Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

LOS ANGELES: MACBETH

20.10.2016 | Oper

Los Angeles: “MACBETH” – LA Opera, 17., 22. und 25. Sept. 2016

 Erstaunlicherweise war “Macbeth” seit 1987 nie mehr auf dem Spielplan der LA Opera gestanden, obwohl andere Verdi-Opern schon mehrmals gespielt wurden. Nun wollte man damit an den 400. Todestag Shakespeares erinnern. James Conlon hingegen, seit 2006 Music Director des Hauses, feierte damit eine Art eigenes Jubiläum. “Macbeth” wurde mit Ende dieser Aufführungsserie die von ihm am häufigsten dirigierte Oper. Seit Beginn seiner Karriere in den frühen 70er Jahren hat sie einen wichtigen Platz in seinem Repertoire eingenommen. Sein Dirigat ließ auch seine tiefe Verbundenheit mit diesem Werk erkennen, das Orchester folgte ihm mit Begeisterung. Seine Qualitäten vereinten Verdi-Feuer und Detailgenauigkeit, aber auch große Flexibilität, um auf Sänger eingehen zu können. James Conlon gehört zu den immer seltener werdenen Dirigenten, bei denen sich Sänger geborgen fühlen können. Er ist nie auf einem Egotrip, sondern versucht MIT den Sängern das bestmögliche Resultat zu erreichen. Dass er als großer Kommunikator und Lehrer nach wie vor die hervorragenden und sehr beliebten Einführungen vor Beginn der Vorstellungen gestaltet, ist ein unglaubliches Glück für Haus.

Diesmal muss ich mit einer Beschreibung der Bühne beginnen, denn sie ist nicht nur der Raum, in dem alles stattfindet, sondern wesentlicher Bestandteil der Interpretation. Darko Tresnjak, Regisseur und Co-Set Designer (zusammen mit Colin McGurk) hat in Los Angeles bereits mehrmals höchst erfolgreich gearbeitet und als 4-facher Tony Award Gewinner und künstlerischer Leiter an verschiedenen Sprechbühnen, etwa beim Old Globe Shakespeare Festival in San Diego (2004 – 2009), auch Erfahrung mit Shakespeare. Allerdings ist “Macbeth” als Oper seine erste Regiearbeit.

Er und McGurk entwarfen ein Bühnenbild, das durch Einfachheit und Funktionalität bestach. Es bestand im Wesentlichen aus einer einzigen, leicht überhängenden Wand über die gesamte Bühnenbreite und -höhe, mit Steighilfen/Griffen (wie große U-Haken) auf der ganzen Fläche. Die obere Hälfte war etwas zurückgesetzt, um einem Gang bzw. “Balkon” für den Auftritt des Chors Platz zu geben, die untere Hälfte der Wand diente als “Klettergarten” für die Hexen.

 ma1

                       Hexen in Aktion ©Karen Almond                                              

In dieser Hälfte befanden sich noch verschiebbare Teile wie Türen, mit Glaseinsätzen, die in verschiedenen Farben beleuchtet werden konnten. Sie ermöglichten dadurch auch das Gefühl eines Innenraums. Der mittlere Eingang war verspiegelt, sodass man Auftritte schon sah, bevor die Personen auf die Bühne kamen. Ein toller Effekt. Die Beleuchtung (Matthew Richards) sowie die Projektionen (Sean Nieuwenhuis) halfen zusätzlich, die verschiedenen Schauplätze zu suggerieren. Vor der Wand ergab sich eine Spielfläche, davor breite Stufen und 2 kleinere Plattformen. Die Sichtlinien waren hervorragend, die geschlossene Rückwand auch akustisch sehr sängerfreundlich. Zwei Thronsessel wurden bei der Bankettszene mittig aufgestellt, mehr “Möbel” gab es nicht, bis auf die Hexenkinder-Wiegen (davon später). Die Kostüme von Suttirat Anne Larlab deuteten die Zeit an, die Hexen sahen aus wie phantasievolle Geschöpfe zwischen Hexen und Ratten: Die Gesichter stark und unheimlich geschminkt, die Haare wirr und struppig. Ihre geschmeidigen Körper (lauter Tänzerinnen) steckten in hautfarbenen, behaarten Ganzkörperanzügen mit dicken, langen Schwänzen! Die konnten sie praktischerweise auch an der Taille einhängen, um bei eventuellen Kletterkünsten nicht behindert zu werden. Steve Rankin als Fight Director sowie Daniel Lyons als Climbing Consultant (für die Hexen zuständig) vervollständigten das Leading Team.

Tresnjaks Grundidee basiert auf Verdis Meinung, dass es in dieser Oper DREI Hauptpersonen gibt, nämlich Lady Macbeth, Macbeth und die HEXEN! Und sie sind es, die in dieser Produktion die Drahtzieher jeglicher Aktion sind. Sie haben sichtbar ihren Spaß an dem Drama, sind als “Einflüsterer” die Verursacher der Tragödie. Neun dieser Wesen (3 Mal die ursprüngliche Zahl von 3 Hexen) sind fast ununterbrochen einzeln oder alle auf der Bühne, manchmal versteckt, manchmal ganz offensichtlich, obwohl sie für die Akteure nicht sichtbar sind. Nur Banco und Macbeth erscheinen sie zu Beginn. Da sie über alles Kontrolle haben, agieren König und Königin fast wie Marionetten der Hexen, werden zu getriebenen Opfern ihrer geweckten Machtgelüste. Triumphierend setzt sich eine Hexe auf den Thronsessel, als dieser am Ende der Bankettszene von den Hexen von der Bühne geschoben wird. Sie verhindern auch durch Verwirren der Verschwörer, dass der Sohn Bancos ebenfalls ermordet wird und am Ende sitzen sie neben dem am Boden liegenden toten König und mischen sich unter die Darsteller.

Es gab bezüglich der Hexen geteilte Meinungen bei der Kritik, das Publikum reagierte jedoch durchwegs enthusiastisch und auch ich finde die Idee durchaus ansprechend. Vor allem wurde sie durchgezogen und blieb nicht auf halber Strecke stehen. Das ging so weit, dass während des Hexenchors “ondine e silfidi” die Hexen relativ große “Puppenwiegen” auf die Bühne trugen, dazu herumtanzten und schließlich ihre Hexenkinder mit glühenden Augen (!) herzten und schüttelten. Zuerst war ich irritiert, aber mit jeder weiteren Vorstellung fand ich es dann doch recht witzig und originell. Vor allem, da die zarte, tänzelnde Musik und der Text im krassen Gegensatz zum Gezeigten standen. Im Publikum sorgte es jedenfalls für einige Lacher. Im Sinne Shakespeares könnte man das durchaus als “comic relief” innerhalb dieser Tragödie interpretieren. Ich habe diese Szene auch schon „bilderbüchlhaft“ inszeniert gesehen und empfand das immer als ziemlich lächerlich.

Etwas weniger konnte ich mich mit der Lösung der Königserscheinungen anfreunden. Furchteinflößend waren sie wohl nur für Macbeth: Es traten zwei riesige Königsköpfe und ein blutüberströmter Kopf eines Kindes auf, dazu erklangen die Stimmen der Erscheinungen. Die Köpfe tänzelten herum, waren offenbar von den Hexen getragen – man sah die Beine und Schwänze. Da ja alles Humbug war, was Macbeth von den Hexen erfuhr, war das wohl nur für ihn inszeniert, denn er wollte ohnehin alles glauben, was ihm die Macht verhieß. Auch die weiteren Erscheinungen, die Macbeth mithilfe eines Spiegels zu sehen glaubte, waren zumindest für den Zuschauer wenig überzeugend. Aber es reichte wohl, wenn Macbeth davon beeindruckt war!

Die Titelrolle wurde von Plácido Domingo gesungen. Um den Charakter für sich nachvollziehbar zu machen und ihn nicht nur als absoluten Bösewicht und Mörder zu sehen, erkennt er Macbeth eher als Opfer seiner machtlüsternen Gattin, auch wenn er im Verlauf der Handlung natürlich selbst immer mehr in einen Strudel des Mordens gerät. Domingo debütierte mit dieser Partie in Berlin im Februar 2015, wo er die ganze Serie lang gesundheitlich etwas angeschlagen war. Ihn nun in Los Angeles zu erleben, wie er sich die Rolle nach weiteren Erfahrungen in Valencia und Peking zu eigen gemacht hat, wie er sie auch stimmlich überzeugend meisterte, war eine große Freude. Seine einzigartige emotionale Intensität riss in jedem Moment mit, er verzehrte sich zwischen Schrecken und mörderischer Zielstrebigkeit, die von seiner Gattin immer neu angestachelt wurde. Verdi schrieb für die Titelfigur zwar großartige Duett- und Ensembleszenen, doch gestand er Macbeth (in der Fassung von 1865) nur eine Solo-Arie gegen Ende der Oper zu:“Pietà, rispetto, amore“ zeigte Domingos großartige Gestaltungskraft in Stimme und Spiel, man musste mit diesem ruchlosen Mörder einfach mitleiden, als er erkannte, dass er am Ende seiner Tage verflucht sein würde. Das Publikum dankte ihm mit fast explosionsartigem Szenen-Applaus! Natürlich verschwand Macbeth nicht sang- und klanglos nach dem tödlichen Kampf, Domingo ließ es sich nicht nehmen, mit der kurzen, aber effektvollen Arie (aus der 1. Fassung von 1847) “Mal per me che m’affidai“ auf offener Bühne zu sterben. Seine letzten Worte “vil corona! … vil corona e sol per te!” ließen ihn schaudernd erkennen, dass ihn die Hexen zum Narren gehalten hatten, alles Morden und Töten im rücksichtslosen Streben nach der Krone sinnlos gewesen war. Eine absolut großartig gestaltete, erschütternde Szene.

ma2

            Das Königspaar muss weiter morden ….

                 ©Karen Almond                                                                                  

Lady Macbeth fand in der Mezzosopranistin Ekaterina Semenchuk eine überzeugende Interpretin. Zwar hatte sie nicht die von Verdi verlangte “hässliche Stimme”, aber ehrlich, würden wir das heutzutage wirklich tolerieren? Verdi bedachte Lady Macbeth mit großartigen, extrem anspruchsvollen Arien, ihre Auftrittsarie allein ist außergewöhnlich und revolutionär für die Zeit. Beginnt sie doch zunächst mit dem Lesen eines Briefs, um dann ansatzlos mit enormer Attacke mit “Vieni! t’affretta” loszulegen. Bereits die ersten Töne müssen überzeugen.Und das gelang Semenchuk zweifelsohne! Sie besitzt eine satte Tiefe – was ich an einer Lady Macbeth besonders schätze – und zugleich eine phänomenale Höhe, die nie schrill wird. Semenchuk begeisterte das Publikum mit jeder ihrer Soloarien und war Domingo eine großartige Partnerin. Sie harmonierten nicht nur stimmlich hervorragend, auch als Darsteller herrschte eine besondere Chemie zwischen beiden, die sich in spannenden Duetten zeigte und regelmäßig heftigen Szenenapplaus auslöste. Im Gegensatz zur Berliner Produktion, wo Domingos Macbeth mehr das Opfer hervorkehrte, seiner Lady offenbar hörig war, zeigte er hier eindeutig, dass auch der König ein Machtmensch war, überzeugt davon, nur durch das Morden aller im Wege stehenden Personen zum Ziel zu kommen. Ein beschwörender Augenkontakt hier, eine bedeutungsvolle Berührung dort, die Seelengemeinschaft des Königspaars wurde deutlich erkennbar. Die Königin zerbrach zuletzt an ihren Schuldgefühlen, bezahlte das mit Wahnsinn und Tod. Verdi packte das in eine meisterhafte Wahnsinnsszene, die Semenchuk in jeder Beziehung beeindruckend darbot.

     Banco wurde von Roberto Tagliavini, einem der vielversprechendsten jungen Bässe, verkörpert. Groß und schlank gewachsen, wirkte er vielleicht noch etwas zu jung für diese Rolle, ein wenig mehr Präsenz wird sicher mit den Jahren kommen. Die Rolle bietet nicht viele Möglichkeiten sich zu profilieren. Doch konnte er in seiner letzten Arie “Come dal ciel precipita” mit Ausdruck und ansprechendem Timbre überzeugen. Besonders berührend war auch die Zärtlichkeit, mit der er seinen Sohn beschützen wollte. Dieser wurde von Isaiah Morgan verkörpert. Er sang auch die dritte Erscheinung. Der junge Darsteller war mir schon 2015 bei “Gianni Schicchi” als Gherardino äußerst positiv aufgefallen.

ma3
     Roberto Tagliavini mit Isaiah Morgan ©Karen Almond

Auch die Rolle des Macduff wurde von Verdi stiefmütterlich bedacht, wenn man von der einen großartigen Arie “Ah, la paterna mano” absieht. Arturo Chacón-Cruz, an der LA Opera ein häufiger und gern gesehener Gast, konnte mit seiner ausdrucksstarken Interpretation punkten.

ma4
         Arturo Chacón-Cruz als Macduff                                                   

         ©Karen Almond

Der junge mexikanische Tenor erfreut mich bei jeder Wiederbegegnung durch die beständige positive Entwicklung seiner Stimme. Klang sie zu Beginn seiner Karriere in der Höhe eher eng und angestrengt, so hat er sich inzwischen eine bombensichere Höhe erarbeitet, die auch viel freier strömt. Gerade in der zweiten und dritten Vorstellung ging die Stimme wunderbar auf und löste begeisterten Applaus aus.

Obwohl zum zukünftigen König auserkoren, hat Malcolm fast gar nichts zu singen. In der kurzen Solostelle und dem attraktiven Duett mit Macduff ließ Josh Wheeker (Mitglied des Domingo-Colburn-Stein Young Artist Program) eine hell-timbrierte Tenorstimme hören, die sich gut ins Ensemble einfügte. Aufhorchen ließen drei weitere Mitglieder des Young Artist Program, nämlich der junge Bass Theo Hoffmann (Erste Erscheinung und Medico), die Mezzosopranistin Summer Hassan als Dama und die Sopranistin Liv Redpath als Stimme der zweiten Erscheinung.

Bleibt zuletzt noch dritte Hauptperson in diesem blutrünstigen Königsdrama: der LA Opera Chorus. Die Chordamen traten, während unten die rattenähnlichen Hexen tanzten oder herumkletterten, auf der oberen Etage (dem Balkon) auf, waren ebenso aufwändig und individuell geschminkt und bewegten sich auch hexengleich. Hier muss man dem Regisseur wirklich Rosen streuen, denn jede einzelne wurde offenbar gezielt angewiesen, wie und wann sie sich zu bewegen hatte, den Kopf, die Hände, da wurde nichts dem Zufall überlassen. Dasselbe galt für den Chor der Flüchtlinge. Sie saßen oder standen nicht einfach da, während das bedrückende “Patria oppressa“ erklang, Tresnjak fügte ein besonders berührendes Detail hinzu: Mitten auf der Bühne saß einsam ein kleines Mädchen (Amelia Hemmings), nur leicht bekleidet, frierend, mit leerem, starrem Blick. Gegen Ende der Szene stand eine der Frauen auf, um dem Kind eine wärmende Decke umzulegen. Das Kind ließ sich nicht berühren und setzte sich fluchtartig weiter weg. Die Frau legte daraufhin das Tuch auf den Boden neben das Kind. Danach, ohne auch nur den Kopf zu bewegen oder die Augen zu wenden, griff das Mädchen nach dem Tuch und hüllte sich damit ein wenig ein. Man konnte nicht umhin, einen Kloß im Hals zu spüren und an die vielen Kinder in Kriegsregionen zu denken, die genau solche Schicksale erleben, wie sie in dieser Oper von Macbeth durch das Hinschlachten der Bevölkerung ausgelöst wurden. Dass sich Macduff dann beim Abgehen des Chors um das kleine Mädchen kümmerte, war ein weiteres, stimmiges Detail.

Der Chor, von Grant Gershon wie immer bestens vorbereitet, sang hervorragend, wobei sich auch der Stimmcharakter der Situation wunderbar anpasste. Als Hexen sangen sie teils nasal, mit hellen Vokalen, wirklich hexengleich, mit unheimlichem, höhnischem Gelächter dazwischen. Beim Flüchtlingschor hingegen schwang die ganze Traurigkeit und Tragik in den Stimmen mit. Erwähnenswert ist immer wieder die Spielfreudigkeit des Chors, seine Präsenz in jeder Szene.

Die Vorstellungen wurden mit jedem Mal intensiver, die Darsteller vermochten immer wieder neue Details zu entdecken und im Zusammenspiel freier zu agieren. Am Ende gab es großen Jubel für das gesamte Ensemble, mit besonderem Enthusiasmus wurden natürlich Tagliavini, Chacón-Cruz, Semenchuk, Conlon und allen voran Domingo gefeiert. Er wird an diesem Haus besonders geliebt – Auftrittsapplaus am Premierenabend – und er hat sein Publikum nicht enttäuscht! Standing ovations!

 Margit Rihl

 

 

 

Diese Seite drucken