Ensembleszene: Costin Radu
Ludwigsburg (Forum)
Gastspiel des Balletts im Revier Gelsenkirchen: „ROMEO UND JULIA“ 21.4.2018 – Eine Verneigung vor John Cranko
Eine Woche nach dem Gastspiel von Marcia Haydées „Don Quixote“ in Baden-Baden machte jetzt ein anderer Ballettklassiker in der Choreographie einer ebenfalls ehemaligen Stuttgarter Tanz-Größe Station im näheren Umfeld von Stuttgart. Erst im Februar hatte Bridget Breiners Kreation des berühmten Shakespeare-Stoffes Premiere in Gelsenkirchen, dessen Ballettensemble sie seit 2012 vorsteht, ehe sie im Sommer 2019 als Nachfolgerin von Birgit Keil ans Badische Staatsballett nach Karlsruhe wechseln wird. Von 1996 an hatte sie mit zwei Jahren Unterbrechung beim Stuttgarter Ballett getanzt, ab 2001 als Erste Solistin, und als Interpretin stets genau so eigenwillige Akzente gesetzt wie sie später mit ihren ersten Choreographien durch kluge und gut durchdachte Konzeptionen bewundernd beachtet worden war.
Die besondere Herausforderung des berühmten Liebesdramas lag sowohl in den großen Vorgänger-Fußstapfen, wovon John Crankos famose Version einen besonderen Maßstab setzt, weil sie in dessen Choreographie selbst vielfach aufgetreten war, als auch in der Situation, mit ihrem kleinen Ensemble aus 14 Tänzern dem doch personell aufwendigen Stück bei zu kommen. Mit ihren klaren Vorstellungen bewältigte sie nun diese Steilvorlage höchst respektabel, konsequent durchdacht im Ablauf und sensibel intuitiv im Detail. Den übergroßen Schatten von Crankos unübertrefflicher Choreographie kann sie dennoch, auch wegen der meist gleich verwendeten Prokofjev-Musik nicht ganz ausblenden, vor allem im ersten Akt, wo die Schrittkombinationen wie auch die szenischen Komponenten erst nach und nach Kontur gewinnen. Crankos lückenlose Stärke drängt sich wohl auch deshalb auf, weil Breiner bei aller Konsequenz eines eigenen Stils auf den Spuren des großen Meisters wandelt, er gleichermaßen Basis wie inspirierende Kraft bedeutet.
Ein für jeden Akt unterschiedlich drapierter silbern-grauer Schleiervorhang, besonders originell die Formung zu drei Trinkkelchen, hebt sich über einer meist dunkel gehaltenen Bühne, deren schnelle Verwandlungen durch ein vielfach verschieb- und wendbares braunes Gitter-Gerüst für knappe Szenen-Andeutungen, sogar einen stilisierten Balkon sorgen, aus der wiederum vor allem die Kostüme der Damen mit ihren helleren und bunteren Farbtönen kontrastierend herausleuchten (Bühne und Kostüme: Jürgen Kirner). Die Männer, auch Romeo und Mercutio, sind durchweg in schwarzem Leder gehalten, so als ob sie als sich dauerhaft bekriegende Kontrahenten für Tod und Trauer stehen. Eine als (nach antikem Vorbild) Chorus genannte schwarze Gestalt, die jeden Akt mit geheimnisvollen tänzerischen Kommentaren (Bridgett Zehr mit geschmeidig weitem Ausdrucks-Radius) beginnt und begleitet, gehört ebenso zur Umrahmung der ansonsten in der Szenen-Abfolge klassisch geradlinig angelegten Dramaturgie wie die in unterschiedlichen Sprachen überlappend eingespielten Ausschnitte aus Shakespeares Dramen-Text. Wie ein roter symbolischer Faden integriert Breiner Schals und Tücher in das Geschehen. Am Beginn erweckt Chorus das am Boden zusammen gekrümmte Ensemble, indem er die sie bedeckenden Schleier wegzieht, sie quasi zum Leben erweckt oder eine historische Vergangenheit wieder auferstehen lässt, obwohl die Kostüme modische Schnitte von einst ins Zeitlose überführen. Ein langer Schal skizziert sowohl das Julia von der Mutter überbrachte Ballkleid als auch die Bande, die zwischen ihr und dem erwünschten Schwiegersohn Paris geknüpft werden sollen, er taucht mehrfach wieder auf im ritterlich stolzen Gesellschaftstanz als dekorierendes Element und später als tragische Verknüpfung von Julias Scheintod und Romeos davon unterbundener Information. Die auffallendsten Beiträge des Licht-Designs von Bonnie Beecher bilden das durch zwei seitlich aufgeraffte weiße und wie von gleißendem Mondlicht erhellte Gardinen angedeutete Schlafzimmer sowie ein auf das Gittergerüst projiziertes Lichtkreuz für Pater Lorenzos geistliche Aura. Paul Calderone hat als großer schlanker Vertreter der Kirche durch die hier choreographisch enorm aufgewertete Partie Gelegenheit persönliches Profil und körperliche Aussagekraft zur Wirkung zu bringen. Die oft sehr auf den Boden bezogenen, aus ihm erwachsenden und wieder auf ihn zurück führenden Bewegungs-Formationen gehören ebenso zu Breiners reichem Phantasie-Köcher wie motivisch eingestreute Gesten und die fein variiert aufgebauten Spielszenen mit Mercutio und der hier als Zofe betitelten Amme. Auch in den großen Pas de deux des Liebespaars herrscht eine durchgehend präzise Linie, die akademische Grundlagen und Abwandlungen ohne Extravaganzen und Effekthaschereien kombiniert. Francesca Berruto, eine ehemalige Stuttgarter Corps-Tänzerin und der kurzfristig eingesprungene Alternativ-Romeo Carlos Contreras, ein 2009 nach Europa gekommener Venezolaner und erstem Engagement in Innsbruck, gestalteten die beiden Titelrollen mit hinreichend Natürlichkeit, einem Sinn für Romantik, die der Choreographie trotz vielfacher Abstraktion erhalten geblieben ist, ausgeglichener Technik, aber nicht gerade überschwänglichem Charisma. Diesbezüglich hatte ihnen sowohl der komödiantisch leicht aufgelegte wie technisch spielerische Mercutio von Louiz Rodrigues als auch der allerdings nicht überaus boshafte Tybalt des Valentin Juteau und auch Tessa Vanheusden und José Urrutia als tänzerisch stark integrierte Eltern Julias etwas voraus. Rita Duclos ist die aufrichtig beteiligte, wenn auch nicht sonderlich charakterstarke Zofe, Daniel Castillo (als Gast des Ensembles) ein Paris, den auch Breiner nicht aus seiner etwas braven Funktion befreien konnte.
Francesca Berruto (Julia) und Carlos Contreras(Paris), der an diesem Abend aber als Romeo einspringen mußte. Copyright: Costin Radu
Die Montague-Clique wird durch drei durchtriebene, in bunte Streifen-Tutus gekleidete Tänzerinnen Sarah Lee Chapman, Hitomi Kuhara und Sara Zinna temperamentvoll vertreten. Gemeinsam mit Harry Simmons runden sie die kleine Compagnie ab, die es schafft, dank der konzentrierten und überwiegend ausgefüllten Choreographie diesem doch von vielen Vorgänger-Erwartungen begleiteten Drama geschlossen und ohne wesentliche Abstriche gerecht zu werden. Wäre die immer wieder faszinierende Musik Prokofjevs wie laut Programmheft in Gelsenkirchen live anstatt vom Band zugespielt worden, hätte es eine noch lebendigere und spontanere Wiedergabe werden können, doch solche Einbußen müssen bei Tournee-Aufführungen allemal in Kauf genommen werden.
Lebhafte Akklamation mit einzelnen Ovationen, zuletzt auch für Bridget Breiner.
Udo Klebes