LUDWIG van BEETHOVEN: 9. SYMPHONIE – Karl BÖHM – ORFEO CD
Sorgsam restauriertes Live-Dokument der Bayreuther Festspiele vom 23. Juli 1963
Ein Dirigent mit dem speziellen Götterfunken: Karl Böhm hatte 1962 bei den Bayreuther Festspielen mit Tristan debütiert. Martha Mödl und Birgit Nilsson teilten sich damals die weiblichen Hauptrollen. In den 60-er Jahren setzte Böhm für viele Musikbegeisterte unübertroffenen und unüberbietbare Landmarks der Bayreuther Wagner Rezeption mit einem Ring des Nibelungen der Superlative und wiederum Tristan und Isolde. All das ward zu unserer Freude auf Tonträgern in erstklassiger Qualität für die Ewigkeit bewahrt.
Bayreuth und Beethovens Neunte Symphonie hat eine eigene Geschichte: 1963 beging man das Wagnerjahr zum 150. Geburtstag und 80. Todestag des Komponisten nicht mit einer Sonderpostmarke (eine solche Wagner-Jubiläumsmarke gab es zumindest in der Sowjetunion), sondern mit einer Aufführung von Beethovens Neunter. Es war seit der Wiedereröffnung des Festspielhauses 1951 das vierte Mal, dass Beethoven mit seiner „Ode an die Freude“ im Festspielhaus erklang: 1951 und 1954 unter Wilhelm Furtwängler, 1953 unter Paul Hindemith. 2001 wurde Beethovens Neunte das vorläufig letzte Mal aufgeführt, unter Christian Thielemann aus Anlass des Doppeljubiläums „125 Jahre Bayreuther Festspiele“ und „50 Jahre Neues Bayreuth“.
Wagner selbst bezeichnete Beethovens bekanntestes Werk als „das menschliche Evangelium der Kunst der Zukunft.“ Er sollte insoweit Recht behalten, als der eingängige Beginn des Vokalteils im vierten Satz es immerhin bis zur Europahymne brachte, von der allerdings kaum jemand den zugehörigen Schillerschen Text auswendig kennt.
Karl Böhm ist mir persönlich als einer der besten und musikalisch aufregendsten Operndirigenten in Erinnerung. Seine Richard Strauss, Wagner- und Mozartinterpretationen brachten neben klarer Struktur und genauer Befolgung des Notentextes immer auch jene schwelgerische Freiheit und jenes rauschhafte Element, was seine Dirigate so unvergleichlich machten. Dieser strenge Taktstockmagier mit den kleinen Bewegungen war imstande, im „richtigen“ Moment die Zügel schießen zu lassen und Ausdruck, Spontanität und musikalische Intensität über alles zu stellen. Dieser Götterfunke entzündete bei Böhm auch das Innerste des Publikums. So auch an diesem heißen Sommertag im Juli 1963. Böhm legte der Aufführung die Fassung zugrunde, die auch Richard Wagner selbst verwendete, mit mehreren instrumentalen Retuschen, etwa vierfach besetzten Holzbläsern oder einer Verdoppelung der Hörner. Selbstverständlich beeinflusste auch die Akustik des Hauses das klangliche Ergebnis. Wichtig für den heutigen CD-Käufer ist jedoch das Mitreissende und unmittelbar Packende an Böhms Beethoven-Lesart, die nach „klassisch“ edlen drei instrumentalen Sätzen in einem beeindruckenden Finale kulminierte. Ein Solistenquartett, wie es luxuriöser und klangmächtiger kaum vorstellbar ist (Gundula Janowitz, Grace Bumbry, Jess Thomas, George London), der berühmte Chor der Bayreuther Festspiele sowie ein festspielwürdiges Orchester waren Böhms eingeschworene Mitstreiter für die große humane Botschaft, die einen auch heute noch im Wohnzimmer erreicht.
Diese Aufnahme war schon als LP bei Melodram erhältlich. Die Verwendung der Originalmasterbänder des Bayerischen Rundfunks erlauben zudem ein Nach- bzw. Wiederhören dieses kostbaren historischen Augenblicks, beinahe als ob man selber dabei (gewesen) wäre.
Dr. Ingobert Waltenberger