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LONDON – das ROH im Kino(Dresden Kristallpalast: LE NOZZE DI FIGARO

06.10.2015 | Oper

Live aus dem Royal Opera House London im UFA Kristallpalast Dresden: “LE NOZZE DI FIGARO 5.10.2015

Die neue Saison der Live-Übertragungen hat begonnen. In Dresden lädt wieder der Ufa Kristallpalast im Stadtzentrum mit seinem größten und schönsten Kinosaal zu zahlreichen Opern- und Ballettaufführungen aus dem Royal Opera House London und dem Moskauer „Bolschoi“ ein. Als Erstes „bescherte“ er eine in sich stimmige, rundum gelungene Aufführung von „Le nozze di Figaro“ aus dem ROH, wenn auch mit einem Wermutstropfen, da die angekündigte Anita Hartig wegen Indisposition abgesagt hatte.

Sowohl musikalisch, als auch bezüglich der historisierenden Bühnenbilder von David McVicar und der eher biedermeierlichen Kostüme konnte man sehr angetan sein. Aus heutiger Sicht ist man schon froh, wenn die Oper nicht völlig auf den Kopf gestellt und die Musik nicht von der Regie „zugedeckt“ wird, wie es gegenwärtig an der Semperoper der Fall ist, wo Mozarts und da Pontes Oper vor lauter Commedia del‘arte und verfehlter Kostüme kaum noch ins Bewusstsein dringt. Bei der eher traditionellen, aber keineswegs „verstaubten“ Inszenierung am ROH unterstreicht und „illustriert“ die Regie die Handlung und Musik in traditioneller und doch moderner Weise, bei der der „Vorabend“ der (Französischen) Revolution schon sehr große Schatten vorauswirft, wenn es auch noch nicht soweit ist.

In vielen Facetten werden menschliche Charaktere gezeigt, wie sie für die Vergangenheit typisch waren und doch auch in unserer Zeit immer wieder zu beobachten sind. Durch W. A. Mozarts Musik und die Inszenierung werden sie noch menschlicher und realistischer, Typen, die man nicht so schnell vergisst.

Dominant wie seine Rolle war Stéphane Degout ein großartiger Graf Almaviva mit stimmlicher Präsenz. Schon von allen bedroht oder nicht mehr ganz ernst genommen, setzte er sich gesanglich und darstellerisch immer wieder durch, wie es seiner Bühnenfigur entspricht. Er verfügte über genügend stimmliche Mittel und Souveränität, um alle Schwierigkeiten seiner Gesangspartie perfekt zu meistern, einschließlich der großen Arie, dem „Prüfungsstück“ dieser Partie. In jeder Phase erschien er als der Graf, dessen Autorität schon „bröckelt“, der sich aber mit aller Kraft in der Endphase seiner „Macht“ doch immer wieder durchzusetzen vermag.

Im 1. und 2. Akt noch etwas zurückhaltend, im 3. und 4. Akt dann aber eine Gräfin Almaviva zwischen exponierter gesellschaftlicher Stellung, Menschlichkeit und Natürlichkeit, und doch jeder Zoll eine edle Dame war Ellie Dehn. Sie lebte in ihrer Rolle und sang mit schöner, wohlklingende Stimme, viel Feingefühl und auch einigen schönen Verzierungen, womit sie wirklich die, nicht übertriebene, aber sehr glaubwürdige Gräfin war, was auch in ihrer Mimik – ein Vorteil der Liveübertragung (Jonathan Haswell) – zur Geltung kam.

Im Gegensatz dazu wirkte Sophie Bevan, für die indisponierte Anita Hartig eingesprungen, äußerlich wie ein Mädchen aus dem Volke, ein wenig derb, aber „das Herz auf dem rechten Fleck“ und mit gutem Gesang.

Es gab bei dieser Aufführung keinen Sänger oder Sängerin, die nicht ihrer Rolle sowohl gesanglich, als auch darstellerisch gerecht geworden wären. Es waren „echte“ Menschen von Fleisch und Blut mit typischen, gut gezeichneten, auch durch ihre „Umwelt“ geprägten, Charakteren. Kate Lindsey überzeugte als jugendlich „stürmischer“, immer verliebter Cherubino und Robyn Allegra Parton als hübsche, sympathische Barbarina mit schöner jugendlicher Stimme sowie Jeremy White als alter, verarbeiteter Gärtner Antonio.

Den „Gipfel“ aber bedeutete Erwin Schrott als Figaro, der die Rolle zuvor in Covent Garden gesungen hat. Wenn auch anfangs etwas unscharf intoniert (bei einem solch exponierten Sänger fällt das auf), stand er, immer locker, mit viel Spielfreude und selbstverständlicher Natürlichkeit und Glaubwürdigkeit und im weiteren Verlauf der Aufführung auch mit sehr schöner, sicherer Stimme „seien Mann“ und „über den Dingen“. Die Sympathien des Publikums waren ganz auf seiner Seite. Mit einem langen, unerbittlichen Blick verlieh er seinem kraftvollen Aufbegehren gegen den Grafen Ausdruck.

Als Don Basilio und Don Curzio erschienen Krystian Adam und Alasdair Elliott in guten Charakterstudien, einfach so, wie man sich diese „Typen“ vorstellt. Ein „schönes“, glaubwürdiges „Paar“ waren auch Louise Winter als Marcellina und Carlo Lepore als ihr eingeschworener Partner und am Ende doch noch Ehemann Basilio. Sie schon etwas ältlich, aber noch jugendlich erwartungsvoll, mit ausgeglichener Stimme und schönem Gesang und er gesetzt und verschwiegen, entsprachen sie beide ganz der Vorstellung von diesem „Pärchen“.

Man spürte bei allem auch die „very britische“ Sicht, die vor allem bei Inszenierung, Regie, Bühnenbild und Kostümen nicht zu übersehen war. Aus deutscher Sicht wäre manches nicht ganz stilecht“, aus „britischer“ Sicht erschien es stimmig, war es doch durchaus nachvollziehbar. So mögen sich die Briten das 18./19. Jahrhundert auf dem Kontinent vorstellen.

Es gab einige typische und „neckische“ Details wie z. B. das „Technik-Spielzeug“ des Grafen, der weiträumige Saal im Schloss usw. Die Parkszenen im Schlussbild spielten sich zwar z. T. mit Interieur des Schlosses ab, aber das war wahrscheinlich der praktischen Seite des Bühnenumbaus geschuldet. Angesichts der sonst sehr ansprechenden Umsetzung der Opernhandlung sind das Kleinigkeiten, die bei den stimmigen musikalischen Darbietungen nicht sehr ins Gewicht fallen und durchaus zu akzeptieren sind.

Der führende britische Dirigent Ivor Bolton, der den Dresdnern durch das von ihm gegründete Festspielorchester der Dresdner Musikfestspiele bekannt ist, ließ am Pult des aktiv mitgestaltenden Orchestra of the Royal Opera House und nach „alter Sitte“ teilweise vom Cembalo aus leitend, den Sängern volle Entfaltungsmöglichkeiten. Da fiel auch ein kleiner „Bläser-Kiekser“ nicht ins Gewicht. Fazit: Es war eine rundum stimmige Aufführung, bei der Mozart, Da Ponte und das Publikum voll „zu ihrem Recht“ kamen.

Ingrid Gerk

 

 

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