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LUDWIGSBURG/ Schlossfestspiele: ERÖFFNUNGSKONZERT – Triumph thematischer Vielfalt

05.05.2022 | Konzert/Liederabende

Eröffnungskonzert der Ludwigsburger Schlossfestspiele am 5. Mai 2022 im Forum am Schlosspark/LUDWIGSBURG

Triumph thematischer Vielfalt

„No More War“ lautete das Motto dieses bewegenden Eröffnungskonzerts mit der ukrainischen Dirigentin Oksana Lyniv. Die Hoffnung auf ein baldiges Ende des Krieges zwischen Russland und der Ukraine rückte ins Zentrum des Geschehens. Neben der Arbeit am „Figaro“ vollendete Wolfgang Amadeus Mozart im Winter 1785/86 das Klavierkonzert Nr. 23 in A-Dur KV 488. Da es ohne Trompeten instrumentiert ist, wirkt es sehr durchsichtig und wird von selbstsicherer Natürlichkeit und formaler und thematischer Präzision beherrscht. Der israelische Pianist Iddo Bar-Shai interpretierte dieses Werk mit dem Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele unter der Leitung von Oksana Lyniv höchst einfühlsam. Die Heiterkeit und Helle des Allegros wurde hier voll erfasst – und selbst die dunklen Schatten kamen zu ihrem Recht. Die Harmonik verblüffte auch immer wieder mit ihrem Hang zu ferner gelegenen Tonarten. Dadurch wurde der geheimnisvolle Charakter dieser Komposition unterstrichen. Die Skala der Stimmungen spiegelte sich im Hauptthema, das sich erst ganz allmählich entwickelte. Das zweite und dritte Thema fügte sich organisch fließend ein, was Iddo Bar-Shai mit dem Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele unter Oksana Lyniv überzeugend verdeutlichte. Die knappe Durchführung hinterließ ebenfalls einen bleibenden Eindruck. Die Zusammenfassung des gesamten Satzes in der Kadenz besaß hier etwas ungemein Imponierendes. Die Trauer des Adagio wirkte bei dieser Wiedergabe erschütternd. Der Siciliano-Rhythmus der Adagio-Melodie entfaltete sich dabei in wunderbarer Weise. Heiter und geistvoll zugleich kam dann das Rondo-Finale daher, das zu einem erfrischenden Dialog zwischen Solist, Dirigentin und Orchester geriet. Im Mittelteil schien das Adagio in bewegender Weise hachzuhallen, aber eine höhere Ironie rückte das musikalische Geschehen in eine witzig funkelnde Sphäre. Als Zugabe spielte Iddo Bar-Shai noch mit hervorragendem Ausdruck eine Piece von Frederic Chopin. Statt Tschaikowskys sechster Sinfonie hatte Oksana Lyniv danach Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 5 cis-Moll ausgewählt, die mit ihrem doch recht optimistischen Schluss die Ereignisse in der Ukraine positiver kommentiert. Die stark besetzten Bläser bestimmten auch bei dieser bemerkenswerten Interpretation diese 1902 vollendete Sinfonie, deren militärischer Charakter von Oksana Lyniv sehr klug unterstrichen wurde. Gleichzeitig ist ihre Wiedergabe ein weiblicher Triumph über alles Militärische, wobei Mahlers Melancholie und Weltschmerz immer wieder hervorstechen. Das bei Mahler oft kritisierte krampfthafte Über-sich-selbst-Hinauswollen ordnet sich hier einer starken formalen Geschlossenheit unter, die auch eine neue Sichtweise auf dieses Werk bietet. Der erste Satz ist ein „Trauermarsch, streng wie ein Kondukt“. Und das elegische Hauptthema der Streicher wurde dabei in schmerzlich-duldender Klage ausgekostet. Nach dem Pomp funebre der Einleitung und wildem Aufbäumen folgte die ebenfalls emotional aufgewühlte Marschweise. Dabei blitzte jene Melodie auf, die Mahler in seien „Kindertotenliedern“ mit den Worten „Freudenlicht der Welt“ zitiert hat. Der leidenschaftliche Anstieg sank hier in schmerzliche Resignation zurück. Oksana Lyniv fand auch für den stürmisch-zerklüfteten zweiten Satz eine überaus bewegende Sichtweise. Der Weltschmerz  trat nun aufbegehrend ans Licht, die Anklage jagte wie eine Naturgewalt dahin – bis sich in den Celli eine ergreifende Trostmelodie ausbreitete. Das Schlussthema des ersten Satz klang nach. Über dem Paukenwirbel  behauptete sich dann eine wehmütige Melodie und schwoll in einer gewaltigen dynamischen Steigerung sieghaft an. Der Choral verkündete schließlich in strahlender Pracht die Erlösung. Und es gelang Oksana Lyniv sehr überzeugend, die gegensätzlichen Stimmungen und  Momente dieses Satzes einzufangen. Erdnahe Daseinsfreude prägte das Scherzo, in dessen aufstampfender Tanzmelodie Naturlaute erklangen. Gefühlvoll-träumerische Weisen betonte die Dirigentin mit dem Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele hier sensibler wie viele andere Dirigenten. Das Adagietto hat Mahler seiner Frau Alma gewidmet. Im Klang von Streichern und Harfe entspann sich ein Traum von Einsamkeit und Weltvergessenheit, dessen ruhig-innige und sanft-drängende Melodien sich voll entfalten konnten. Man dachte an das Motto „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ – so sphärenhaft ließ Oksana Lyniv den Satz mit dem Orchester schließlich verklingen. Energisch und froh erklangen zuletzt alle Themen, die im rasant musizierten Rondo-Finale aufleuchteten. Die Doppelfuge mit Choral arbeitete Oksana Lyniv mit dem Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele akribisch heraus. Kraft und Tatendrang der Themen suchten ihresgleichen. Großer Jubel des Publikums. Zuvor hatte Intendant Jochen Sandig für sein ambitioniertes Programm geworben, das in diesem Jahr ganz im Zeichen  des Konflikts Russlands mit der Ukraine steht. Und Bundespräsident a. D. Prof. Dr. Horst Köhler bemerkte bei seiner Festrede, dass  es ein Fehler sei, russische Kultur aufgrund des Krieges aus den Programmen zu verbannen. „Herr Putin, kommen Sie zurück zur Agenda 2030!“  rief er in den Saal. Und niemand konnte sich der Wirkung dieser Worte entziehen.

Alexander Walther

 

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