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LISZTOMANIA: Auf dem Weg zu einem neuen Bild Liszts? Drei spannende Neuerscheinungen

01.06.2018 | cd

LISZTOMANIA: Auf dem Weg zu einem neuen Bild Liszts? Drei spannende Neuerscheinungen 

 

CD FRANZ LISZT: ATHANOR: Klavierkonzerte, Totentanz – BEATRICE BERRUT, CNSO, apartemusic

 „Für mich ist ein Konzert dann gelungen, wenn ich den Klang des Klaviers nach meinem Belieben gestalten und formen kann und mit meinem künstlerischen Spiel verborgenen Emotionen wecken und entdecken kann. In mir selbst und im Publikum.“

Beatrice Berrut

 

Was hat Liszts Musik mit dem „Athanor“, dem Ofen, den Alchemisten für ihre Suche nach der philosophischen Materie (Gold und mehr) verwendeten, gemeinsam? Nun da wäre das Streben nach dem Absoluten und Perfektion, final nach spiritueller Entfaltung. Liszt meinte ja, „der wahre Künstler müsse sich durch beharrliches Streben nach dem Allerbesten auszeichnen.“ Er mischte Ästhetisches mit Ethischem, wenn er meinte „Die Begeisterung für das Schöne, welche der Liebe zum Guten so Nahe steht, in den Gemüthern wecken und nähren, das ist die Aufgabe, die sich Künstler stellen müssen.“ Die Pianistin erläutert in ihrem Beitrag: „Wie in einem alchemistischen Verfahren bearbeitet Liszt das thematische Material, transformiert es durch sein geistiges Feuer. In seinen Werken entwickelt er ein einheitliches Thema, das als Verbindung zwischen den Sätzen fungiert.“

 

Die drei Werke für großes Orchester und Klavier, die auf der CD zu hören sind, verbindet ihre relative Kürze und Dichte, vor allem aber ihre lange Entstehungsdauer und komplexe Entwicklung. Ein langer Weg des Zweifelns und der ständigen Selbstkritik führte Liszt zu einer Art ewig unvollendeter Perfektion. Noch in den Studienpartituren späterer Jahre hat Liszt geändert, Noten ergänzt, Taktstriche eingezeichnet. In allen drei Werken hat Liszt darüber hinaus auf eine Unterbrechung zwischen den Sätzen verzichtet, wobei der Totentanz aus Variationen über ein gregorianischen Thema (Dies irae) besteht. Auf die öffentliche Meinung hat Liszt gepfiffen, vielleicht klingen seine Konzerte auch für heutige Ohren noch so kühn und universell. Das erste wegen der pianistischen Brillanz, das zweite aufgrund der darin klanglich verinnerlichten kammermusikalischen Poesie. 

 

Die junge Schweizer Pianistin Beatrice Berrut berücksichtigt in den von ihr mit hinreißender Energie und klarem Anschlag gespielten Konzerten die allerletzten Korrekturen, die der Meister noch hinzufügte. Sie fühlt sich Liszt sehr nahe, das vom Komponisten in seinen Années de pélerinage/Première année – Suisse, musikalisch zu Ehren gekommene Vallée d‘Obermann ist das Stück Erde, in dem Berrut selbst aufgewachsen ist. Berruts klar umrissenes Spiel hat einen architektonischen Plan, verliert sich kaum je in den Mäandern unendlich verschlungener Läufe, in den sonst unweigerlich zum Klangcrash führenden Steigerungen. Sparsam mit den Rubati und – hier ist noch Raum nach oben – mit dem Pedaleinsatz, geht Berrut Struktur und Substanz vor romantischer Versenkung. Das Czech National Symphony Orchestra unter der Leitung von Julien Masmondet sind auf ganzer Linie eingeschworenen Partner. beeindruckend.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

CD FRANZ LISZT: SINFONISCHE DICHTUNGEN für 2 Klaviere, Eduard & Johannes Kutrowatz, organumclassics

 

Auf diesem spannenden Album erklingen drei Tondichtungen Franz Liszts – Les Préludes, Mazeppa, Orpheus – in authentischen Bearbeitungen für zwei Klaviere. Da Liszt hier selbst Hand anlegte, kann von eigenständigen Kunstwerken gesprochen werden, die nicht unbedingt als qualitativer Vergleich mit den symphonischen Vorbildern herhalten müssen. Mich hat bei dieser CD besonders interessiert, inwieweit die beiden Klaviere/die Interpreten ihren jeweiligen Part orchestral aufrauschen lassen, bzw. wie puristisch pianistisch sie agieren und wie das gegenseitige Wechselspiel funktioniert. 

 

Bei der ebenfalls eingespielten Ungarischen Rhapsodie Nr. 2 für Klavier zu vier Händen ist die Balance ganz vorzüglich, da rasten die Noten präzise  ineinander, wie die (freilich wahnsinnig gewordenen) Zahnräder eines Schweizer Uhrwerks. Mit unglaublichem Drive und rasanten Steigerungen toben sich die Brüder Kutrowatz in einer wie improvisiert wirkenden Jam Session an all den Verzierungen aus und wirbeln in die Schlusskadenz wie Speedy Gonzales aus dem Burgenland. In diesem Stück hat auch der auf dem Album sonst nicht so präsente Humor ein kräftiges Wörtchen mitzureden. Anm.: Eduard und Johannes Kutrowatz leiten als Intendanten das internationale Liszt Festival Raiding.

 

Zu den Klavierversionen der Sinfonischen Dichtungen merkt Peter Cossé an: „Es gelingt Liszt, die Urgewalt der triumphalen Themen (Les Préludes), die düstere Rasanz der dramatischen Vorfälle (Mazeppa) und die sehnsuchtsvolle, im mythologischen Niemandsland zwischen Erotik und Keuschheit vermittelnde Sanglichkeit der Humanität (Orpheus) auch mit den begrenzten Mitteln der klavieristischen Kurztonerzeugung in philharmonischer Pracht zu entfalten, sodass die Substanz wie unversehrt, lediglich aus einem anderen Blickwinkel erlebbar bleibt.“ Das mag stimmen, ist aber im Spiel nicht zu 100% einzulösen. Eduard und Johannes Kutrowatz reüssieren in den das pralle Leben besingenden „Les Préludes“ nach einem Gedicht aus Lamartines „Méditations poétiques“ besondern in den poetisch, schwebenden mit impressionistischer Leuchtkraft hingepinselten Passagen. Wenn es in die heroische  Volle geht, dann beginnt die Musik doch zu kleben, dann klingt das hymnische Getöse eher gehämmert als urgewaltig. 

 

„Mazeppa“ bedient eine wilde Geschichte um einen zum Tode Verurteilten, der auf sein Pferd gebunden eine tagelange Hatz durchleben muss. Aber der so Gemarterte überlebt, was genug Anlass bietet, dies auch musikalisch zu feiern. Hier fasziniert das präzise, lautmalerische Spiel der Brüder Kutrowatz. Schlanker im Zugriff, gewinnen die beiden Künstler der klanglich reizvollen Partitur viele Nuancen ab, die im Orchester so nicht auszumachen sind. Hier bringt das Klavier ein Mehr an Transparenz, eine bessere Durchhörbarkeit. Weniger Pedal bei exponiertem, in großer Dichte kondensiertem Forte wäre allerdings auch hier besser gewesen. Den erzählerische Faden können die Pianisten halten, Viktor Hugos literarische Vorlage kommt jedenfalls zu ihrem Recht. 

 

Die Bearbeitung von „Orpheus“ halte ich für die am besten gelungene. Bei diesem Stück gehen Eduard und Johannes Kutrowatz ganz in ihrem lyrischen Element auf. Mit perlender Delikatesse, duftig gesponnenen Pianogirlanden wie sanft wehenden Winden kann sich der Hörer mit auf die (Traum-)Reise des antiken Sängers machen. Fabelhaft!

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

CD/DVD FRANZ LISZT: ANNÉES DE PÉLERINAGE – Première Année – Suisse, Legende 2, Francesco Piemontesi, ORFEO

 

„Die Musik ist eine poetische Sprache, die besser geeignet ist als Gedichte alles auszudrücken, was uns bisher unberührte Horizonte eröffnet, alles, was sich der Analyse entzieht, alles, was sich in den unzugänglichen Tiefen ewiger Sehnsüchte, Vorahnungen und des Unendlichen umtreibt.“ Franz Liszt

 

Es war ja keine klassische Pilgerreise, die Liszt in die Schweiz führte, sondern er ist schlicht und einfach mit seiner verheirateten Gräfin Marie d‘Agout aus Frankreich abgehauen. Liebe statt Reue und Vergebung könnte man sagen. Auch wurden die 1855 veröffentlichten Stücke nicht in der Schweiz konzipiert, sondern stellen überwiegend Umarbeitungen des 1835 und 1836 entstandenen „Album d‘un voyageur“ dar. Nur zwei der neun Teile (Eglogue, Orage) waren  ganz neue Kompositionen. 

 

Was spannend ist, dass Liszt Zitate von Schiller, Sénancourt und Byron verwendete, die über das Konzept der Programmmusik hinausgehen und die Poetik vorwegnehmen, die im späteren 19. Jahrhundert zu voller Blüte kam. Der erste Schweizerische Teil der „Années de pélerinage“ ist auf dem Album ergänzt durch die zweite „Legende“, „Saint Francois de Paule marchant sur les flots“, einem selten gespielten Stück, in dem musikalisch ausgeleuchtet wird, wie der heilige Franz von Paola sicher über die aufgewühlte See der Meerenge von Messina schreitet, nachdem er von Bootsleuten wegen seiner erbärmlichen Erscheinung nicht von der kalabrischen Küste nach Sizilien mitgenommen worden war. Geschrieben hat Liszt das Stück vor dem dramatischen biographischen Hintergrund  des Todes seiner Tochter Blandine.

 

Francesco Piemontesi hebt in seiner Interpretation die Kontraste hervor, es ist ein exzentrisches Liszt-Bild, das er vermittelt. Fein und detailreich gezeichneten Pianopassagen stehen schroffe, vulkanisch geformte Ausbrüche gegenüber, eine harmonisch verbindende Mitte wird ausgespart. Die Filmdokumentation überzeugt mich daher mehr als die bloße CD. Hier wird Außermusikalisches – die faszinierenden Bilder zu den konkreten Klanglandschaften (Lac de Wallenstadt, Vallée d‘Obermann, die Glocken von Genf) – gekonnt eingesetzt, um der Stimmung etwas dramatisch Opernhaftes bis hin zu lyrisch Intimem zu verleihen. Dazwischen sieht man Francesco Piemontesi auf dem Steinway in seine musikalische Arbeit versenkt oder sehr sympathisch Persönliches zu der Musik Liszts zu erzählen.

 

Die Filmdokumentation stammt von dem Klassikfreunden bekannten Bruno Monsaingeon, der u.a. Glenn Gould und Svjatoslav Richter filmische Denkmale errichtet hat.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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