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LONDON/ Royal Opera House im Kino: ALICES ABENTEUER IM WUNDERLAND. Ballett

17.12.2014 | Ballett/Performance

Live aus dem Royal Opera House London: „ALICES ABENTEUER IM WUNDERLAND“ – BALLETT – 16.12. 2014

 

Wenn in der (Vor-)Weihnachtszeit nicht nur in der Semperoper die Märchenopern und Ballettvorstellungen chronisch ausverkauft sind, gibt es im Londoner Royal Opera House vermutlich auch keine Karten mehr, aber im Ufa Kristallpalast in der Dresdner City hat man immer Glück, denn die Übertragungen finden im größten Saal des Hauses statt. Dort kann man im bequemen Kinosessel von jedem Platz aus mit optimaler Sicht (besser als in jedem Opernhaus) und einem Glas Sekt (oder Juice) in der Hand die Londoner Aufführungen ohne den großen Aufwand einer Reise quasi live genießen. Enttäuscht war da noch nie jemand, ganz im Gegenteil, es werden nur die besten Aufführungen übertragen.

 „Alices Abenteuer im Wunderland“ als Ballett nach dem erstmals 1865 erschienenen Kinderbuch „Alice’s Adventures in Wonderland“ von Lewis Carroll mit Musik von Joby Talbot und der Choreografie von Christopher Wheeldon begeisterte nicht nur Kinder und Jugendliche. Es gibt zahlreiche Bearbeitungen dieses Kinderbuches für Tanz, Theater und Film mit mehr oder weniger „Eigenanteil“ der Verfasser. Weeldons Choreografie lehnt sich unmittelbar an das Buch an, geht aber auch eigene „Seitenwege“. Man versteht die Handlung auch ohne Vorkenntnisse. Die Choreografie hält eine fiktive Welt mit Logik und zahlreichen satirischen Anspielungen bereit. Ist es auch Nonsens, „so hat es doch Methode“. Die Besucher, Groß und Klein, werden ausgesprochen kurzweilig und nicht ohne Sinn unterhalten. Man amüsiert sich und wundert sich, wie schnell die Zeit vergeht.

 Es gibt immer wieder neue Tanzbilder, kontrastierende Kostüme und Kulissen wie aus einem Bilderbuch. Vieles wird mit wenig Aufwand, aber guten Ideen und alten Theaterpraktiken im Sinne der Handlung umgesetzt. So tragen z. B. schwarz gekleidete Gestalten (die man wahrscheinlich nur im Kino sieht), Alice und die „schwimmenden“ Kreaturen durch den See aus Alices Tränen oder später die „Grinsekatze“, die ab und zu „auseinanderdriftet“ und wieder zusammengesetzt wird, über die Bühne. Die „Flamingos“, die im Krocketspiel als Schläger dienen, werden von den Tanzenden an Schnüren und Haken in Bewegung gehalten und wirken ziemlich „echt“, wenn mit den „Bällen“, kleinen, niedlich als Igel kostümierten Kindern, „gespielt“ wird. Zwischendurch purzeln immer wieder Zahlen, Buchstaben und Spielkartensymbole zwischen den Szenen durch den Raum.

 Gewalt darf natürlich auch nicht fehlen. Dafür sorgt die „Wurstküche“, in der ganze Tiere durch den Fleischwolf gedreht werden und ein Baby um sein Leben bangt. In einer anderen Szene lässt die Herzkönigin ziemlich oft die Axt schwingen und fordert ein Todesurteil nach dem anderen, das aber dann doch nicht realisiert wird, denn der sonst äußerst willensschwache Vater/Herzkönig, Christopher Saunders, begnadigt alle. In der Handlung kroch er schüchtern unter „dem Rock“ seiner despotischen Frau, der Herzkönigin, „hervor“ und wagte kaum in Erscheinung zu treten. Als Inszenierender (neben Christopher Austin und Joby Talbot) und Ballettmeister trat er entschiedener in Erscheinung. Zusammen mit Nicholas Wright (Szenerie) und Natasha Katz (Bühnenbeleuchtung) entstand eine moderne, spritzige und kurzweilige Inszenierung, die dem ursprünglichen Charakter des Buches gerecht wird.

 Als die wütend ihre Macht „austobende“ Mutter/Herzkönigin entfachte Zenaida Yanowsky ein Feuerwerk tänzerischen Könnens. Bei ihr war einfach alles da: auch Sportlichkeit, Mimik, Humor und Ausdruckskraft. Sie ist eine Vollbluttänzerin. Ihr Part war nicht sehr umfangreich, enthielt aber die meisten Schwierigkeiten, die sie mit schnellen, sehr flexiblen, fließenden Bewegungen verband. Sie bot unbestritten die beste, reifste und anspruchsvollste Tanzleistung.

 Das Royal Ballet zeichnet sich durch Leichtigkeit eines perfekten und wie selbstverständlich wirkenden Spitzentanzes aus, nicht nur bei den Tänzerinnen, sondern auch bei einem Tänzer wie Philip Mosley, der seiner Frauenrolle als opulente Herzogin damit eine große Prise Humor verlieh.

 Neben dem perfekten Tanz auf Spitze sind es vor allem gute Körperhaltung, anmutige Armbewegungen, schöne ästhetische ausgewogene Figuren und Sprünge sowie Hebefiguren oft nur bis zur Hüfte (wie es vergleichsweise beim Eistanz sogar Vorschrift ist).

 Sarah Lamb war eine glaubhafte, sehr zierliche Alice und offenbar Liebling des einheimischen Publikums. Sie tanzte leicht wie eine Feder, „schwebte“ in die Hebefiguren hinein und gab dem staunenden, betont naiven Mädchen Alice mit Bewegung und Mienenspiel einen liebenswerten Charakter.

 In Wheeldons Choreografie, in der Ausdrucksstärke und Handlungsdarstellung dominieren, beeindruckten auch Federico Bonelli als Jack/Herzbube mit sehr sportlich-eleganter Figur, eleganter Körperhaltung und schönen Sprüngen, Steven McRae als Zauberer und verrückter Hutmacher, Eric Underwood als Rajah/die Raupe mit einer guten charaktervollen Darstellung und Ricardo Cervera als Lewis Carroll/das weiße Kaninchen, ergänzt von weiteren Künstlern des Royal Ballet.

 Für die Rahmenhandlung wird der Besucher mit der gekonnten Kulisse eines historischen Gebäudes (mit leichten Verfallserscheinungen) nach Oxford entführt, wo 1862 Lewis Carroll die drei jungen Schwestern der Familie Liddell mit Geschichten und Zaubertricks unterhält, bis er im Brunnen verschwindet und Alice nachholt. Sie verschwindet wie in einem bösen Traum in einem nicht enden wollenden Trichter, von wo aus sie mit den seltsamsten Erlebnissen konfrontiert wird, in denen die Familienmitglieder und Freunde als kuriose märchenhafte Figuren agieren. Sollte man da Parallelen ziehen, z. B. die dominante Mutter als wütende Herzkönigin und der Vater als willensschwacher Herzkönig? Am Ende findet sich das junge Paar an gleicher Stelle, aber im Jahr 2014 mit einem schönen Pas de deux wieder, und ein Tourist besichtigt das historische Gebäude. Hat Alices Reise so lange gedauert oder waren nur die jungen Leute im Hier und Heute angekommen? Märchen sind doch auch jetzt noch beliebt. 

 Das sehr zuverlässige Orchestra of the Royal Opera House wurde von David Briskin mit sichtlicher Begeisterung geleitet, so dass Orchester, Tänzer, Choreografie und Bühne zu einer eindrucksvollen Einheit „zusammenwuchsen“.

 Ingrid Gerk

 

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