Genial-packende Toschilderung

Hans-Christoph Rademann. Foto: Holger Schneider
Dieses knapp dreistündige Oratorium erklang hier mit der Gaechinger Cantorey unter der inspirierenden Leitung von Hans-Christoph Rademann in einer auf zwei Stunden gekürzten Fassung, bei der der Stuttgarter Stadtdekan Soren Schwesig als Sprecher der Handlung mitwirkte. Es war eine großartige Aufführung mit pompösen Akzenten, die aber trotzdem harmonisch transparent wirkten.
Im Jahre 1738 entstand das Oratorium „Saul“, dessen Handlung sich mit Honeggers „König David“ berührt. Nebensächlichkeiten und Wiederholungen kennzeichnen das grandiose Werk, das für Georg Friedrich Händel typisch ist. Gleichzeitig weist die Komposition weit in die Zukunft. Die Handlung beginnt nach dem Sieg der Israeliten über Goliath, den die Gaechinger Cantorey als beschwingter Chor (mit eingeflochtenem Sopran-Solo und Männerstimmen-Terzett) gesanglich überzeugend feierte. David, der Sieger, erhält zum Lohn seiner Tat Michal, Sauls Tochter, zur Frau, doch der ehrgeizige Saul hört mit zornigem Neid die Lobgesänge auf den jungen Helden. Er beauftragt seinen Sohn Jonathan, David umzubringen. In seiner Wut lässt er sich sogar dazu hinreissen, selber den Speer auf David zu schleudern.
Dieses Geschehen vermochte Hans-Christoph Rademann mit der vorzüglichen Gaechinger Cantorey sehr dramatisch darzustellen. Die dynamischen Steigerungen wirkten ausgesprochen packend und überzeugend. David flieht, und Jonathan stellt sich dem Vater zum Trotz auf die Seite von „Israels Erretter“. Saul möchte den jungen Rivalen mit Hilfe von Mördern beseitigen. Auch Merab, Michals Schwester, missbilligt das verblendete Verhalten ihres Vaters – und als Jonathan gar dem Vater gegenüber David in Schutz nimmt, wirft Saul in maßlosem Zorn den Speer nach dem eigenen Sohn, der sich aber retten kann. Saul sucht in verzweifeltener Hilflosigkeit vor der entscheidenden Schlacht gegen die Philister die Hexe von Endor auf, um mit ihrer Hilfe den Geist Samuels zu beschwören. Er erhält die Auskunft, dass sein Thron an David fallen werde. In der Schlacht kommen Jonathan und Saul ums Leben, sie werden von David betrauert.
Die hervorragenden Gesangssolisten Johanna Winkel (Sopran, Michal, Sauls Tochter), Yeree Suh (Merab, Sauls Tochter), Benno Schachtner (Countertenor, David), Joshua Ellicott (Tenor, Jonathan, Sauls Sohn) und Andreas Wolf (Bass, Saul, König von Israel) füllten das bewegende Geschehen mit voluminöser Kraft und Klarheit aus. Auch Christoph Pfaller (Tenor, Hexe), Christopher Renz (Tenor, Amalekiter) und Tobias Ay (Bass, Geist Samuels) trugen zur gelungenen Umsetzung des fast opernhaft wirkenden Stoffes bei. Hans-Christoph Rademann arbeitete insbesondere die verschiedenen Arien mit beredtem Stimmungs- und Seelenausdruck heraus. Auch die vielgestaltigen Szenen zur Feier des Sieges am Beginn, der überaus wuchtig gestaltete Chor „Neid, du Erstgeburt der Hölle!“ und die eindrucksvolle Trauermusik gegen den Schluss hin gerieten zu Höhepunkten genial-packender Tonschilderung. Dieser Trauermarsch aus dem dritten Akt gelangte übrigens zu weltweiter Berühmtheit. Er wurde beim Begräbnis von Winston Churchill, von George Washington und bei der Beisetzung des ermordeten Abraham Lincoln gespielt. In Deutschland ist er Standard-Trauermarsch der Bundeswehr. So wurde das biblische Drama mit immer größerer Intensität deutlich. Der wandlungsfähige Bassist Andreas Wolf wurde den Da-capo-Arien immer wieder in facettenreicher Weise gerecht. Auch seine Rachearie „A Serpent in my Bosom warm’d“ ging unter die Haut. Rademann gelang es sehr gut, seine Gesangssolisten zu wahren Höchstleistungen anzuspornen. Im feinen Siciliano-Rhythmus kam dann das Liebesduett Michals und Davids „O Fairest of ten thousand Fair“ im zweiten Akt daher, wo sich auch die sensibel begleitenden Oboen profilieren konnten. Klar wurde bei der beeindruckenden Aufführung außerdem, dass Sauls wichtigster Gegenspieler der Chor der Israeliten ist, dem die Gaechinger Cantorey nicht nur beim überwältigenden Triumphgesang großes Format verlieh. So gestaltete Hans-Christoph Rademann als Dirigent den Rhythmus des Werkes immer fieberhafter und ungestümer, die harmonischen Wogen schwollen zu aufpeitschenden Wellen an, die Klangregie ließ hier wirklich keine Wünsche offen. Ein weiterer Gipfelpunkt war die gewaltige Chorfuge „Our fainting Courage“. Und das imponierende „Halleluja“ erinnerte an Händels „Messias“. Der Schlusschor „Gird on thy Sword“ geriet zu einer majestätischen Hymne in C-Dur, wo sich Trompeten, Posaunen und tiefe Kesselpauken monumental behaupten konnten. Thematische Assoziationen und Motive betonte Rademann mit dem Ensemble aber nie aufdringlich, sondern immer wieder mit höchster Konzentration. Jubel, große Begeisterung.