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LUDWIGSBURG/Forum Schlosspark: TSCHECHISCHES NATIONALBALLETT

04.05.2025 | Ballett/Performance
Tschechisches Nationalballett im Forum am Schlosspark Ludwigsburg
Starke Gegensätze
 
Tschechisches Nationalballtett am 3. Mai 2025 im Forum am Schlosspark/LUDWIGSBURG
 
tsc
Copyright: Tschechisches Nationalballett
 
Zum ersten Mal hat das 1883 gegründete Tschechische Nationalballett (das Ballett des Nationaltheaters in Prag) im Forum gastiert. Als deutsche Erstaufführung ist hier „Moving Rooms“ in der subtilen Choreografie von Krzysztof Pastor zu sehen. Dabei werden verschiedene Bedeutungen eines Zimmers untersucht, Räume nehmen immer wieder neue Formen an. Fünf Männer und sechs Frauen werfen ihre Köpfe energisch hin und her, während sie sich in ständig wechselnden Lichtfeldern begegnen. Ihr Bewegungsraum wird von Scheinwerfern begleitet, die mit den scharfen und kantigen Klängen von Alfred Schnittkes Concerto Grosso Nr. 1 und dem Concerto für Harpsichord and String Orchestra op. 40 von Henryk Gorecki korrespondieren. Neue Klangmittel und traditionelle Elemente werden tänzerisch konsequent umgesetzt. Das kontrapunktisches Geflecht wird hier in raffinierter tänzerischer Weise präsentiert. Ein bestimmter Raum gibt dem Betrachter dabei Freiheit, er versetzt die Protagonisten aber auch in Angst. Das Licht macht den Raum auch kleiner und begrenzter. Die Tänzerinnen und Tänzer nähern sich paarweise an – wütend, unterwürfig, herrisch, abweisend. Sie kommen und gehen durch eine einzige Bühnentür, die sie heftig zuschlagen. Die Kostüme von Oliver Haller unterstreichen diese explosive Situation. Die Jeans dieser Männer spielt auf die 1970er Jahre an. Die Tänzer verhöhnen sich hier gegenseitig. Zu Beginn werden sie von Krzysztof Pastor in ihre eigenen Lichtquadrate gesperrt, die sie nicht mehr loslassen. Die Tänzer brechen aber auch aus ihrem Gefängnis aus. In „Moving Rooms“ bestimmen sie letztendlich ihre Räumlichkeiten selbst. 
 
In dem Ballett-Klassiker „Frank Bridge Variations“ aus dem Jahre 2005 zeigt Hans van Manen in krasser Weise, was zwischen Menschen passieren kann. Raffinierte Einfachheit fesselt dabei den Zuschauer.  Die Choreografie basiert auf den „Variationen über ein Thema von Frank Bridge“ von Benjamin Britten. Hans van Manen verwendet neun der elf Themen aus dieser Komposition für Streichorchester. Fünf Paare in weinroten und waldgrünen Kostümen bewegen sich zart und sinnlich, verhaltene Spannung überwiegt. Die Paare heben sich auch gegeneinander hoch, bevor sie in den Kulissen verschwinden. Das sind starke Bilder, die sogar eine hypnotisierende Wirkung haben. Zwei männliche Tänzer bestreiten virtuos-kämpferische Soli. Das erste Solo gleicht einem Marsch, das zweite wird zu einem Perpetuum mobile.  Diese Komposition besitzt einen hohen Grad technischen Könnens, der vom Tschechischen Nationalballett facettenreich umgesetzt wird.
 
Einflüsse Mahlers schaffen hier auch Verbindungen zu „Fly Paper Bird“, der Choreographie von Marco Goecke zu Gustav Mahlers fünfter Sinfonie. Zwischen den Tänzern passiert bei Marco Goecke (Bühne und Kostüme: Thomas Mika) etwas ganz Besonderes, Unwiederholbares. Eine ungeheure, elektrisierende Spannung liegt in der Luft, die von Nebel eingehüllt ist. Das Stück beginnt mit einem männlichen Solisten. Blitzschnelle Armbewegungen unterstreichen die starken seelischen Erregungen des zweiten Satzes der fünften Mahler-Sinfonie. Aufbegehrend brechen sie ans Licht, der Tänzer scheint  mit dieser verzweifelten Musik um die Wette zu tanzen. Es folgt ein Pas de deux, bei dem sich die Tänzer umklammern und wieder trennen. Die introvertierte Episode führt zu einem starken Kontrast innerer Konzentration, der den Zuschauer fesselt. Die Trostmelodie der Celli geht unter die Haut, entfesselte Naturgewalten jagen atemlos davon. Am Ende des zweiten Satzes wird es still. Flüsternd rezitiert eine Ballerina einige Zeilen aus dem Gedicht „Mein Vogel“ von Ingeborg Bachmann. Dieses ergreifende Innehalten begleitet die gesamte Gruppe. Das Schlussthema des ersten Satzes klingt nach, das Gefühl des Feierlichen beherrscht die Szene.  Und doppelt gewaltsam schnellt die grelle Anklage wieder hervor. Über dem Paukenwirbel erklingt die wehmütig-versöhnliche Melodie mit großer Intensität. Wie von fanatischen Peitschenhieben werden die Tänzer angetrieben, bis endlich ein strahlender Kontrast den Sieg verkündet. Der vierte Adagietto-Satz wird vom suggestiven Dialog zwischen den Harfen und Streichern beherrscht, der von den Tänzerinnen und Tänzern manchmal auch geradezu sphärenhaft zelebriert wird. Doch auch hier besitzen sie starke seelische Spannungen. Die Zeitlichkeit spielt bei dieser Choreographie eine große Rolle. Schmerz und Leid des Ich werden überwunden. Der Traum der Einsamkeit und Weltvergessenheit weckt aber auch einen geheimnisvollen optischen Zauber – aber ganz anders als in Luchino Viscontis Verfilmung des „Tod in Venedig“. Die zarten Momente unterstreichen den rettenden Schritt. Jubel und Ovationen im Forum. 
 
Alexander Walther

 

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