Copyright: Olivier Houeix
Malandain Ballet Biarritz am 12.10.2018 im Forum am Schlosspark/LUDWIGSBURG
VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT
Der Mythos der Sintflut mit dem jubilierenden Noah wird in diesem bemerkenswerten Ballett in der subtien Choreographie von Thierry Malandain (Bühne: Jorge Gallardo) thematisiert. Der biblische Noah zeigt sich hier als Vertreter der gesamten Menschheit, die bei sich selbst Zuflucht sucht, um die vergangene Existenz abzuschütteln. Ein Neuanfang soll gemacht werden. In dieser Choreographie werden nicht alle Tiere – mit Ausnahme der Taube – an Bord genommen. Das Fortbestehen der Menschheit soll durch die symbolhafte, tanzende Figur des Noah verkörpert werden (Kostüme: Veronique Murat). Es steht also weniger die biblische Botschaft, sondern mehr der symbolhafte Charakter der Handlung im Mittelpunkt. Das Wasser schenkt der Menschheit neues Leben. Das Sakrament soll dabei mit Vorsicht genossen werden. Die Menschheit war ja auch schließlich verwandelt, als sie die Arche Noah nach 40 Tagen verließ.
In einer reduzierten blauen Kulisse präsentiert Thierry Malandain zur selten gespielten Musik von Gioacchino Rossinis Messa di Gloria ein abstrakteres Bild von Noah. Der Mensch wird an sich gezeigt, wie er in vielen Zivilisationen vorkommt. Er hat die Flut überlebt, begleitet von seinem beschützenden und vorausschauenden Wesen. Er ist dabei nicht mehr nur der Adam im christlichen Sinn. Die Zeichen der Zeit werden hier auch choreographisch überaus kunstvoll umgedeutet. Gefühle und Emotionen erhalten auch dank der großartigen Musik von Gioacchino Rossini breiten Raum. Es ist wirklich unverständlich, warum die wertvolle „Messa di Gloria“ von Rossini kaum bekannt ist. Er hat hier sogar für zwei Tenöre komponiert – einmal sanft im „Gratias“, dann zutiefst emotional im „Qui tollis“. Opernhaft und sinnlich beseelt wirkt diese Musik hier auch dank der ausdrucksstarken Darstellung von Mickael Conte als Noah. In weiteren Rollen fesseln Irma Hoffren als Emzara sowie Frederic Deberdt, Arnaud Mahouy, Michael Garcia als Kain, Abel, Set. Außerdem überzeugen mit vielen Pirouetten und Pas-de-deux-Einlagen Raphael Canet, Ismael Turel Yague, Michael Garcia als Sem, Ham, Jafet und Hugo Layer, Miyuki Kanei als Adam und Eva. Auch Claire Lonchampt und Guillaume Lillo als Taube und Rabe sowie das übrige Ensemble faszinieren hier das Publikum mit einem suggestiven Spiel aus Licht und Schatten. Beim an Bach und Mozart erinnernden „Gratias“ gehen die Tänzerinnen und Tänzer nochmals ganz aus sich heraus, gehen aufeinander zu, strömen wieder auseinander.
Bei der abschließenden Fuge kommt es dann zu einem gewaltigen visuellen Höhepunkt, denn die Zeit scheint plötzlich zu verschwinden.
Alexander Walther