Mahler Chamber Orchestra im Forum am Schlosspark Ludwigsburg
Mit erhabener Größe
Mahler Chamber Orchestra am 23. Juni 2024 im Forum am Schlosspark bei den Schlossfestspielen/LUDWIGSBURG
Zunächst interpretierte das vorzügliche Mahler Chamber Orchestra unter der einfühlsamen Leitung von Anja Bihlmaier die Ouvertüre Nr. 2 in Es-Dur op. 24 von Louise Farrenc, die von Zeitgenossen wie Hector Berlioz und Robert Schumann anerkannt wurde und es als Frau trotzdem schwer hatte, sich als Komponistin durchzusetzen. Das Werk besticht durchaus mit kontrapunktischer Meisterschaft. Thematische Verbindungslinien und dramatische Phrasen wurden vom Mahler Chamber Orchestra sehr gut herausgearbeitet. Das wirbelnd-rasante Allegro-Thema ging den Zuhörern unter die Haut. Und auch die harmonische Durchsichtigkeit kam nicht zu kurz.
Foto: Mahler Chamber Orchestra
Der französische Meistergeiger Renaud Capucon präsentierte mit Robert Schumanns Violinkonzert in d-Moll eine Ehrenrettung für dieses lange verkannte Werk, das man wegen Schumanns Selbstmordversuch als das Werk eines Wahnsinnigen bezeichnete. Phrasierung und harmonische Schattierungen wurden von Capucon jedoch ausgezeichnet betont. Und auch das Mahler Chamber Orchestra unter Anja Bihlmaier ließ die melodischen Schönheiten der Partitur in hellem Licht erstrahlen. Gleich im Eröffnungssatz überzeugte der nicht übertrieben musizierte heroische Ton, dessen Intensität nicht nachließ. Im zweiten Satz gewann die endlose Melodie dank Renaud Capucons einfühlsam-bewegendem Spiel eine überwältigende Klangfülle – selbst die harmonischen Dissonanzen fügten sich hier nahtlos ein. Dass hier seelische Stimmungen eingefangen werden, machten Solist und Orchester in wunderbarer Weise deutlich. Die Virtuosität und der Glanz der Oktaven blitzten im letzten Satz immer wieder hervor. Das Polonaise-Finale riss das Publikum aufgrund des energischen und ausgelassenen Musizierstils dann ganz unmittelbar mit. Den reizvollen Passagen der Holzbläser in D-Dur antwortete die Violine hier mit geschmeidiger Eleganz. Dieses Werk wurde übrigens im Jahre 1937 mit dem Geiger Georg Kulenkampff und dem Philharmonischen Orchester Berlin unter der Leitung von Karl Böhm zum ersten Mal aufgeführt. Als Zugabe spielte Renaud Capucon noch die leitmotivisch vielschichtige „Daphne“-Etüde von Richard Strauss.
Höhepunkt war zuletzt die temperamentvolle Wiedergabe der Sinfonie Nr. 4 e-Moll op. 98 von Johannes Brahms. Thematische und harmonische Eigenheiten des Barock traten bei dieser konzentrierten Interpretation mit Anja Bihlmaier und dem Mahler Chamber Orchestra deutlich hervor. Das weitgespannte Thema des ersten Satzes, Allegro non troppo, konnte sich voll entfalten. Aus der Terz und den beiden Anfangstönen entstanden, vergrößerte sich der klangliche Radius in geheimnisvoller Weise mit der Umkehrung. Im Zuge der Erweiterung durch vier Takte vergrößerte sich auch das fallende Intervall zur Oktave. Diese kleinen Bausteine wuchsen hier deutlich zu einem imponierenden Thema zusammen. Auch das ritterlich-stolze Seitenthema der Holzbläser konnte sich behaupten. Nach der innigen Cello-Melodie folgte die knappe Durchführung fast elektrisierend, bevor dann mit leidenschaftlicher Energie die wuchtige Coda erklang. Der zweite Satz, Andante moderato, bestach bei dieser Wiedergabe durch träumerische Besinnlichkeit. Das Altertümlich-Holzschnitthafte blendete Anja Bihlmaier als Dirigentin glücklicherweise fast aus. Wie eine Ballade verkündete das Horn das einfühlsam gestaltete Thema, das Klarinetten und Streicher nachdenklich übernahmen. Anklänge an das ritterliche Motiv des ersten Satzes blieben nicht aus. Ausgelassen kam dann der dritte Satz, Allegro giocoso, daher. Er besaß hier eine geradezu dämonische Heiterkeit. Sein grimmig-lustiges Thema erschien in zielkräftigem Leuchten. Das Triangelklirren im vierten Takt ließ Anja Bihlmaier mit dem Mahler Chamber Orchestra eher dezent musizieren. Das Finale, Allegro energico e passionato, wirkte ernst-erhaben und ungemein kunstvoll in seinem Passacaglia-Stil. Brahms verbindet hier die Form der Sonate mit der Chaconne, bei der ein Thema pausenlos im Bass oder in den Mittelstimmen wiederkehrt. Einunddreissigmal wiederholte sich das Thema der Bläser machtvoll, ein Aufstieg erfolgte energisch durch eine Kadenz nach Dur. Auch die Gegenstimme in den Holzbläsern besaß nicht übertrieben scharfe Akzente, manche markante Stelle erschien dabei eher in abgeschwächter Form. Der Zauber der Sonatenform strahlte hervor, das Kopfthema machte sich leidenschaftlich bemerkbar – immer breiter gestaltete Anja Bihlmaier das Tempo, Posaunen griffen in feierlichen Klängen ein. Und die Reprise wirkte sehr erhaben und ergreifend.
Jubel und „Bravo“-Rufe.
Alexander Walther