originalgetreues Musizieren stand immer wieder im Vordergrund. Und man erinnerte sich an die Worte des Preußenkönigs Friedrich II.: „Meine Herren, der alte Bach ist gekommen!“ Der „alte Bach“ richtete seinen Blick auch hier nach innen, in die Tiefe. Die Fuge blitzte zwischen Chromatik und Synkopen auf und fesselte bei dieser konzentrierten Interpretation aufgrund ihrer Intensität. Zuletzt überzeugte noch die dezente Wiedergabe der Kantate „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ BWV 76 zum 2. Sonntag nach Trinitatis, wo Johann Sebastian Bach ein Gleichnis aus dem Lukas-Evangelium musikalisch  bearbeitete. Wieder beherrschten Präludium und Fuge in bewegender Weise das musikalische Geschehen – und bei den Streichern beeindruckte insbesondere die Modulation von a-Moll nach d-Moll. Auch die Auseinandersetzung über die Abkehr der Menschheit von Gott ließ an spannungsvoller Dramatik nichts zu wünschen übrig. Insbesondere der abschließende Choral „Es danke, Gott, und lobe dich“ besaß bei dieser Interpretation eine bedeutsame Klarheit – in lebendiger Polyphonie blühte alles auf.

Begeisterter Schlussapplaus.

Alexander Walther

 

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