LP/VINYL (180g): LUDWIG van BEETHOVEN: 5 KLAVIERKONZERTE mit GLENN GOULD; SONY
Das Beethoven-Jahr bringt nicht nur einen Reigen an vorwiegend exzellenten Neuerscheinungen, neu gedachten Interpretationen und mehr oder weniger klugen Konzeptalben. Interessant ist etwa, dass zum ersten Mal alle Studioeinspielungen der fünf Beethoven-Klavierkonzerte mit Glenn Gould in einer Vinyl-Box angeboten werden. Alle Aufnahmen bieten klanglich die bestmögliche Version, wobei nur die Aufnahme des zweiten Klavierkonzerts vom April 1957 aus den Columbia Studios durch eine allzu trockene Akustik und engen Raumklang historisch wirkt.
Der Hit der Box ist das erste Klavierkonzert in C-Dur mit dem Columbia Symphony Orchestra unter der musikalischen Leitung von Vladimir Golschmann. Gerade aus Sicht aktueller Interpretationen wohl die modernste von allen und nie egalisiert. Eine durch und durch intellektuelle Sicht auf die Musik, von beiden Musikern in höchster Perfektion dargeboten. Glenn Gould hat ja mit seiner „Nadelstichtechnik“ die Ästhetik des Cembalospiels auf das Klavier übertragen, also das vorweggenommen, was die Originalklangapostel Jahrzehnte später als eigene Errungenschaft feierten. Knappe, klar abgezirkelte Töne scheinen sich wie Perlengirlanden zu melodischen Fäden zu binden. Und wenn der junge Pianist Glenn Gould heißt, in einem Affentempo, die den Hörer vor so viel rasch vorbei huschenden Noten ganz benebelt zurücklässt. Das ist spektakulär, Beethoven aus der Mozart Tradition verstanden, wie sich das besonders beim Largo als beeindruckende Übung in federleichtem, ätherisch schwebenden Anschlag erweist.
Auf der anderen Seite scheint Gould bei seinen eigenen Kadenzen in ersten und dritten Satz völlig egal zu sein, was Beethoven da vorher aufgeschrieben hat. Also identifiziert sich Gould hier nicht idiomatische mit dem Konzert, sondern beruft sich auf die Konzerttradition des späten 19. Jahrhunderts. Komponisten wie Brahms schrieben Kadenzen für Werke älterer Provenienz selbstverständlich in ihrem eigenen Stil. Goulds Kadenz im Allegro con brio klingt in ihrer chromatischen Verwegenheit durchaus wie eine Fuge von Max Reger, ein megastrenges kontrapunktisches Potpourris von Motiven wie von einem andern Stern. Die zweite Kadenz hat Gould als eine Rhapsodie zwischen der Fermate und dem Wiedereintritt des Orchesters konzipiert, also einen romantischeren Anstrich verpasst. Vom pianistischen her zählt diese Gesamtaufnahme in ihrer Individualität zu den denkbar positiv auf- und anregenden musikalischen Erfahrungen.
Bis auf die Kadenzen (die sind alle von Beethoven) ähnlich flott und kompromisslos „Gouldisch“ geht es beim zweiten Klavierkonzert in B-Dur zu. Diesmal wird das Columbia Symphony Orchestra von Leonard Bernstein geleitet. Es ist die älteste Aufnahme der Box, sie stammt vom Oktober 1957. Man war also noch weit entfernt vom berühmten Hahnenkampf der Diven vom 6. April 1962, wo Bernstein sich mit den berühmtem Worten, er habe noch nie so eine langsame und leise Interpretation dieses Klavierkonzerts (d-Moll von Johannes Brahms) gehört, vom Interpretationsansatz von Gould vor der Aufführung distanzierte. 1962 hatte Gould also mit seiner Sicht den Vorrang. 1957 herrscht sowohl bei den Tempi als auch der Phrasierung große Einigkeit und die beiden scheinen am selben Strang zu ziehen. Natürlich sind da völlig verschiedene Typen am Werk, wobei einen kompromisslose Passion für das, was sie tun, beide legitimerweise in ihr Stammbuch schreiben dürfen.
Die Konzerte Nr 3 in c-Moll (mit dem Columbia Symphony Orchestra vom Mai 1959 und Nr. 4 in G-Dur (mit dem New York Philharmonic vom 20.3.1961) beeindrucken (mich) weniger. Vom Grundduktus her romantisch durchhaucht, ist das ein anderer Gould, den wir da hören, mit weichen Rubati und ungemein gefühlvollen, wenngleich immer aufs Detail gerichteten sanft geformten Phrasen. Die unglaubliche – mag sie auch selbstbezogen wirken – vor virtuosem Himmelflug berstende Spannung, die bei den Konzerten Nr. 1 und Nr. 2 herrscht, weicht einer glatteren Perfektion. Es gibt magische Momente von Gould in den (Original Beethoven) Kadenzen, er singt hier und da mit, wie wir es kennen und schätzen. Bernstein pflegt seinen hochdynamische Stil, bleibt aber in allem Glanz und Gloria doch an der Oberfläche.
Das fünfte Klavierkonzert in Es-Dur mit dem American Symphony Orchestra wurde im Manhatten Center im März 1966 aufgenommen. Leopold Stokowski zelebriert einen überwältigenden Beethoven Sound, der Hörer kann sich an den gewaltigen Orchesterfluten und dem brillanten Spiel Gould berauschen. Die beiden Künstler, der noch junge Gould und der fast 50 Jahre ältere Superstar Stokowski harmonieren ungemein. Rhythmisch präzise, klar strukturiert, diszipliniert durchgezogen. Dabei vermag Stokowski seinem Ruf als Klangmagier mehr als gerecht zu werden. Hier schwimmt Beethoven weniger in frühromantischem Fahrwasser, denn in martialisch heroische Pose geworfen, wie es dem fünften Konzert wohl gut ansteht. Den langsame Satz lassen die beiden gerade wegen der formalen Stringenz in einer fantastischen ebenmäßigen Schönheit erstrahlen. Das alte Schlitzohr Stokowski wusste, wie höchste Binnenspannung zu erzeugen ist. Diese glasklare Disposition wie ein paradiesischer Sonnenmorgen lässt auch uns nicht kalt. Gould at his best! Genial!
Dr. Ingobert Waltenberger