Mozarts „Cosi fan tutte“ im Forum am Schlosspark Ludwigsburg
IMPRESSIONEN AUS DEM GERICHTSSAAL
Das Theater Freiburg gastierte mit Mozarts „Cosi fan tutte“ am 28. 4. 2017 im Forum am Schlosspark/LUDWIGSBURG
Copyright: Maurice Korbel
In der Regie von Felicitas Brucker wird die Handlung von Wolfgang Amadeus Mozarts Meisteroper „Cosi fan tutte“ in einen Gerichtssaal verlegt, in den die Liebenden in einem nächtlichen Rausch eindringen. Durch starke Lichteffekte wird das Auditorium auch immer wieder verändert. Ganz zu Beginn sieht man auf einem durchsichtigen Vorhang eine rasende Fahrt durch eine Stadt – der Taumel ist nicht zu bändigen. Die Protagonisten bemächtigen sich des Gerichtsraumes, um am Ende zu bemerken, dass sie dem Prozess einer Urteilsverkündigung („Schuldig“, „Freispruch“) unterzogen wurden. Es sind eindeutig Erinnerungen an die Französische Revolution, wo der Adel auf brutalste Art und Weise abgeschlachtet wurde.
Bei dieser Inszenierung ist nun natürlich alles abgeschwächt. Aber man wird unweigerlich an die Nationalversammlung erinnert, wenn eine johlende Menschenmenge wiederholt Papierfetzen in die Runde wirft und sich ihrem eigenen Amüsement hingibt. In diesem Gerichtssaal und in der subtilen Inszenierung von Felicitas Brucker dominiert das Lachen Don Alfonsos, das zur Waffe wird. Zwei verliebte Paare und ein entzweites Paar (nämlich Don Alfonso und Despina) feiern zusammen. Alfonso ist hier eindeutig der Gegenspieler Despinas. Gemeinsam führen die beiden durch die Schule der Liebenden, an deren Ende leider die Desillusionierung steht. Doch der Reiz des enthemmten Spiels sticht bei dieser ungewöhnlichen Inszenierung oftmals in charmanter Weise hervor, denn das Gericht wird auf den Kopf gestellt. Es ist zum Tollhaus geworden. In Abwesenheit der Frauen zettelt Don Alfonso eine Wette an, dass diese durch eine von ihm inszenierte Intrige zum Treuebruch an ihren Partnern verführbar seien. Die Männer sind auch bei dieser Inszenierung natürlich entrüstet. Durch das falsche Spiel fühlen sich auch die Frauen betrogen, doch die Männer arbeiten beharrlich am Treuebeweis ihrer Frauen.
Im zweiten Akt von Felicitas Bruckers Inszenierung zerfallen die bisherigen Allianzen der Solidarität zwischen Männern und Frauen vollends. Und die Männer zerfleischen sich gegenseitig in ihrer Eitelkeit, weil Guglielmo mit seiner Werbung bei Dorabella schneller Erfolg hat als Ferrando bei Fiordiligi. Und am Ende machen Alfonso und Despina den Liebenden einen Schauprozess. Das ist spannend anzuschauen, weil die szenische Entwicklung hier völlig eskaliert und sogar in den Zuschauerraum verlegt wird, wo die Sänger sich durch die Zuschauerreihen hindurchzwängen. Alles gerät außer Rand und Band. Und so wird Mozart für das Publikum einmal mehr greifbar und plausibel.
Unter der zupackenden Leitung von Daniel Carter kann sich das Philharmonische Orchester Freiburg sehr gut entfalten. Dies zeigt sich schon in der Ouvertüre, wo der tolle Wirbel des Prestos überzeugend herausgearbeitet wird. Auch die etwas kurzatmigen Themen können sich gut behaupten. Die Oboe trägt das schwärmerisch verliebte Thema mit Eleganz und Grandezza vor. Die Grenzüberschreitungen dieser Musik werden von Daniel Carter mit dem Orchester plastisch betont. So begreift man, warum Mozarts „Cosi fan tutte“ unter seinen Opern als die radikalste gilt. Die mathematische Konstruktion dieses seltsamen Lehrstücks wird in Felicitas Bruckers Regie durch den Gerichtssaal noch deutlich verstärkt (Bühne: Stefan Heyne). Die Kostüme von Viva Schudt schwanken zwischen Rokoko und Moderne. Dieses Spiel der Verkleidungen, des Gestellten und der Verstellung zeigt hier immer wieder neue Facetten und Veränderungen bis hin zum Marionettenhaften. Über allen Figuren thront ein imaginärer Richter, der die Urteilsverkündung spricht. „
Cosi fan tutte“ ist aber auch ein Abschiedswerk, das unterstreicht Felicitas Brucker deutlich. Die „bella calma“ des Schlusses kündigt sich viel früher an. Außer Alfonso und Despina wissen die handelnden Personen nicht, wie ihnen geschieht. Das zeigen auch die Sängerinnen und Sänger deutlich. Andrei Yvan ist ein geschmeidiger Don Alfonso, dessen kerniger Bass die Zuhörer fesselt. Susana Schnell ist eine höhensichere und gesanglich bewegliche Despina, während Christoph Waltle als Ferrando mit strahlkräftigem und feurigem Tenor agiert. Noch besser gefällt der emotional nicht zu bändigende Guglielmo von Alejandro Larraga Schleske, dessen Bariton markante Tiefen erreicht. Sharon Carty wirkt als Dorabella durchtrieben, ihr Sopran besticht durch ein weiches und gleichzeitig zielsicheres Timbre, das sich immer mehr verfeinert. Schließlich überzeugt auch Kim-Lilian Strebel als Fiordiligi, deren Sopran zu differenzierten Ausdrucksnuancen fähig ist.
Auch wenn manche Details bei dieser Wiedergabe sicherlich zu kurz kommen, gefällt sie dennoch aufgrund der reichen musikalischen Charakterisierungskunst und des chromatischen Feinschliffs, der sich immer weiter auffächert. Das verlorene Paradies bleibt spürbar. Die Inszenierung zeigt deutlich, wie schwer sich Fiordiligis Widerstand besiegen lässt. Das Duett in „Cosi fan tutte“ ist bei dieser Wiedergabe nicht nur ungewöhnlich ausgedehnt, sondern verläuft auch in mehreren Phasen, die durch verschiedene Tempi voneinander abgehoben sind. Darauf legt Daniel Carter als umsichtiger Dirigent großen Wert. Dieser häufige Wechsel der Tempi ist ein Merkmal dieser Interpretation. Sie prägt auch den Gestaltungswillen der Sänger. Fiordiligis erstaunter Ausruf löst dann das geradezu atemlose C-Dur-Allegro aus. Im Finale kommt es zur Katastrophe und gleichzeitig zur Versöhnung. Auch das lässt Felicitas Brucker in ihrer Inszenierung deutlich werden. Es folgt ein ungewöhnlicher harmonischer Übergang von As-Dur nach E-Dur durch enharmonische Umdeutungen. Und auf solche Details legt Daniel Carter großen Wert. Das macht die Qualität seiner musikalischen Deutung dieses Meisterwerkes aus. Der Militär-Marsch aus dem ersten Akt klingt nun in geheimnisvoller Weise im Hintergrund, man spürt die unheimliche Welt E.T.A. Hoffmanns. Eine isolierte Flöte gibt mit einer blitzartigen Schleiferfigur den Auftakt, der die „Katastrophe“ ankündigt. Im Allegro von Don Alfonsos Bericht und der Reaktion der Mädchen ist der Katastrophenton unüberhörbar – der Steinerne Gast steht im Gerichtssaal vor der Türe! Dies erscheint auch im geballten g-Moll-Unisono aller Stimmen und des vollen Orchesters mit der gewaltigen Absturzfigur, wo es zu harten Brüchen in der harmonischen Konstruktion kommt. Das arbeitet Daniel Carter mit dem Philharmonischen Orchester Freiburg markant heraus. Anklänge an „Don Giovanni“ sind bei dieser Wiedergabe unüberhörbar. Hervorragend ist der Opernchor des Theaters Freiburg, den Bernhard Moncado einfühlsam einstudiert hat. Susana Schnell imponiert ferner als zum Notar verkleidete Despina, die den Prozess der Demaskierung verschmitzt fortsetzt. Von der Terz des C-Dur-Dreiklangs aus kommt es schließlich zur großen Versöhnung auch im Gerichtssaal, der plötzlich alle seine Schrecken verliert. Polyphone Satzkunst und kontrapunktische Finessen gehen wiederholt eine glückliche Verbindung ein. Jubel im Publikum.
Alexander Walther