„Magnificat“ von Johann Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bach mit der Gaechinger Cantorey als Stream am 24. 12. 2020 aus dem Forum am Schlosspark Ludwigsburg/
Themen wie Marmorquadern
Für Weihnachten 1728 geschrieben und später auf Halbstundendauer zusammengedrängt, ist das „Magnificat“, der „Lobgesang Mariae“, die große musikalische Auslegung des Evangelientextes von Lukas. Als jubelnder Frauenchor setzt das Werk bei Johann Sebastian Bachs „Magnificat“ D-Dur BWV 243 (mit weihnachtlichen Einlagesätzen) ein. Hans-Christoph Rademann und die Gaechinger Cantorey betonen insbesondere den fast überschwänglich gestalteten Chor „Meine Seele erhebet den Herrn“ mit wogender Klangpracht, die die Trompeten wirkungsvoll unterstreichen. Intimer drückt die Sopran-Arie „Und mein Gebet freuet sich“ die erwartungsvolle Gehobenheit aus, während die Arie des zweiten Soprans (facettenreich begleitet von der Oboe d’amore) die fromme Demut der niedrigeren „Magd“ herausstellt. Miriam Feuersinger (Sopran) und Anja Scherg (Sopran II) gestalten hier mit kristallklaren Kantilenen diese beiden ausdrucksstarken Arien. Anschaulich und plastisch verkündet der Chor der Gaechinger Cantorey unter der einfühlsamen Leitung von Hans-Christoph Rademann, wie alle „Kindeskinder“ Maria, die Auserwählte, seligpreisen werden. „Denn Er hat Großes an mir getan“ bestätigt anschließend die Arie des Basses, der Markus Eiche mit rundem Timbre ein hoffnungsfrohes Profil verleiht. Von der unwandelbaren Barmherzigkeit singen hier Alt und Tenor mit einer intensiven Melodie, die im Klang von Violinen und Flöten auf das Kind von Bethlehem hindeutet. Marie Henriette Reinhold (Alt) und Patrick Grahl (Tenor) ergänzen sich bei diesen Passagen sehr gut, werden von der Gaechinger Cantorey unter Rademann auf geradezu sphärenhaften Ebenen emporgetragen. Breitspurig und stolz malen laut Albert Schweitzer die Tonschritte des Chores „Er übet Gewalt“ die Macht Gottes, was Rademann mit der Gaechinger Cantorey ausdrucksstark betont. Und wie Marmorquadern reihen sich die Themenkomplexe in gewaltiger Weise aneinander. Am Schluss schlägt die Stimmung zu den Worten „in ihres Herzens Sinn“ unvermittelt um. Nicht weniger bildhaft und eindringlich wird dabei die Tenor-Arie „Er stößt die Gewaltigen vom Stuhl“ von Patrick Grahl gestaltet. Und die Alt-Arie „Die Hungrigen füllet er mit Gütern“ erhält dank Marie Henriette Reinhold ein prägnant-voluminöses Klangbild. Überirdisch klingt das Frauenterzett „Er denket der Barmherzigkeit“. Licht und träumerisch umspielen die drei Stimmen die in den Oboen aufstrahlende Melodie des Chorals „Meine Seel‘ erhebt den Herren“. Die beiden abschließenden Chorsätze gestaltet Hans Christoph Rademann mit der Gaechinger Cantorey ebenfalls souverän. Die machtvoll ansteigende Fuge „Wie er geredet hat unsern Vätern“ mündet in das grandiose „Gloria“, dessen überschwängliche Freudenmelodie sich bei dieser Interpretation tief einprägt. Bei der anschließenden Wiedergabe von Carl Philipp Emanuel Bachs „Magnificat“ Wq 215 zeigt sich in der transparenten Interpretation von Hans-Christoph Rademann und der Gaechinger Cantorey mitsamt den gut aufeinander abgestimmten Gesangssolisten einmal mehr die erstaunliche Nähe Carl Philipp Emanuel Bachs zum Werk seines Vaters. Dies betrifft vor allem die abschließende Fugengestaltung, aber auch die von dialektischen Spannungen lebende Motivtechnik, die Rademann mit dem vorzüglichen Ensemble minuziös auslotet. Das für den musikalischen „Sturm und Drang“ typische Schwanken zwischen extremen Stimmungsgegensätzen tritt bei Carl Philipp Emanuel Bachs „Magnificat“ natürlich deutlich stärker hervor, was Rademann als Dirigent überzeugend herausarbeitet. Selbst romantische Klangvorstellungen sind dabei herauszuhören. Haydn, Mozart und selbst Beethoven lassen hier grüßen. „Er ist der Vater. Wer von uns was recht’s kann, hat’s von ihm gelernt“, sagte Mozart über Carl Philipp Emanuel Bach. Diese erstaunliche Mozart-Nähe betont Rademann mit dem Ensemble gleich zu Beginn, wenn die Streicher mit stupender Geschwindigkeit die chromatischen Läufe unterstreichen. Markus Eiche (Bass) bietet bei „Fecit potentiam“ eine klanglich opulente Interpretation (die Aufzeichnung erfolgte am 5. und 6. 12. 2020 im Forum am Schlosspark und wurde später als Stream freigegeben).
Alexander Walther