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LUDWIGSBURG/ Forum Schlosspark: DER GOTT DES GEMETZELS von Yasmina Reza. Gastspiel Schauspiel Leipzig

18.02.2019 | Theater


Foto: Rolf Arnold

„Der Gott des Gemetzels“ mit dem Schauspiel Leipzig am 17. Februar 2019 im Forum am Schlosspark/LUDWIGSBURG 

TOHUWABOHU WEGEN UNGEZOGENEN KINDERN

„Die Ehe ist die schlimmste Prüfung, die Gott uns auferlegt hat“, lautet das Credo bei diesem Schauspiel von Yasmina Reza, einer mittlerweile berühmten Autorin mit iranischen Wurzeln. Zwei Jungs haben sich geprügelt, der eine hat dem anderen die Zähne ausgeschlagen. Deswegen wollen die Eltern die Sache klären. Doch bei Espresso und Selbstgebackenem beginnt die Fassade des Liberalismus erheblich zu bröckeln.

Enrico Lübbe hat in seiner Inszenierung mit dem recht gemütlich-beschaulichen Bühnenbild von Etienne Pluss und den eleganten Kostümen von Bianca Deigner die komisch-witzigen Effekte dieses Stücks minuziös herausgearbeitet. Ferdinand Reille hat seinem Klassenkameraden Bruno Houille zwei Schneidezähne ausgeschlagen. Die Eltern Reille (sie Vermögensberaterin, er Anwalt) sind nun bei den Eltern Houille eingeladen (er ist Haushaltswarengroßhändler, sie Autorin mit Schwerpunkt Menschenrechte und Afrika). Die schwierige Angelegenheit soll zivilisiert besprochen werden. Doch dieses Vorhaben geht dann doch gründlich schief, weil verschiedene Milieus und Weltsichten dabei gnadenlos aufeinandertreffen („Diese Frau ist falsch…“). Peinlichkeiten und messerscharfe Wortgefechte wechseln sich virtuos ab: „Mein Sohn hat Ihren Jungen nicht entstellt!“ Die Probleme der beiden Ehepaare miteinander geraten hier immer mehr ins Zentrum des Geschehens, das sich recht atemlos entwickelt. Der Streit um die Erziehung der Kinder wird zur gnadenlosen Auseinandersetzung mit den eigenen Lebensentwürfen: „Unser Sohn ist ein Wilder!“ Die von Anne Cathrin Buhtz mit virtuoser Dramatik gemimte Annette Reille muss sich schließlich ständig übergeben, was Veronique Houille (glänzend gespielt von Bettina Schmidt) immer hysterischer und exaltierter werden lässt: „Das ist ja der reinste Alptraum!“ Michel stellt fest, dass ihr „das Kotzen“ gut bekommen sei. Gleichzeitig betont Veronique energisch, dass nicht alle Choleriker seien. Die beiden Männer Michel Houille (farbenreich: Michael Pempelforth)  und Alain Reille (ungeduldig: Dirk Lange) sind ihren Frauen hier rettungslos ausgeliefert. Annette Reille steckt das Handy ihres verzweifelten Ehemannes schließlich in die Blumenvase, worauf das Gerät natürlich kaputt geht. „Sie öden mich an!“ sind jetzt noch die harmlosesten Vorwürfe. Michel wird von seiner Frau Veronique verprügelt – und Annette reisst schließlich alle Blumen aus den Vasen und schmeisst sie wie wild in der Wohnung herum. Das heillose Tohuwabohu um die ungezogenen Kinder will gar nicht mehr enden. Die zunächst ernste, herzliche und tolerante Stimmung kippt zusehends um, was das Publikum amüsiert zur Kenntnis nimmt. Als das Ehepaar Reille die intakte Ehe der Houilles anzweifelt, verliert Veronique die Nerven: „Woher nehmen Sie sich das Recht?!“ Jetzt fallen wüste Beschimpfungen wie „Raus!“ und „Schlampe!“ Und dabei steigert sich auch das Tempo der Inszenierung ganz erheblich.

Foto: Rolf Arnold

Trotzdem gelingt es Lübbe, den Boulevard-Charakter nicht übermäßig zu betonen. Veronique schleudert Annettes Tasche einfach gegen die Wand, worauf diese über ihre kaputten „Puderdöschen“ jammert: „Ich verzichte auf Ihre Anerkennung!“ Und das Ehepaar Reille kontert: „Es ist uns völlig schnuppe, was Sie an Frauen mögen!“ Seit seiner Uraufführung 2006 ermöglicht dieses Stück ausverkaufte Schauspielhäuser und wurde in Starbesetzung von Roman Polanski verfilmt. Die tragikomische Farce sorgte mit den entfesselten Schauspielern in Ludwigsburg jedenfalls für Furore. 

Alexander Walther

 

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