Grafik: Daniel Wiesmann
“ DAS ISOLIERTE LEBEN „Pixel-Sinfonie“ als Online-Installation bei den Schlossfestspielen/LUDWIGSBURG (18.6.2020)
Der Komponist Michael Rauter nutzt Ludwig van Beethovens 6. Sinfonie in F-Dur op. 68 „Pastorale“ für einen suggestiven Einblick in das isolierte Leben. Jeder Musiker spielt hier einzeln, bringt sich in die Spielposition „Beethoven“. Und jedes Instrument erklingt auch allein. Da hört man dann vieles neu und anders. Und wenn sich das gesamte Orchester irgendwann begegnet, entsteht ein neues Bild – ein wie ein Mosaik zusammengesetztes „Pixel-Bild“ aus vielen Einzelteilen. Die Kraft einer Gesellschaft in der Corona-Krise soll hier sichtbar werden.
Mitglieder des Orchesters der Ludwigsburger Schlossfestspiele, das Solistenensemble Kaleidoskop sowie Studierende der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart sowie weiterer Hochschulen lassen bei Michael Rauters diffiziler Komposition Beethovens „Pastorale“ gleichsam neu entstehen, lauschen den Klängen behutsam nach. Das wirkt zuweilen alles wie in Zeitlupe. Man vernimmt ein besonders ausdrucksvolles Klarinetten-Solo, einzelne Bilder und Klangflächen treten hervor. Die Pauken verkünden ein energisches Staccato, dazwischen erscheint ein visuelles Feuerwerk. Die Musiker setzen sich sogar vor die Kamera. Die Gefahr der Verfremdung von Beethovens Musik wird so ganz bewusst in Kauf genommen. Lieblingsthemen der musikalischen Naturnachahmung stehen plötzlich im Zentrum. Im ersten Satz dominiert heitere Besinnlichkeit, die das schlichte Eröffnungsthema erfüllt. Seinen wahren Reichtum offenbart es auch hier bei immer neuen harmonischen Abwandlungen: „Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande“. Das gesamte reiche Material des Sonaten-Satzes wird ausgeschöpft. Selbst das nuancenreiche Wechselspiel des Streichquintetts mit den Holzbläsern sticht grell hervor. Der zweite Andante-molto-mosso-Satz „Szene am Bach“ erscheint zunächst fast schemenhaft. Über dem friedlichen Murmeln des Baches in den Streichern singen die ersten Violinen eine ruhige Melodie, in der das erste Thema weiterlebt. Alles wirkt stark verfremdet, was nicht unproblematisch ist. Doch die Wirksamkeit des breiten Flusses macht sich dennoch ganz allmählich bemerkbar. Auch die geheimnisvollen Schatten ferner Harmoniebereiche werden bewusst ausgelotet. Selbst Vogelstimmen kommen zu Gehör: In den Trillern der Flöte seufzt die Nachtigall, die Oboe zeichnet den Wachtelschlag nach und die Klarinette mimt den Kuckucksruf.
Die Ausgelassenheit des folgenden Scherzos kommt zwar zögerlich, doch dann klar zum Vorschein – alles geschieht in einem äusserst gemächlichen Tempo. Die einfache Oboenmelodie wird durch Humor und Parodie gekennzeichnet, und die Geigen geben dazu monoton den Rhythmus. Selbst der kurze Trioteil ist ganz versteckt herauszuhören. Das „Gewitter“ des vierten Satzes gerät hier zum großen orchestralen Höhepunkt. Der ferne Donner kündigt sich schon in Celli und Bässen an. Blitz und Sturm durchbricht plötzlich die ängstliche Erregung, alles gerät in wilden Aufruhr. Zuletzt triumphiert wieder Beethovens heroisch-idealistische Weltanschauung im Finale. Dieser „Hirtengesang“ erreicht auch bei Michael Rauter eine ungewöhnliche Intensität und Farbigkeit als Dankgesang der Menschheit und hymnischer Lobpreis der Natur. Leise verrieselnde Streicherfiguren begleiten das Horn geheimnisvoll und fast ersterbend bei der schalmeienden Hirtenweise. Fazit: Trotz kleinerer Abstriche ein interessantes Projekt mit digitalem Zuschnitt.
Alexander Walther