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LINZ/Kammerspiele: „SWAP – WEM GEHÖRT DIE STADT?“ – eine dokumentarisch-musikalische Revue.Uraufführung

26.02.2017 | Operette/Musical

 Linz: „SWAP – WEM GEHÖRT DIE STADT?“ – Uraufführung an den Kammerspielen des Landestheaters, 25. 02.2017
Eine dokumentarisch-musikalische Revue von Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura, Musik und musikalische Einrichtung von Nebojša Krulanović

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Anna Rieser, Björn Büchner, Corrina Mühle, Sebastian Hufschmidt, Angela Waidmann, Nikolaus Cerha, Gunda Schanderer. Copyright:Christian Brachwitz/ Linzer Landestheater

0,065 + ((1,5400 – EZB-Wechselkurs) / EZB-Wechselkurs x 100) [%] ist die mit den Grundrechnungsarten ihr Auslangen findende Formel, die zum Desaster wurde: das läßt sich im vorzüglich recherchierten Programmheft zu dieser neuen Produktion nachschlagen – und man muss sich wirklich fragen, warum die daraus resultierenden Konsequenzen dem Finanzdirektor der Stadt Linz, immerhin Akademiker, so unklar blieben: sogar ein blutiger Anfänger im Umgang mit Tabellenkalkulation könnte sich innerhalb 5 Minuten alle denkbaren und undenkbaren outcomes errechnen, wenn schon nicht Papier und Bleistift oder sogar nur ein wacher Kopf genügen. Und der übergeordnete Finanzreferent hätte seine erklärte Kennerschaft der Finanzinstrumente Sparbuch und Bausparvertrag im Handumdrehen auf das seinem Amt (das z. B. 2011 ein Jahresbudget von 622 Millionen Euro verwaltete) angemessene Niveau mit diesem vergleichsweise dünnen Heftchen anheben können.

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Gunda Schanderer, Björn Büchner, Sebastian Hufschmidt, Anna Rieser. Copyright:Christian Brachwitz/ Linzer Landestheater

Das große „Hättiwari“ macht freilich auch vor den Organen der BAWAG nicht halt: die in den Gerichtsverhandlungen geoffenbarte Nonchalance in entscheidenden Gesprächen erscheint nicht nur in Kenntnis der Resultate befremdlich – sie widerspricht auch den eigenen Erfahrungen im Umgang mit freundlichen, höflichen, aber eben auch dem Konkreten verpflichteten Bankleuten.

Das alles wird von den Verfassern dieser Produktion durch Ihre Auswahl aus dem reichlich vorhandenen Material recht schön herausgearbeitet, ohne einseitig Stellung zu beziehen; immerhin gibts ja auch noch kein abschließendes Gerichtsurteil in der Sache. Und wenn man die Geschichte genauer studiert, wird man feststellen können, daß es sowas wie Finanzderivate (und den nicht immer korrekten Umgang damit) schon bei den Sumerern vor 5000 Jahren gegeben hat… Abseits der zitierten Texte finden sich auch einige wohl originäre memorable Stellen, wie z. B.: „Das Parlament wurde ursprünglich eingeführt, um den König daran zu hindern, zu viel Geld auszugeben; heute bräuchte man vielleicht einen König, um das Parlament daran zu hindern, zu viel Geld auszugeben.“

Die Musik arrangiert großteils Bekanntes, dazwischen akzentuiert Nebojša Krulanović am Klavier mit einem nach John Cage modifizierten Instrument die Miß- und (seltenen) Wohlklänge der Handlung. Etwa das erste Drittel des Abends ist der Geschichte der Arbeiterbank, ab 1965 BAWAG, gewidmet – mitunter sarkastisch anhand von (oft noch immer im Ohr klingenden) Werbeslogans, kommentiert mit zeitentsprechender Musik. Wir hören „Immer besser, besser, besser“, Hazy Osterwalds boshaften Wirtschaftswunderschlager „Konjunktur-Cha-Cha“ oder den „Ba-Ba-Banküberfall“ der EAV, bis hin zu „Who let the dogs out“ von den Baha Men, als Cerberus ins Spiel kommt. Mitunter wird auch sarkastisch (und hemmungslos kalauerisch) umgedichtet – „Ich wünsch Dir Libor ohne Leiden“. Textfassung Regine Dura, Dramaturgie Wiebke Melle.

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Nikolaus Cerha (Bürgermeister), Corrina Mühle (Bawag-Anwältin). Copyright:Christian Brachwitz/ Linzer Landestheater

Im Folgenden wird aus dem (bisherigen) Prozeßverlauf am Wiener Handelsgericht zitiert – soweit dem Rezensenten erinnerlich, gemäß dem live-ticker der OÖ Nachrichten. Die Souffleuse kommt als gerichtliche Protokollführerin ins Spiel, aber selten zu Wort – obwohl der Text eher spröde und sperrig ausfällt, gemessen an „echter“ Theaterliteratur; jedenfalls können die Akteurinnen und Akteure recht schöne Pointen herausarbeiten!

Der Natur des Stückes entsprechend übernehmen alle Ensemblemitglieder (Björn Büchner, Jan Nikolaus Cerha, Sebastian Hufschmidt, Corinna Mühle, Anna Rieser, Gunda Schanderer, Angela Waidmann) verschiedenste Rollen; hervorzuheben sind Herr Cerha, der den Tonfall des seinerzeitigen Linzer Bürgermeisters Franz Dobusch sehr gut trifft, und Herrn Krulanovićs gelegentliche Mit-Musiker Büchner (dr) und Schanderer (vlc). In den Gesangseinlagen werden vom Ensemble auch teils anspruchsvollere Chorsätze gut gemeistert.

Die Bühnenausstattung (Rob Moonen, zuständig auch für die businessgemäßen Kostüme sowie die Vasarely-orientierten Projektionen) ist technisch-modern, mit Gerüstbauten, Sitzungszimmereinrichtung … und den Inhalt kommentierenden Kartenhäusern in Klein und Groß. Hans-Werner Kroesinger inszeniert lehrstückhaft, was bei dem Inhalt aber recht gut funktioniert (ohnedies mit Augenzwinkern serviert wird) und schafft auch ein ansprechendes Tempo.
Dem Autoren- und Darstellerteam ist freilich nicht anzulasten, dass einem als Linzer und Steuerzahler nicht selten das Lachen im Halse stecken bleibt…

Hochzufriedener Applaus für ein Stück Zeitgeschichte „in progress“. Wir werden sehen (müssen), was schlußendlich wirklich herauskommt.

Helmut Huber

 

 

Helmut Huber

 

 

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