Copyright: Leszek Januszewski
Haydns „Jahreszeiten“ mit Musik von Vincent Wikström zum Ludwigsburger Stadtjubiläum am 15.3.2018 im Forum am Schlosspark/LUDWIGSBURG
SICHT AUF DEN KLIMAWANDEL
In seinem Oratorium „Die Jahreszeiten“ erzählt Joseph Haydn durchaus poetisch, wie sich das Leben von Mensch und Natur im gottgewollten zeitlichen Ablauf von Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter entfaltet. Der Chor des Stadtverbandes der Gesang- und Musikvereine Ludwigsburg, die fulminanten Tanzensembles der Tanz- und Theaterwerkstatt sowie der Kunstschule Labyrinth Ludwigsburg sowie das Sinfonieorchester Ludwigsburg unter der einfühlsamen Leitung von Hermann Dukek unterstrich die optimistische Grundhaltung dieses Werkes in Verbindung mit dem Blick auf eine elektronisch gesteuerte moderne Welt mitsamt einem ufoähnlichen Flugobjekt. Vom Zirpen der Grillen bis zur Urgewalt eines Gewitters war hier zwischen weißen Wolken und hinabgelassenen Vorhängen alles vorhanden. Die Dimensionen des Naturerlebnisses verdichteten sich so immer mehr und garantierten einen spannungsvollen dramaturgischen Gesamtverlauf. Das Libretto enthält sowieso im englischen Original Texte zur beginnenden Industrialisierung und der anbrechenden Verstädterung und Mechanisierung der Welt, was in der Regie von Axel Brauch (Ausstattung: Gesine Pitzer; Choreografie: Vlasova/Pawlica) überzeugend zum Vorschein kam. Man merkte also, dass die Erde Fieber hat.
Copyright: Leszek Januszewski
Viele Errungenschaften der modernen Welt waren bei dieser Musiktheater-Produktion im Rahmen des Stadtjubiläums „Ludwigsburg – 300 Jahre Stadt werden!“ zu sehen (Dramaturgie: Anika Pinter). Die Szenen entstanden so durch verschiedene Assoziationen. Fragen drängen sich auf: Wohin geht die Reise der Tänzer? Was möchte man durch die Emotionalität des Körpers ausdrücken? Hier wurden die einzelnen Gruppen immer wieder in geschickter Weise zusammengeführt. Frühlingsröcke und Tiermasken aus Schuh-, Pizza- und Versandkartons schufen eine bunte Atmosphäre. Hinzu kamen Winterkostüme aus alten Mänteln und Müllsäcken. Der originalen Musik wurde in raffinierter Weise zeitgenössische von Vincent Wikström zur Seite gestellt, was natürlich manchmal befremdlich wirkte. Aber man gewöhnte sich daran. Die Tanzkompanie trieb die Umwälzungen voran. Lichtstimmungen und die Ausstattung folgten dem Wechsel der Jahreszeiten.
Die Gesangssolisten Fanie Antonelou (Sopran), Johannes Leander Maas (Tenor) und Matthias Hoffmann (Bass) agierten unter der musikalischen Leitung von Angelika Rau-Culo und Michael Culo wie aus einem Guss. Der harmonische Fluss war von überwältigender Fülle. Der Bauer Simon (Bass), seine Tochter Hanne (Sopran) und der junge Bauer Lukas (Tenor) bestimmten mit volkstümlichen Arien die Szene. Die Oboe stimmte einen zarten Gesang an und leitete zum ersten Chor über. Sturm und Schneegestöber zogen vorüber, der Wind pfiff. Und der rechts und links bis in den Zuschauerraum postierte Chor intonierte die Weise „Komm, holder Lenz!“ mit nie nachlassender Emphase. Eine zart wiegende Melodie nahm den Zuhörer hier gleich stark gefangen. „Schon eilet froh der Ackersmann zur Arbeit auf das Feld“ sang Simon. Und den hymnischen Dankgesängen folgte das Duett von Hanne und Lukas mit kleinem Chor. Dabei kam die Innigkeit der Empfindung nie zu kurz. Beim Abschnitt des Sommers mit Sonnenaufgang, Mittagsglut, Aufenthalt im Schatten des Waldes und dem abendlichen Gewitter stach Hannes wunderbar tief empfundene große Szene im Walde markant hervor, wo Fanie Antonelou einen starken gesanglichen Moment hatte. Manches erinnerte schon an die Agathen-Szene im „Freischütz“ von Weber. Hermann Dukek malte hier mit dem Sinfonieprchester Ludwigsburg ein opulentes Klanggemälde. Nach bangen Pizzicati und dumpfem Paukentremolo setzte mit der zackigen Figur der Flöte das Gewitter ein. Und der Chor ließ im Unisono schließlich die Abendglocke läuten. Den Herbstteil beherrschten der Jagd- und Winzerchor zwischen Tanzszenen mit famosem Klarinettengebrumm und Dudelsackbässen. Und im Winterteil dominierte dann die Spinnstubenszene mit dem Spinnerinnenchor. Prunkvoll folgte ein großer Doppelchor zum Lobpreis Gottes. Bei der Aufführung kamen aber auch die leisen Momente dieser Partitur zum Vorschein, die man ansonsten nicht so deutlich wahrnimmt.
Begeisterter Schlussapplaus.
Alexander Walther