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LP/CD BACK TO NATURE – MIKALOJUS KONSTANTINAS CIURLIONIS: Symphonische Dichtungen „The Sea“, „In the Forest“ – Mirga Gražinytė-Tyla dirigiert das Litauische Nationale Symphonieorchester und das Orchestre Philharmonique de Radio France; Deutsche Grammophon

03.11.2025 | cd

LP/CD BACK TO NATURE – MIKALOJUS KONSTANTINAS CIURLIONIS: Symphonische Dichtungen „The Sea“, „In the Forest“ – Mirga Gražinytė-Tyla dirigiert das Litauische Nationale Symphonieorchester und das Orchestre Philharmonique de Radio France; Deutsche Grammophon

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Musikalische Jubiläums-Rosen: Hommage zum 150. Geburtstag des litauischen Komponisten, Malers und Dichters Mikalojus Konstantinas Čiurlionis

Wenn Sie bisher nicht gewusst haben, dass es Čiurlionis gibt, bzw. wer dieser geniale Spätromantiker war, dann ist es jetzt Zeit, das zu ändern. Nur 36 kurze Jahre (1875-1911) lebte der litauische Mystiker und Musiker, der sein den Wundern der Schöpfung, des umfassenden Seins und Daseins gewidmetes Weltbild nicht nur in rauschhafte symphonische Dichtungen goss, sondern sich auch in abstrakten Sternenmustern, Hieroglyphen, Tagebüchern (in polnischer Sprache) und Zahlenmystik mitzuteilen suchte. Er glaubte an die Wiedergeburt, den ewigen Neubeginn alles Lebens. Diese positive Grundhaltung teilt sich unmittelbar in jedem Takt seiner Musik mit.

Ab 1894 absolvierte Čiurlionis ein Musikstudium an der Musikakademie Warschau in Klavier und Komposition, das er 1901/1902 am Leipziger Konservatorium u.a. bei Carl Reinecke ergänzte. Ab 1902 kam beim Synästhetiker Čiurlionis die Malerei zur Musik. So war er auch Mitbegründer der Litauischen Kunstgesellschaft. Die letzten drei Lebensjahre verbrachte der immer mehr unter psychischen Beeinträchtigungen leidende Künstler in St. Petersburg.

Seine Musik gründet tief in der Harmonik der Spätromantik. Čiurlionis integrierte geschickt volksmusikalische Melodien und Lieder, die er eifrig sammelte. Bedeutend für das formale Verständnis seines Schaffens sind der Rückgriff auf Polyrhythmik und Polymetrik als auch diverse polyphone Techniken.

Der Klang seiner beiden hier aufgenommenen symphonischen Dichtungen „Das Meer“ und „Im Walde“ speist sich aus einer ausgeprägten Liebe zur Natur und ihrer Abstraktion in der Malerei. Symbolismus prägte sein malerisches Wirken, das er oft mit der Co-Bezeichnung „Sonate“ (Frühlingssonate, Sonnensonate, Natternsonate, Sommersonate oder Meeressonate) versah. Sein bildnerisches Schaffen, zusammengesetzt aus Gemälden, Grafiken und Fotos, kann heute im Nationalen M. K. Čiurlionis-Kunstmuseum in Kaunas bewundert werden.

Als Komponist hinterließ Čiurlionis in der Hauptsache Orchesterstücke, Vokalmusik (hauptsächlich Chöre) Kammer, – Klavier und Orgelmusik. Die beiden auf dem vorliegenden Album vorgestellten symphonischen Dichtungen „Im Walde“ und „Das Meer“ sind allerschönste Programmmusik im besten Sinne des Wortes. Er selbst hat diese klangrauschhaft aufragenden, wirklich großen und bedeutenden Werke nie im Konzertsaal gehört.

Umso wichtiger, dass die junge litauische Dirigentin und ehemalige Chorsängerin im AIDIJA Kammerchor, Mirga Gražinytė-Tyla sich dieser beiden leuchtenden Juwelen europäischen Musikschaffens in ihrer ursprünglichen Form angenommen hat und sie mit dem Lithuanian National Symphony Orchestra („Das Meer“) und dem Orchestre Philharmonique de Radio France („Im Walde“) unter märchenhaft erzählerischer Gestik in aller instrumentalen Farbenpracht und spirituellen Vielschichtigkeit präsentiert.

Ergänzend erklingen „Sutartine“ von Romualdas Gražinis mit dem Vilniusser Kammerchor Aidija und dem Chor der Nationalen M. K. Čiurlionis Kunstschule sowie die Klavierminiaturen „Die Nachtigall“, „Herbst“ und das „Prélude in a-Moll“ von Mikalojus Konstantinas Čiurlionis, kundig interpretiert von der jungen litauischen Pianistin Onutė Gražinytė.

Fazit: Audiophile, mit- und hinreißende Aufnahmen von zwei fantastischen Werken, musikalisch auf einem Niveau mit den besten und bekanntesten Stücken der tschechischen oder der nordischen nationalen Schulen. In der kühnen Instrumentierung sind „Das Meer“ und „Im Walde“merklich inspiriert von Hector Berlioz bzw. von Richard Strauss‘ tondichterischem Schaffen. Unbedingte Empfehlung!

Vergleichseinspielung: Lithuanian National Symphony Orchestra unter Modestas Pitrenas (erschienen 2020 bei Ondine).

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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