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LONDON / English National Opera „Coliseum“ London/ Dresden UFA Kristallpalast: LA TRAVIATA

12.03.2015 | Oper

Live aus der English National Opera „Coliseum“ London: „LA TRAVIATA“ – 10.3.2015

 

Neu im Klassik-Programm des Ufa Kristallpalastes in Dresden sind jetzt auch Live-Übertragungen aus der English National Opera „Coliseum“ in London. Den Anfang machte Giuseppe Verdis „La Traviata“ in der Regie von Peter Konwitschny. Die Inszenierung dürfte schon älter sein (Revival Regie: Mika Blauensteiner).

 Man war gespannt, welche künstlerische Qualität das zweite Londoner Opernhaus zeigen würde. Nach den zahlreichen, sehr anspruchsvollen Aufführungen aus dem Londoner Royal Opera House mit international renommierten Sängerinnen und Sängern und in immer stimmigen Inszenierungen – gleich, ob älter und traditionell oder neueren Datums – musste man bei dieser „La Traviata“-Übertragung viele Abstriche machen, wenn man der Aufführung einiges abgewinnen wollte.

 Es war volkstümliches Niveau. Bei den Sängern zählte mehr der gute Wille als die wirkliche Gesangsleistung. Es war eine (mitunter sogar akzeptable) Mischung aus Können, Wollen und Publikumsorientierung. Am ehesten konnte da Elizabeth Zharoff überzeugen. Wenn auch die Stimme im forte ziemlich herb wirkte, die Höhe gelegentlich eine Nuance zu tief ausfiel und ein vordergründig (sicht- und) hörbares Vibrato den Gesamteindruck bei der Großaufnahme etwas schmälerte, zeigte sie doch über die Dauer der Aufführung Kondition und Konzentration und berührte bei ihren schönen gefühlvollen piano-Passagen.

 Ben Johnson wurde als Alfredo wie ein Depp in Strickjacke und, sich krampfhaft an seinem Buch festhaltend, wie ein Psychopath, in die „bessere“ Gesellschaft eingeführt, die sich im „Kleinen Schwarzen“ und Smoking entsprechend der Inszenierung wie der letzte Mob benehmen musste, und von ältlichen, dicken, sehr leicht bekleideten Serviererinnen bedient wurde (oder bedient war). Sollte Alfredo als so bedauernswerte Gestalt etwa an Alexandre Dumas, den Autor der Vorlage zum Libretto, erinnern? Gesungen hat Johnson, wie er es eben konnte mit bestem Wissen und Gewissen, aber das offenbar weniger anspruchsvolle Publikum konnte er trotzdem nicht zu Szenenapplaus nach seiner großen Arie bewegen.

 Anthony Michaels-Moore ging seine Rolle als „Vater“ Giorgio Germont sehr geschickt an. Er spielte in dem von der Regie vorgegebenen Rahmen glaubhaft und überspielte gekonnt manches, was die Stimme nicht hergab, so dass er dennoch ganz akzeptabel anzusehen und anzuhören war, wenn man nicht gerade einen der ganz Großen in dieser Rolle vor Augen und Ohren hatte.

 Nur Clare Presland sah bei ihrem relativ kurzen Auftritt gut aus. Sie traf die Rolle der Flora und sprach nicht nur äußerlich an. Annina alias Valerie Reid war eine – ganz anders als die im Privatleben (2. Akt) ausgeflippt gekleidete Violetta – sehr gepflegte, gütig besorgte Frau „in den besten Jahren“. In weiteren Rollen wirkten Matthew Hargreaves als Baron Douphol, Charles Johnston als Marquis d’Obigny und Paul Opwood als Gaston mit.

 Der Chor, der sich vorwiegend im vertikalen Bereich befinden, sich wie eine asoziale Menschenmasse bewegen und am Ende sinnloserweise um die Sachen streiten musste, sang trotzdem gut, und auch das Orchester unter Roland Böer konnte sich hören lassen.

 … und nun kommt man doch wieder nicht umhin, über Konwitschnys sehr spartanische, eigenwillige Inszenierung, die mit äußerst wenig Ausstattung „auskommt“, zu berichten. Sie begnügt sich mit einem schmalen, von der Bühne mit zahlreichen Vorhängen abgetrennten Streifen an der Rampe (wozu braucht man da eigentlich ein größeres Opernhaus mit großer Bühne?). Weil dort wenig Platz war, obwohl die Vorhänge auch mal zurückgezogen wurden, um ein „Meer“ von Spielkarten über Violetta „auszugießen“, sangen Alfredo, sein Bühnenvater und Anina am Ende aus dem Zuschauerraum, weit entfernt von der sterbenden Violetta. Alfredo beteuert zwar mit schmerzlichen Worten seine große Liebe, umarmt aber nur seinen Vater, den Verursacher des Leides, und lässt die arme Violetta allein.

 Einziges Ausstattungsstück auf der Bühne ist ein im doppelten Sinne alter, besonders hässlicher Stuhl (nicht etwa antik), auf dem sich gelegentlich Violetta niederlassen darf, seltener auch Alfredo und Giorgio Germont (nacheinander). Nur wenn Flora Violetta singend auffordert „… setz dich zu mir …“, dann muss Violetta notgedrungen auf ihrem Schoß Platz nehmen (ein improvisierendes Laientheater könnte es nicht simpler!).

 Wenn Vater Germont singt „… dieser Luxus hier …“ sehen er und das Publikum nur kahle Wände und einen kümmerlichen Haufen schäbiger Bücher. Dafür gibt es den „Luxus“, dass Alfredos Schwester, die üblicherweise nicht in Erscheinung tritt, tatsächlich auftritt, und zwar als halbwüchsiges Mädchen, dass schon heiraten will, und da sie aussieht wie ein „Mauerblümchen“, scheint es wirklich schon ihre einzige und letzte Chance zu sein, für die sich Violetta opfert, indem sie ihren baldigen Tod, nicht etwa wie üblich wegen Tuberkulose, sondern hier (ach, wie neu!) mit einem Revolver andeutet und auch schon mal in die Luft schießt – natürlich in Richtung Publikum, das darüber schon nicht mehr erschrickt.

 Der Arzt kommt vom Fasching mit spitzem Papp-„Hut“ und Luftschlange um den Hals … Es gibt viele „Einfälle“, Gags und drastische Details, die aber die eigentlichen Zusammenhänge, einschließlich Gesellschaftskritik, die nur aus vergangenen Zeiten heraus zu verstehen ist, „auf der Strecke“ bleiben lassen.

 In London scheint auch dieses Theater sein Publikum zu haben. Trotz unverändert guter Übertragungsqualität im Dresdner Ufa Kristallpalast, war das an die niveauvollen Live-Übertragungen der besten Aufführungen des Royal Opera Houses im gleichen Kino gewöhnte Publikum geteilter Meinung. Diese Inszenierung war eben mehr für den volkstümlichen Geschmack geeignet.

 Ingrid Gerk

 

 

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