Ludwig van Beethoven: Symphony No. 6 F-Dur, op. 68
Steven Stucky Silent Spring (2011)
PITTSBURGH SYMPHONY ORCHESTRA
Manfred Honeck, Dirigent
Pittsburgh Symphony Orchestra Recorded Live
Beethoven – Symphony No. 6 (June 23-25, 2017)
Stucky – Silent Spring (April 20-22, 2018)
Heinz Hall for the Performing Arts, Pittsburgh, PA
Eine spannende Kombination zweier Werke präsentiert gegenwärtig das CD-Label fresh!Reference Recordings. Musikdirektor Manfred Honeck und sein Pittsburgh Symphony Orchestra spielen auf der aktuellen CD Werke von Ludwig van Beethoven und Steven Stucky.
Um es vorwegzunehmen. Diese Aufnahme von Beethoven ist nichts für Kulinariker oder Musikdogmatiker!
Wie immer geht Manfred Honeck einen eigenen, sehr eigenen Weg der musikalischen Interpretation voll reicher überzeugender Ideen, die dazu geeignet sind, heftig zu polarisieren. Und das ist gut so! Musik ist nicht auf bloße Reproduktion der niedergeschriebenen Notenwerke zu reduzieren. Sie sollte immer wieder neu befragt und durchaus subjektiv interpretiert werden. Für diesen interpretatorischen Ansatz ist Manfred Honeck einer der spannendsten Dirigenten der Gegenwart! Er wagt viel, so auch hier und vermittelt dem Zuhörer viele neue Erkenntnisse und Einblicke.
Im Dezember 1808 kam es zur Uraufführung der 5. und 6. Symphonie von Beethoven. Anfänglich zählte der Komponist die „Pastorale“ als seine 5. Symphonie und sie nimmt eine Sonderstellung ein. Sie ist die einzige Symphonie Beethovens mit fünf Sätzen und dazu der Programmmusik zuzurechnen, was lediglich bei diesem Werk zutrifft. Seine anderen Symphonien gelten als absolute Musik. Beethoven war beeinflusst von Komponisten wie Vivaldi, Bach oder Haydn, die ihre Naturempfindungen bildhaft vertonten. Für Beethoven bedeutete die Natur Frieden und Kontemplation. Er verehrte sie tief.
Mit großem Elan beginnt der erste Satz, den Honeck forsch gestaltet. Die Natur atmet, singt und blüht. Jauchzende Hörner, wie sie selten zu hören sind, werden von deutlichen Vogelstimmen in den Holzbläsern beantwortet. Ganz selten ist in den unzähligen Aufnahmen derart eindringlich zu hören, dass wir es hier mit einem „Erwachen“ (Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande) zu tun haben. Und doch erwarten den Zuhörer zahlreiche Kontraste! Ruppige Sforzarti und deutliche Akzentgebungen treiben die Musik als Perpetuum Mobile permanent nach vorne.
Manfred Honeck erweist sich einmal mehr als genialischer musikalischer Geschichtenerzähler, der den Zuhörer auf eine eindringliche Reise größter musikalischer Faszination mitnimmt. Dabei unterstützt ihn in perfekter Weise das hingebungsvolle Spiel des Pittsburgh Symphony Orchestras mit seinen überragenden Orchester-Solisten.
Nach diesem pulsierenden Beginn gelangen wir zur „Szene am Bach“. Hier zaubert Honeck mit seinem Orchester eine innige Naturszene. Kleine Accelerandi verleihen diesem Satz eine natürliche Lebendigkeit. Besonderes Augenmerk richtete Honeck auf die Vogelstimmen. Hierzu bat er seine Orchestermitglieder, sich vorab Vogelstimmen anzuhören. Und tatsächlich in der beschließenden Kadenz imitieren die großartigen Holzbläser Kuckuck, Nachtigall und Wachtel mit verblüffender Übereinstimmung zum lebenden Objekt. Wie wunderbar!
Obwohl die Pauken erst im vierten Satz zum Einsatz kommen, nun so kommt der künstlerische Paukenschlag dieser so außergewöhnlichen Einspielung bereits im dritten Satz. Im „Lustigen Zusammensein der Landsleute“ führt Manfred Honeck seine Zuhörer in ein lautes und derbes Fest auf dem Land. Da wird gejauchzt und getanzt mit unwiderstehlicher Spielfreude.
Honeck erlaubt sich zum Zwecke der musikalischen Bildschärfung so manche Freiheit. Die leicht zu überhörende Vogelstimme in der Flöte, wird hier von der Piccoloflöte geblasen. Sehr gut!
Und bei den Sforzati stampfen die Orchestermitglieder mit den Füßen auf! Honeck ging dabei von der Frage aus, wie mag Beethoven das johlende Landvolk in seinen schweren Holzschuhen auf den Holzböden gehört haben. Hier ist die Antwort!
Honeck ist auch hier der meisterliche Gestalter, der unermüdlich die Musik auf ihren Sinngehalt befragt und zu äußerst kreativen Lösungen gelangt. Auch an dieser Stelle geht für ihn sein Orchester durch das Feuer. Umwerfend in ihrer Virtuosität brilliert hier vor allem die edel strahlende Gruppe der Hörner.
Im vierten Satz öffnet Manfred Honeck alle Schleusen und fegt einen brausenden Sturm um die Ohren der Zuhörer, der es in sich hat! Mit größter Vehemenz hämmern die Pauken, hier mit Holzschlägeln gespielt, ihren Donner ins Fell. Selten ist in einer Aufnahme derart deutlich Wind und immense Regenwassermengen imaginiert, wie es Honeck hier gestaltet. Ein apokalyptische Naturerfahrung, die glücklicherweise nur kurz währt.
Denn der beschließende „Hirtengesang“ führt in eine bereinigte Apotheose. Wie fein gearbeitet ist hier die Dynamik. Ein Hymnus mit großer spiritueller Kraft wird angestimmt, der derart bezwingend gerät, dass es einem die Tränen in die Augen treibt. Wie wunderbar in seiner Schlichtheit dann die beschließenden Sotto Voce Teile in den Streichern, die Honeck als ein von Beethoven vorgetragenes Gebet an seinen Schöpfer empfindet. Die abschließenden beiden Schlussakkorde wirken in dieser Interpretation wie ein sehr deutliches Amen.
Einmal zeigt sich das Pittsburgh Symphony Orchestra als Weltklasse Klangkörper, der in sehr warmer Klangfarbe und größter Kantabilität eine derart hinreißende Beethoven Aufnahme erst ermöglicht.
Puristen mögen sich an den interpretatorischen Freiheiten Honecks stören. Aus meiner Sicht ist Honecks Mut für die Unbedingtheit des musikalischen Ausdrucks, gar nicht hoch genug zu preisen. Der große Mariss Jansons sagte einmal zurecht: “Die Partitur ist nur eine Empfehlung, wie ein Werk gespielt werden kann. Aber Sie müssen es immer wieder neu erzählen und fühlen, fühlen, fühlen!“
Es ist ein schöner und innovativer Gedanke dieser fabelhaften CD-Reihe, die großen Werke der Vergangenheit mit zeitgenössischen Werken zu kontrastieren.
So kann der geneigte Zuhörer dann von Steven Stucky (1949 – 2016) dessen Komposition „Silent Spring“ erleben, das vom Pittsburgh Symphony Orchestra unter Manfred Honeck 2012 uraufgeführt wurde.
Die Vorlage Silent Spring ist kein Roman der Autorin Rachel Carson, sondern eine schriftliche Abhandlung darüber, wie das Gewinnstreben der Menschheit, insbesondere durch den Einsatz bestimmter Pestizide in intensiven Landwirtschaftsmethoden, den Planeten Erde langsam zerstört.
Was für ein zeitloses und leider sehr aktuelles Thema!
Die Autorin wurde damals von der Agrarindustrie und den Medien heftig verurteilt.
Nun also eine Verbindung zwischen Wissenschaft und Musik.
Wie geht das und vor allem wie klingt das?
Stucky schrieb eine einsätzige Orchester-Tondichtung in vier Abschnitten unterteilt, die versucht, eine eigene dramatische und emotionale Reise zu schaffen, ohne sich speziell auf wissenschaftliche Details zu beziehen. Stuckys Komposition konzentriert sich auf Klangebenen und dynamische Effekte. Die Musik wirkt zugänglich und erzählerisch gestaltend. Neben satten aufrauschenden Akkorden sind ebenso sanfte Streicherabschnitte zu erleben. Das raffiniert eingesetzte Schlagzeug ist hierbei unterstützende kolorierende Basis. Das Werk selbst entwickelt sich auf eine gewaltige Kulmination zu, um danach in den letzten Minuten in eine zunehmende Stille zu gelangen.
Manfred Honeck und das Pittsburgh Symphony Orchestra zeigen auch hier ihr großes Können in der Gestaltung und Spielkultur. Auch dieses unbekannte Werk wird großem künstlerischen Ernst und aussagestarker Bedeutung vorbildlich interpretiert, so dass es viele Zuhörer erreichen kann.
Insgesamt ist dem CD-Label fresh!Reference Recordings, der Name kündigt es an, erneut eine Referenz-Aufnahme gelungen!
Dazu kommt eine superbe, äußerst natürlich und dynamisch klingende Aufnahmequalität.
Vorbildlich das hoch informative CD-Booklet mit vielen persönlichen Anmerkungen von Manfred Honeck und Steven Stucky.
Dirk Schauß
- Juni 2022