Linz: „ON THE TOWN“ – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 04. 06.2017
Musical von Betty Comden und Adolph Green, Musik von Leonard Bernstein
Lieder englisch gesungen mit Untertitelung, Dialoge auf Deutsch.
Der mehrfache Tony- und Oscar-Preisträger (u. a. für The King and I, West Side Story, Fiddler on the Roof) Jerome Robbins produzierte im Jahre 1944 mit Leonard Bernstein als Komponisten ein Ballett namens „Fancy Free“. Dessen großer Erfolg gab den Anstoß, daraus ein Musical zu entwickeln; das erfahrene Schauspieler- und Autorenduo Comden & Green konnte dafür gewonnen werden, und mit der (auf die baldige Verfilmung bauenden) Hilfe von MGM war die Produktion, mit neuem Namen, rasch auf Schiene. Nach einem Vorlauf in Chicago fand die Uraufführung am 28. Dezember 1944 in New Yorks Adelphi Theater in der 54. Straße statt. Es folgten, bis zum 2. 2. 1946, 461 weitere Aufführungen.
Die Verfilmung, u. a. mit Frank Sinatra und Gene Kelly, hatte 1949 Premiere. Musikalisch blieb dabei allerdings wenig Bernstein über, bis auf drei Songs. Einer davon ist das diese Stadt so optimistisch und, zumindest für uns als mehrmalige Besucher, so treffend charakterisierende „New York, New York!“.
Worum geht es? Wir befinden uns (1944!) mitten im Krieg; drei Matrosen gehen um 0600 Uhr für einen 24-stündigen Urlaub von ihrem Schiff, das am Navy-Pier in Brooklyn angelegt hat („New York, New York!“). Sie wollen möglichst viel von der Stadt sehen, Kindheitsträume erfüllen, den Krieg eine Zeitlang vergessen – und das eine oder andere Mädchen kennenlernen. Natürlich läuft das nicht ohne Komplikationen ab, und daraus resultiert eine turbulente und lebenspralle Handlung, quer durch Manhattan und Coney Island, die erst um 6 Uhr früh am nächsten Morgen endet – und uns ein neues Matrosentrio vorstellt, das mit „New York, New York!“, wie ihre Kameraden tags zuvor, die Stadt erobern will.
Dennis Russell Davies. Copyright: Linzer Landestheater/Reinhard Winkler
Als letzte Premiere seiner Amtszeit ist diese halbszenische Produktion ein Abschiedsgeschenk an Opern- und Bruckner-Orchester-Chef Dennis Russell Davies, der ja immer auch Anwalt der US-amerikanischen Musik des 20. Jahrhunderts war. Wie 2001 bei „West Side Story“ unter Davis – damals war der Spielleiter freilich noch als Gast engagiert – ist auch diesmal Matthias Davids für die Regie verantwortlich, jetzt aber als am Hause fix und höchst erfolgreich tätiger Spartenchef für das Musical. Trotz reduzierten Szenarios (der Handlungsepoche entsprechende Bilder und Filme von New York werden im Hintergrund, hinter Orchester und Chor, projiziert) kommt die Interaktion der Personen sehr gut über die Rampe; Dramaturgie Magdalena Hoisbauer. Als Erzähler kondensiert Samtstimme, Volksopern-Chefdramaturg, Opernball-Lästerer und vielfältiger Publizist Christoph Wagner-Trenkwitz das Geschehen auf ebenso witzige wie gewitzte Weise; er gibt auch allgemein- und musikhistorische Hinweise und übernimmt einige kleine Rollen.
Probenfoto: Peter Lewys Preston, Gernot Romic, Rob Pelzer. Copyright: Landestheater Linz/Reinhard Winkler
Die handlungstragenden Matrosen Gabey, Chip und Ozzie – Peter Lewys Preston, Gernot Romic und Rob Pelzer – wirbeln als überzeugende Charaktere mit tollem Gesang und Körpereinsatz über die Bühne (und auch dann und wann durchs Orchester).
Probenfoto: Daniela Dett, Ruth Fuchs Lynsey Thurgar, Anaïs Lueken, Ariana Schirasi-Fard. Copyright: Landestheater Linz/Reinhard Winkler
Komödiantisch noch dankbarer sind allerdings die weiblichen Protagonistenrollen: Anaïs Lueken zieht als mehr zur Nymphomanie als zu Debussys Lyrik neigende Anthropologin Claire de Loone überzeugend eine ganze Menge Register, die wir an ihr (freilich ihren bisherigen Rollen entsprechend) noch nicht gesehen haben. Die liebesbedürftige Taxlerin Hildy Esterhazy wird von Ariana Schirasi-Fard mit großer jazziger Stimme, viel Humor und intensiver Emotion gegeben. Ruth Fuchs zeigt uns als U-Bahn-Werbefigur „Miss Drehkreuz (Monat Juni)“, Ivy Smith, Gabbys Idealbild von Mädchen (mit Schattenseiten), in allen Facetten. Ihre Nachfolgerin, Miss Juli, ist Lynsey Thurgar – eine kleinere, aber mit ebenso vollem Einsatz und guter Stimme dargestellte Rolle.
Daniela Dett kann als Diana Dream (prototypisch mühselig verruchte Nachtclubdiseuse), Dolores Dolores (punktgenau: Carmen Miranda!) und als Lucy Schmeeler, ein „Schnuppm-Momfter“, all ihre komischen und stimmlichen Fähigkeiten ausspielen – leider will sie eine Auszeit vom Bühnenbetrieb nehmen, hoffentlich nicht zu lange!
Die zum gebrannten Wasser neigende Gesangslehrerin Madame Dilly wird von Karen Robertson (die Maske mit Blick auf eine ältere Helen Traubel?) brillant als (tragi)komische Figur dargestellt. Miss de Loones (nicht unendlich) leidensfähigem Verlobten, Richter Pitkin W. Bridgework, leiht Tomaz Kovacic seinen Strauss- und Hindemith-erprobten Baßbariton in einem von Bernstein wohl etwas an Weill orientierten zornigen Lied.
Ulf Bunde eröffnet als „erster Arbeiter“ die Aufführung, als er mit profundem Baß die frühe Morgenstunde besingt, die er weit lieber in den Armen seiner Frau als arbeitend an der Kaimauer verbringen würde. Der falsche Rajah Bimmy, Inhaber einer Bauchtanzshow in Coney Island, wird von Riccardo Greco vergnüglich boshaft verkörpert.
Probenfoto: Nuria Gimenez Villarroya, Alexander Novikov. Copyright: Landestheater Linz/Reinhard Winkler
Drei neue Matrosen (folgerichtig: Mitglieder des Opernstudios) sind Xiaoke Hu, Rastislav Lalinsky, Justus Seeger – fügen sich nahtlos ins erfahrene Ensemble.
Matrose und Mädchen, ein bezaubernder Pas de Deux in den Straßen von Manhattan: Nuria Gimenez Villarroya, Alexander Novikov.
Der Chor des Landestheaters (Leitung Georg Leopold) blieb diesmal buchstäblich im Hintergrund; seine wenigen Einsätze waren aber natürlich perfekt.
Dennis Russel Davies ließ das Bruckner Orchester swingen, schmachten, säuseln, den Großstadttrubel abbilden – man konnte in der Bernstein’schen Musik förmlich baden, die komponierten Bilder wurden in prächtigen Farben auf das innere Auge projiziert. Perfekte Umsetzung der Partitur!
Begeisterter Applaus aus dem vollen Auditorium; leider gibt es nur zwei weitere Vorstellungstermine – Montag, 26. Juni und Freitag, 7. Juli des Jahres, beide um 19:30 Uhr.
Petra und Helmut Huber