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LUDWIGSBURG/ Forum Schlosspark/Gastspiel Deutsches Theater Berlin: DIE GLASMENAGERIE von Tennessee Williams

13.01.2018 | Theater

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Anja Schneider  und Linn Reusse. Copyright: Arno Declair

„DIE GLASMENAGERIE“ von Tennessee Williams mit dem Deutschen Theater Berlin am 12. 1. 2018 im Forum am Schlosspark/LUDWIGSBURG

TRISTER ALLTAG KEHRT ZURÜCK

Sie wollen nur „ein kleines bisschen Glück“. Familie Wingfield gibt auch in der subtilen Regie von Stephan Kimmig nicht auf. Rückschläge und Enttäuschungen haben vor allem der Mutter Amanda das Leben schwer gemacht. Der Vater hat die Familie schon vor Jahren verlassen. Der Sohn Tom ernährt sie durch seine Arbeit in einem Lagerhaus. Sein Traum als Schriftsteller bleibt unerfüllt. Amanda nervt ihre Kinder mit übertriebener Mutterliebe. Vor allem der Sohn begehrt gegen die Mutter heftig auf, er will nicht mit ihr über seine Schwester Laura sprechen. Es kommt fast zu Tätlichkeiten – und dann wieder zu seltsam unnatürlichen Anhänglichkeiten zwischen Mutter und Sohn. Die Mutter fühlt sich hinsichtlich ihrer Beziehung zu den Kindern als „alte Hexe“.

Anja Schneider als Amanda Wingfield und Marcel Kohler als Tom Wingfield liefern hier ausgezeichnete Charakterstudien, die beim Zuschauer bleibenden Eindruck hinterlassen. Als schüchterne und weltabgewandte Tochter Laura kann Linn Reusse überzeugen. Zur Musik von Michael Verhovec zeigt sie immer wieder auch ungewöhnliche tänzerische Einlagen und verblüffenden körperlichen Einsatz. Sie hat sich ganz auf ihre Sammlung zerbrechlicher Glastiere konzentriert. Hier kann sie die Realität vergessen, was Stephan Kimmig im weiträumigen Bühnenbild von Katja Haß (Kostüme: Anja Rabes) gut herausarbeitet. Auf Wunsch der Mutter bringt Tom eines Abends seinen Arbeitskollegen Jim O’Connor mit, der von Holger Stockhaus mit vielen Facetten gemimt wird, wenngleich eine gewisse Tolpatschigkeit in besonderer Weise hervorsticht. Stephan Kimmig gelingt es hier trotz des tristen Bühnenbildes, den entscheidenden Wendepunkt im Leben der unglücklichen Familie Wingfield zu markieren. Das Festhalten von Träumen und die Angst vor dem Alltag treten so grell ins Rampenlicht. Laura soll verkuppelt werden – und sie erliegt schließlich Jims relativ plumpen Annäherungsversuchen. Es kommt zum Kuss – dabei zerbricht eines der Glastiere. Linn Reusse macht gerade diesen „Schreckensmoment“ hervorragend deutlich. Wie in Trance betäubt sie dabei ihren tiefen seelischen Schmerz. Gleichzeitig nimmt sie ihre Behinderung durchaus drastisch wahr. Als ein Sicherungskurzschluss für kurze Zeit das Licht ausgehen lässt, kommt es zu einem berührenden psychologischen Kammerspiel zwischen den immer zerbrechlicher wirkenden Figuren im Licht von schimmernden Kerzen. Schließlich offenbart Jim der fassungslosen Laura, dass er eigentlich verlobt sei und bald heiraten werde: „Ich hätte das nicht machen dürfen…“

Jetzt befindet sich nicht nur die Mutter in einem desolaten Zustand. Laura, die das „große Erlebnis“ in sich aufbrechen zu fühlen glaubte, bleibt einsam und allein in ihrer Glasmenagerie zurück. Die Mutter nimmt ihr Kind in dieser Inszenierung letztendlich aber nicht in die Arme, um es zu trösten. Auch die einzelnen Familienmitglieder entfremden sich nach Jims plötzlicher Verabschiedung immer mehr voneinander. Jim muss sich zuvor von der Mutter ohrfeigen und mit Wasser übergießen lassen, nachdem er sich auch ihr erotisch genähert hat. Und Tom, der mittlerweile Mitglied einer Seemannsgewerkschaft geworden ist und wie sein Vater durchbrennen möchte, agiert nur noch hilflos, weil er von allem nichts gewusst hat.

So kehrt nach einem merkwürdigen emotionalen Höhepunkt der triste Alltag ins Leben dieser Familie umso trostloser zurück. Es herrscht nur noch bedrückende Ratlosigkeit, die Stephan Kimmig in einfühlsamer Weise offenbart. Doch die Musik läuft einfach weiter. Man hat zuletzt fast den Eindruck, als ob die Protagonisten auf weitere Besucher und ein neues Abenteuer warten. Tragische Schönheit steht hier neben frappierenden komödiantischen Einlagen, bei denen die fulminanten Darsteller ihren Spielwitz durchaus ausleben können. Das sind neue szenische Ansätze.

Alexander Walther

 

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