Stuttgarter Philharmoniker unter Andrey Boreyko am 23.11.2025 im Forum am Schlosspark/LUDWIGSBURG
Gewaltige dynamische Kontraste
Unter dem vielsagenden Motto „(Ent)täuschung“ boten die Stuttgarter Philharmoniker unter der temperamentvollen Leitung von Andrey Boreyko ein buntes Programm. Zunächst war die Suite Nr. 2 aus der Oper „Carmen“ von Georges Bizet zu hören, wo dieses Thema ja sehr präsent ist. Da brandete der Marsch der Schmuggler kontrapunktisch facettenreich auf, formten sich leidenschaftlich die Melodie der „Habanera“ und das berühmte „Lied des Torero“. Klangfarbenreichtum und harmonische Vielschichtigkeit ergänzten sich hier gegenseitig in beglückender Weise. Die hervorragende armenische Pianistin Marianna Shirinyan interpretierte zusammen mit den Stuttgarter Philharmonikern unter der einfühlsamen Leitung von Andrej Boreyko anschließend das Konzert für Klavier und Orchester Nr. 21 in C-Dur KV 467 von Wolfgang Amadeus Mozart. Der persönliche Charakter dieses Werkes kam hier eindringlich zum Vorschein. Mit reicher Orchesterbesetzung sowie Pauken und Trompeten entfaltete sich der Marschsatz mit strahlendem Glanz und heiterer Festlichkeit. Mozart verzichtet hier auf die dramatische Kontrastierung von Solo und Orchester. Die Verbindlichkeit der Themen kam in der subtilen Wiedergabe mit Marianna Shirinyan sehr gut zum Vorschein. So konnte sich auch das elastisch federnde Kopfthema des Allegro maestoso mit seiner eleganten Ritterlichkeit in überzeugender Weise entfalten. Charme besaßen hier auch die Seitenthemen, unter denen eines bereits auf die g-Moll-Sinfonie hinweist. Reizvoll gestaltet war dann ebenso die Durchführung, wo Mozart sich von C-Dur aus in die Schatten ferner Tonartenreiche locken lässt. Kostbare Feinheiten der Partitur traten reizvoll hervor. Im Andante schwang sich dank der sensiblen Pianistin die wunderbar gewölbte Melodie sphärenhaft empor. Und das elektrisierend interpretierte Finale, Allegro vivace assai, glitzerte vor Witz und guter Laune! Als Zugabe folgte noch traumverloren „Clair de lune“ von Claude Debussy. Das Gewebe der melodischen Terzen mit der geheimnisvollen Rückung von Des-Dur nach Fes-Dur gestaltete Marianna Shirinyan fabelhaft. Zuletzt folgte noch eine exzellente Interpretation der Sinfonie Nr. 5 in d-Moll op. 47 von Dmitri Schostakowitsch, die er im Jahre 1937 schrieb und sie unter das Thema „Das Werden der Persönlichkeit“ stellte. Beobachter sahen in dieser Komposition eine Mischung „zwischen Zerknirschtheit und Orgiastik“ und bezeichneten sie auch als „monströse Partitur“. Der künstliche Optimismus des Finales ist Schostakowitschs Antwort auf Stalins Tyrannei. Auch Tschaikowsky und Mahler waren bei der gelungenen Wiedergabe mit den Stuttgarter Philharmonikern unter der impulsiven Leitung von Andrey Boreyko zu spüren. Schostakowitschs Biograph Martinow nannte die „Fünfte“ von Schostakowitsch „eine außerordentliche Erscheinung“. Diese Sinfonie beginnt mit dem Largo der unter Tage arbeitenden Massen, ein Accelerando entspricht dem System der Untergrundbahn, das Allegro symbolisiert mit seinem ungeheuren Schwung die gigantischen Maschinen einer Fabrik und ihren Sieg über die Natur. Das alles kam in der suggestiven Wiedergabe mit den Stuttgarter Philharmonikern unter Andrey Boreyko sehr überzeugend zum Vorschein. Das Adagio stellt dann die Synthese von sowjetischer Kultur, Wissenschaft und Kunst dar. Auch dies blitzte bei dieser bemerkenswerten Interpretation überaus leuchtkräftig hervor. Und die fast schön dämonische Doppeldeutigkeit des Finales mit seiner unheimlichen Beschwörung der begeisterten Massen gelang den Stuttgarter Philharmonikern unter Boreyko am besten. Die kühne Thematik, die kunstvolle lineare Verarbeitung sowie die klare Zweistimmigkeit erreichten eine beispiellose dynamische Dichte.
Viele „Bravo“-Rufe, Jubel.
Alexander Walther

