Konzert Monrepos Open Air bei den Schlossfestpielen am 16. Juli 2022/LUDWIGSBURG
Reizvolle musikalische Entdeckungen
Zum ersten Mal konnte man wieder das legendäre Monrepos-Open-Air-Konzert nach der langwierigen Corona-Pandemie erleben. Das mit Engagement und Leidenschaft musizierende Orchester des Goethe-Gymnasiums Ludwigsburg unter der inspirierenden Leitung von Benedikt Vennefrohne spielte zunächst im Vorprogramm unbekannte Werke weiblicher Komponisten, die eine echte Entdeckung waren. Das „Allegretto“ aus der „Suite of Dances“ sowie „Adoration“ (bearbeitet für Kammerorchester von Robert Jones und Benedikt Vennefrohne) der schwarzen Komponistin Florence Price erinnerte zuweilen an Antonin Dvorak und George Gershwin, besaß aber eine ganz eigene Klangsprache. Von Melanie Bonis, die Mitstudentin von Claude Debussy am Pariser Konservatorium war, erklangen die harmonisch reizvollen und durchsichtigen Stücke Bourree op. 62/2 und Pavane op. 81/3 aus „Trois Danses“, wo Benedikt Vennefrohne vor allem die rhythmischen Effekte mit dem jugendlichen Orchester auslotete. Minimalistisch wirkte der „Dance of the Paper Umbrellas“ von der usbekisch-australischen Komponistin Elena Kats-Chernin. Das betont tänzerische Programm des Goethe-Gymnasiums wurde mit „Pas des Echarpes“ aus dem im Jahre 1888 entstandenen Ballett „Callirhoe“ von Cecile Chaminade beschlossen. Dieser beschwingte Walzer besaß hier eine ausgeglichene Dynamik.
In buchstäblich letzter Minute sprang der junge britische Dirigent Harry Ogg für die mexikanische Dirigentin Alondra de la Parra ein, die sich in Mexiko einen Bänderriss zuzog und deswegen nicht auftreten konnte. Und auch beim Konzert mit dem Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele konnte man unter seiner temperamentvollen Leitung überraschende Entdeckungen machen. Zunächst erklang die bekannte Ouvertüre zu „Ein Sommernachtstraum“ op. 21 von Felix Mendelssohn Bartholdy. In wahrhaft geheimnisvoller Weise wurden die 5000 Zuhörer vor dem Seeschloss Monrepos in Oberons Reich entführt. Im Mondlicht schienen schwebende Elfen zu tanzen, polternd ertönte das wilde Treiben der bunten nächtlichen Gesellschaft. Diese Traumpoesie verströmte eine geradezu festliche Heiterkeit. Stimmungszauber und Bildhaftigkeit dieser Klangwelten betörten die Zuhörer. Nicht nur Richard Wagner war von Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 7 in A-Dur op. 92 begeistert, die zu Beethovens größtem Publikumserfolg wurde. Das Thema der Einleitung verlor hier nie seinen freudig beschwingten Grundton – und auch das zweite Thema bestach als Erinnerung an eine Klaviersonate. Und die verschiedenen Seitengedanken, die sich im Abaluf der Sonatenform hier einfanden, entsprossen dem Hauptthema, was bei dieser Wiedergabe präzis nachgezeichnet wurde. Der Rhythmus behauptete sich dabei bis zur mitreissend-enthusiastischen Schlusssteigerung. In heftigen dynamischen Kontrasten spiegelte sich der Stimmungswechsel. Die berühmte Allegretto-Elegie des zweiten Satzes wirkte herb, fast wie ein Trauermarsch. Man spürte hier die Einflüsse auf Schubert. In Bratschen und Celli wurde eine klagende Gegenmelodie beschworen. Es kam zu einem ergreifend gesteigerten Zwiegesang. Mit milder Innigkeit versuchte eine Klarinettenmelodie das Geschehen zu besänftigen – doch im Bass-Rhythmus kehrte in unheimlicher Weise und leidenschaftlich-drohend der Trauermarsch wieder. Im Presto beschwor Harry Ogg mit dem rasant musizierenden Orchester den Stimmungsumschwung vortrefflich, wobei der Dreiklang des Hauptthemas sich übermütig behauptete. Im Trio Teil meldeten sich die Bläser und Klarinetten, wobei die Assoziationen zu einem österreichischen Wallfahrtslied beschworen wurden. In wahrhaft dionysischem Schwung entlud sich zuletzt das feurige Finale Allegro con brio, das Wagner als „Apotheose des Tanzes“ bezeichnete. Der ekstatische Taumel des Kopfthemas riss das Publikum unmittelbar mit, und das kapriziös-tänzerische Motiv eröffnete den vielgestaltigen Komplex dieses Sonatensatzes. Im Glanz von Hörnern und Trompeten erstrahlte der Reprisenteil nach der Durchführung in neuem Glanz – und eine überschäumend musizierte Coda beschloss den Satz.
Von Samuel Barber kennt man hierzulande hauptsächlich das elegische „Adagio“. In Ludwigsburg war nun sein weitgehend unbekannter Sologesang „Knoxville: Summer of 1915“ zu hören, wo ein sechsjähriger Junge in bewegender Weise über sein Leben nachsinnt. Nach einem Prosagedicht von James Agee wird hier in klanglich berührender und dichter Atmosphäre ein heißer Tag in den amerikanischen Südstaaten beschrieben. So meinte man auch bei der gelungenen Wiedergabe mit dem Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele unter Harry Ogg den Lärm der Heuschrecken aus der ganzen Luft zu hören. Und der Tenor Julian Pregardien zeichnete das Weltbild des kleinen Jungen in kühnen Intervallen und hymnischen klanglichen Aufschwüngen nach. Zum Orchester-Scherzo „Der Zauberlehrling“ von Paul Dukas nach der Ballade von Goethe wurde dann ein gigantisches Feuerwerk abgebrannt, das seinesgleichen suchte. Und sehr witzig wurde hier das Geschehen der Ballade auch vom Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele unter Harry Ogg in zwingende Klangbilder umgesetzt. Gefährlich wogend rauschte das Wasser, das die rührigen Hexenbesen heranschleppten, bis es dem armen Zauberlehrling bis zum Hals stand. Die Dämonie der Ballade kam auch hier in glitzernden Tonschilderungen und einem feurigen Blendwerk zum Vorschein. Der drollige Wetteifer des Fagotts zeichnete das unheimliche Werk des Besens nach. Plastische Thematik und ausgesuchte Farbgebung der Instrumentation feierten Triumphe. Zuletzt erklang noch „Danzon no. 2“ von Arturo Marquez, wo die Volksweisen der mexikanischen Heimat des Komponisten rhythmisch förmlich explodierten. Riesenjubel, großer Schlussapplaus.
Alexander Walther