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Ludwig Steinbach: Vom Singen und von italienischer Gesangstechnik

07.06.2022 | buch

Vom Singen und von italienischer Gesangstechnik

und weitere Essays von Ludwig Steinbach

Vom Singen und von italienischer Gesangstechnik

Wer glaubt mit dem aktuellen Buch von Ludwig Steinbach ein Buch über Gesangstechnik in der Hand zu halten, wird schnell feststellen, dass dem nicht so ist. In elf Essays beschäftigt sich Musikjournalist und Opernkritiker Ludwig Steinbach mit verschiedenen Themen der Musik- und Theaterwelt.

Den Anfang macht ein Essay über die sog. „italienische Gesangstechnik“. Wer die Rezensionen von Ludwig Steinbach kennt, der weiß, dass darin häufig gesangstechnische Bewertungen und Empfehlungen zu lesen sind. Hier versucht der Autor das Wesen dieser Gesangstechnik zu erläutern, was z.T. nur gelingt und manche Vergleiche etwas abenteuerlich („die Brustwarzen werden herausgezogen“) anmuten.

Auch wirken viele Aussagen reichlich dogmatisch, was in der Ausbildung einer Stimme von jeher gefährlich sein kann. Jede Gesangsstimme ist anders veranlagt und es gibt immer wieder Ausnahmen, die z.B. sehr früh schweres Repertoire bewältigen können. Ebenso gibt es vielerlei technische Ansätze, um eine Stimme zu schulen. Steinbach vermittelt den Eindruck, als wäre die sog. „italienische Gesangstechnik“ alternativlos, was unzutreffend ist.

An dieser Stelle zwei Empfehlungen. Bariton Mauro Augustini, Schüler von Mario del Monaco, zeigt in zahllosen Beispielvideos auf youtube, wie einfach technisch richtiges und gesundes Singen sein kann. Ebenso zu erleben bei dem fabelhaften Gesangspädagogen Hans-Josef Kasper.

Steinbachs Beispiele sind dabei subjektiv und nicht immer treffsicher. Auf der einen Seite werden da reihenweise Sänger namentlich genannt, die stark gescholten werden. Als Beispiel sei hier Norman Bailey erwähnt, dem ein tremolo behafteter Gesang vorgeworfen wird, was nicht richtig ist.

Dann wieder ergeht sich der Autor lediglich in Andeutungen aktueller Sänger, ohne diese beim Namen zu nennen. Warum so mutlos an dieser Stelle? Unverständlich.

Spas Wenkoff wird da auch von ihm negativ erwähnt, der als Tannhäuser in Bayreuth seine Mühen gehabt haben soll. Dies ist jedoch völlig unzutreffend, da dieser immer noch unterschätzte Sänger im zitierten Bayreuther Mitschnitt eine sängerische und darstellerische Ausnahmeleistung an den Tag legt, von der wir heute nur träumen können.

Wenkoff war ein, vor allem auch gesangstechnisch, vorbildlicher Tenor mit einer sensationellen Atemtechnik, die es ihm ermöglichte, rekordverdächtig lange Phrasierungsbögen zu gestalten. Auf dieser Grundlage überanstrengte er niemals seine Stimme und behielt seine stimmliche Unverbrauchtheit bis zu seinem Karriereende.

Dazu dann gerade Jonas Kaufmann als besten Sänger für den Bacchus zu nennen, neben James King und Rudolf Schock, kommentiert sich fast von selbst. Es sind gute Interpreten, doch die besten Interpreten liegen etwas weiter zurück in der Vergangenheit, wie z.B. Max Lorenz, Helge Rosvaenge, Hans Hopf oder Peter Anders. Weniger weit zurückgeblickt, dann gehören sicherlich auch Ben Heppner und Johan Botha dazu.

Und Rudolf Schock, wenn auch überraschend gut als Bacchus in der Karajan Aufnahme (für die ursprünglich der junge Gedda geplant war), ist nun wahrlich kein Beispiel für technisch makellosen Gesang. Der beliebte Künstler war eher ein Exempel dafür, wie robust seine stimmlichen Kompensationsmechanismen waren, um seine technischen Defizite, wie überstarker Kehldruck oder schiefe Mundstellung auszugleichen.

Vielerlei Empfehlungen gibt es für Gesangsfreudige, allein sie zielen etwas am heutigen Theateralltag vorbei. Dort sitzen primär unkundige Entscheider, die eine Stimme nicht wirklich beurteilen können, Sänger nach visueller Eignung engagieren, die widerspruchslos jeden szenischen Schwachsinn mitmachen. Für die stimmliche Entwicklung eines Sängers gibt es nur ein geringes Interesse, denn auch der Sänger ist ein „Wegwerf-Artikel“ geworden.

Über den „kulturpolitischen Auftrag der Theater“ schreibt Steinbach im nächsten Essay. Eine seiner verschiedenen Kernaussagen ist hier die Empfehlung nach provokanten Inszenierungen, damit Theater auch weiterhin Sinn macht.

In meinen Augen ist das ein verfehlter und sinnbefreiter Gedanke, denn wenn Theater Provokation nutzen muss, um fehlende Qualität zu kompensieren, dann ist der Auftrag, ein Werk sinngebend und für ein Publikum nachvollziehbar zu erzählen, völlig verfehlt.

Fasziniert berichtet der Autor von den biographischen Spuren der Anneliese Franz.

Wer war das?

Hier handelt es sich um jene Frau, die in der Oper „Die Passagierin“ von Mieczyslaw Weinberg die KZ-Aufseherin Lisa ist. In vielen, teils bedrückenden Details, zeichnet Steinbach den vielschichtigen Lebensweg der Anneliese Franz nach. Ein wichtiges, lesenswertes und erschütterndes Essay!

Nach dieser schweren Kost folgt eine Hommage an Gottlob Frick. Frick, der „König der Bässe“, ist immer noch lebendig, zumindest in vielen Erinnerungen und Tondokumenten und vor allem durch die Gottlob Frick Gesellschaft, die jährlich viele Sänger zusammenruft, um Gottlob Frick zu gedenken. In vielen Lebensbeispielen zeichnet Steinbach ein eindrückliches, berührendes Portrait von Frick, angereichert von vielen Impressionen aus dem Leben des großen, bescheidenen Sängers.

Im Gegensatz zu Gottlob Frick dürften die wenigsten Musikfreunde den Tenor Adolf Wallnöfer (1854-1946) kennen. Ihm ist ein weiteres Essay gewidmet. Tenor Wallnöfer begann als Bassist, bevor er zum Tenor mutierte und entwickelte eine starke Spezialisierung auf die Werke Richard Wagners.

Spannend ist daran vor allem, dass es im langen Leben des Tenors tatsächlich zu persönlichen Begegnungen und zahlreichen Spaziergängen mit Richard Wagner selbst kam. Faszinierende Zeitzeugnisse weiß Steinbach zu berichten, so wurde Wallnöfer von Wagner in die sog. „Nibelungen-Kanzlei“ berufen. Im Kern ging es darum, mit anderen Kollegen die „Siegfried“ Partitur abzuschreiben. Als Tenor absolvierte Wallnöfer eine beeindruckende Karriere. Doch nach Bayreuth wurde er niemals engagiert.

Amüsant liest sich das Essay „Beckmesser – Rehabilitierung eines Stadtschreibers“. Dieser Abschnitt des Buches ist besonders gelungen, weil er dezidiert aufzeigt, wie vielschichtig sich diese faszinierende Rolle in ihren Auffassungen weiterentwickelt hat. Große Interpreten der Vergangenheit wie Karl Schmitt-Walter, Klaus Hirte, der unvergessene Herman Prey bis hin zu Michael Volle ziehen am Leser vorbei und werden en Detail charakterisiert.

Drei weitere Essays beschäftigen sich mit musikalischen Aspekten verschiedener Wagner Opern. So beleuchtet Steinbach „Wagners versteckte Mathilde-Wesendonck-Anspielungen in den Meistersingern“. Die Rede ist hier u.a. vom Wälsungen Liebes-Motiv, das u.a. im ersten Aufzug bei Davids Worten „neue Weise“ in der Oboe erklingt.

Weiter geht es mit „Tristan im Ring“, der sich im „Siegfried“ entdecken lässt.

Steinbach huldigt so dann dem „Trauermarsch“ aus der „Götterdämmerung“. Der Autor zeichnet hier eine treffliche Analyse dieser wunderbaren Musik und versucht, eine stilistische Einordnung zu geben.

Apropos Hommage: Hans Knappertsbusch und „Parsifal“ waren und sind eine perfekte Kombination! Ludwig Steinbach rekapituliert mit Detailkenntnis und Begeisterung die singuläre Bedeutung des Meister-Dirigenten.

Eine nette Idee des kurzweiligen Buches ist das abschließende Loblied auf die Opern DVD!

Natürlich kann dieses Medium die Entwicklung des Genres Oper einfangen und die vielen szenischen Irrwege vieler geltungssüchtiger Möchtegern-Inszenierungen belegen.

Steinbach ist begeistert von progressiven Machwerken, wie z.B. der grässliche „Tannhäuser“ aus Bayreuth in der Bearbeitung von Sebastian Baumgarten. Na ja …..

Vor allem aber kann die Opern DVD eindrücklich aufzeigen, was alles verloren gegangen ist! Gelungene Inszenierungen von Größen wie Jean-Pierre Ponnelle, Götz Friedrich oder Walter Felsenstein zeigen, wie verdichtet Oper wirkt, wenn Szene und Musik miteinander agieren.

Nicht zu reden von den vielen wunderbaren Sänger Zeugnissen, die deutlichst belegen, wie viel besser früher gesungen (Gesangstechnik) wurde und dass dies nicht autosuggestive Vergangenheitsverklärung ist, sondern schlicht stattgefundene Realität.

Alles in allem bietet das Buch von Ludwig Steinbach erbauliche Lektüre mit viel Informationswert.

Dirk Schauß

  1. Juni 2022

 

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