Liederabend mit Benjamin Appl am 13. Juli 2025 im Ordenssaal bei den Schlossfestspielen/LUDWIGSBURG
Unendlichkeit der Klangwelt
Die Nacht in all ihren geheimnisvollen Facetten stand im Mittelpunkt dieses bemerkenswerten Liederabends mit Benjamin Appl (Bariton), der auch bei Dietrich Fischer-Dieskau studierte, was man seinen Interpretationen anmerkt. Im Ordenssaal wurde er von James Baillieu einfühlsam am Klavier begleitet. Das Motto „Du heil’ge Nacht! Bald ist’s vollbracht“ zog sich in berührender Weise durch diesen sehr persönlichen Abend. Ein „Nachtstück“ von Franz Schubert bildete sogleich den geheimnisvollen Prolog, der sich dann mit Schuberts „Auf dem Wasser zu singen“ fortsetzte. Thematischer und harmonischer Reichtum blühten hier gleichermaßen auf, zeigten auch bei Schuberts „Der Wanderer an den Mond“ einen erstaunlichen Klangfarbenreichtum. Die romantische Unendlichkeit der Klangwelt öffnete sich dann ganz bei der beklemmenden Wiedergabe von Schuberts „Erlkönig“, wo Benjamin Appl zusammen mit James Baillieu die dramatischen Höhepunkte klug steuerte. Die Schönheit der Melodie entfaltete sich aber außerdem bei Schuberts „Der blinde Knabe“, wo die leiseren Schattierungen positiv auffielen. Melancholie und Leidenschaft lebten bei Peter Tschaikowskys Lied „Inmitten des lärmenden Balls“ op. 38/3 deutlich auf. Tschaikowsky vertonte dabei ein Gedicht von Alexei Konstantinowitsch Tolstoi. Inmitten des lärmenden Balls entdeckt das lyrische Ich eine Person, die intensive Emotionen auslöst. Zu Richard Strauss fand Benjamin Appl ebenfalls einen überzeugenden Zugang. „Ständchen“ op. 17/2 sowie „Morgen“ op. 27/4 besaßen einen geradezu überschwänglichen Ausdruck, der sich stets steigerte. Dabei wurden die wunderbaren Tiefen dieser Musik voll ausgelotet. Selbst das romantisch-schwärmerische Gefühl ließ sich hier nicht leugnen.
Es war das besondere Verdienst Benjamin Appls, dass er an diesem Abend auch an die Lieder der jüdischen Schriftstellerin und Musikerin Ilse Weber erinnerte, die sie während ihrer Internierung im Konzentrationslager Theresienstadt verfasste. Viele ihrer Kompositionen schrieb sie für die Kinder der Krankenstation, auf der sie arbeitete. Eingängige und ergreifend-schlichte Harmonien schildern bei „Ich wandre durch Theresienstadt“ und „Wiegala“ auch mit scheinbar romantischen Motiven die erschütternde Klarheit vor dem sicheren Tod. Ilse Weber starb 1944 nach ihrer Deportation nach Auschwitz. Offensichtlich hat sie laut Augenzeugenberichten ihre Lieder zusammen mit den Kindern noch kurz vor dem Sterben in der Gaskammer gesungen. Das Kunstlied bildete bei Ilse Weber also einen leisen Widerstand, der um so mehr erschütterte. Ihr musikalisches und literarisches Erbe wurde nach Kriegsende von ihrem Ehemann veröffentlicht. „L’Heure exquise“ von Reynaldo Hahn, „White in the moon the long road lies“ und „The Infinite Shining Heavens“ von Ralph Vaughan Williams bildeten zu diesen Liedern einen wirkungsvollen Kontrast. Mächtige Klangwirkungen und reiche Landschaftsstimmungen schienen sich hier abzuwechseln. Erstaunlich spätromantisch klang Arnold Schönbergs Lied „Warum bist du aufgewacht“, das in seiner stark chromatischen Tonsprache an seine Tondichtung „Pelleas und Melisande“ erinnert. Auch Hugo Wolfs „An die Geliebte“ erreichte hier eine bemerkenswerte dynamische Ausdruckssteigerung durch differenzierte Chromatik. Gewaltige Clusterbildungen bei der Klavierbegleitung fielen bei „The Children“ von James MacMillan ins Gewicht, wo es ebenfalls um einen tragischen Verlust geht, den Benjamin Appl in bewegender Weise nachzeichnete. Bei „Ein Traum“ von Edvard Grieg sowie „Wie rafft ich mich auf in der Nacht“ von Johannes Brahms traf er den melancholischen, immer prägnanten Naturton genau. Als Zugaben gefielen noch „Ich weiß bestimmt, ich werd‘ dich wiedersehen“ des Holocaustopfers Adolf Strauss sowie „An die Musik“ von Franz Schubert, wo das innere Feuer gesanglich aufloderte.
„Bravo“-Rufe.
Alexander Walther