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LINZ/Black Box des Musiktheaters am Landestheater : THE FULL MONTY Ganz oder gar nicht. Musical von Terrence McNally. Premiere

20.11.2016 | Operette/Musical

Premiere in der Black Box des Musiktheaters am Landestheater Linz am 19. November 2016:

The Full Monty – Ganz oder gar nicht

Buch von Terrence McNally, Musik und Gesangstexte von David Yazbek, Deutsch von Iris Schumacher und Frank Thannhäuser
In deutscher Sprache

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Alen Hodzovic, Peter Lewys Preston, Anaïs Lueken. Copyright: Reinhard Winkler/ Landestheater

„Rust Belt“ ist ein neuerdings viel gebrauchter Begriff, nicht zuletzt in Analysen der letzten US-Wahlen. Er mag neueren Datums und US-amerikanischer Herkunft sein, die zugrunde liegenden Vorgänge (Niedergang einer einst mächtigen Schwerindustrie) sind jedoch z. B. im Norden Englands schon vor Jahrzehnten sichtbar geworden. Dort – genauer in Sheffield – liegt auch die Wurzel dieser Geschichte, die als Film von Simon Beaufoy (Buch) und Peter Cattaneo (Regie) erschien und 1997 ein großer Erfolg, bis hin zu Oscar®- und BAFTA-Gewinnen wurde; allerdings rief das die australischen Autoren Anthony McCarten und Stephen Sinclair auf den Plan, die allzugroße Ähnlichkeiten mit ihrem Stück „Ladies Night“ von 1987 sahen (die Sache wurde per Vergleich beigelegt).

2000 wurde der Stoff zu einem Broadway-Musical umgebaut, und der Handlungsort dementsprechend nach Buffalo, NY verlegt. Die Handlung blieb aber im großen und ganzen die selbe: Arbeitslose, ehemalige Stahlarbeiter, überlegen, wie sie sich – nach dem Vorbild der „Chippendales“ – mit einer striptease show über Wasser halten können, was natürlich nicht allen Beteiligten und deren Familien leicht fällt. Die komplizierte und von Zweifeln geprägte Entwicklung bis zu einer schließlich erfolgreichen Premiere ist Inhalt des Stückes.  770 Vorstellungen an der berühmten New Yorker Theatermeile, bis in den Herbst 2002, geben klar Auskunft über den Erfolg, und in Österreich ist das Musical beispielsweise schon an den Wiener Kammerspielen begeistert aufgenommen worden.
Die facetten- und ideenreiche Musik beginnt mit einer Jazz-Ouverture der Richtung hard bop; aber der Komponist hat auch viele andere Rhythmen und Stile perfekt drauf – von einem delikat harmonisierten barbershop-Sextett (a capella, wie es sich gehört) über Cha-Cha und Tango bis zu einem fetzigen rap kommt alles vor, dramaturgisch perfekt motiviert; und selbstverständlich muß in einem Stück, das im rust belt spielt, allerhand funk erklingen. Auch die lyrischen Stellen ergehen sich nicht in süßlichem Klischee, sondern haben Spannung und sind, trotz ihrer Eingängigkeit, sehr komplex komponiert. Gelungen die Anspielungen wie Elmer Bernsteins ikonisches „Magnificent Seven“-Thema, das in einem Lied über die Frage, wer denn ein RICHTIGER Mann sei, vorbeihuscht; und als man sich unter Freunden über die beste Art des Selbstmordes unterhält, wird Carole Kings Welthit „You‘ve Got a Friend“ zitiert. Eine neunköpfige Band mit Philip Tillotson als Leiter an den keyboards legt dazu die perfekte Unterlage.

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Gaye MacFarlane. Copyright: Reinhard Winkler/ Landestheater

Jerry Lukowski, der die Idee für die strip-show hat, gleichzeitig im clinch mit seiner geschiedenen Frau liegt und um seinen Sohn kämpfen muß, wird in allen Facetten einfach hinreißend von Alen Hodzovic gespielt, getanzt und gesungen. Der von Selbstzweifeln geplagte Dave Bukatinsky erhält durch André Haedicke greifbares und Empathie forderndes Leben. Beweglich und in seiner sängerischen Gestaltung wie immer höchst überzeugend Rob Pelzer, der als Tanzlehrer Ethan Girard so gerne, wie seinerzeit Donald O’Connor in „Singing in the Rain“, die Wände hochlaufen würde, das freilich nicht schafft; dafür findet er durchaus erdgebunden sein Glück mit Malcolm McGregor – auch dies eine hochkomplexe und von Riccardo Greco restlos überzeugend gespielte Figur.
Der seine Arbeitslosigkeit vor der Gattin ängstlich verbergende ehemalige Abteilungsleiter Harold Nichols, der schließlich die Leitung der Strippertruppe übernimmt, erscheint mit Hans Neblung als Wiedergänger von Leslie Nielsen, nur nicht ganz so arg vom slapstick gebeutelt wie dessen Detective Frank Drebin; tanzen und singen kann auch er vorzüglich. Eric Lee Johnson glänzt als Noah „Horse“ Simmons mit immenser Stimme und beeindruckendem komischem Talent.
Jerrys Lukowskis 12-jähriger Sohn Nathan wird von Johannes Herndler mit beeindruckend perfekter Bühnenpräsenz gegeben, Jerrys verzweifelt um Normalität bemühte Ex-Gattin Pam ist ebenso überzeugend Anaïs Lueken. Georgie Bukatinsky wird von Ariana Schirasi-Fard mit Liebe und Wärme und strahlender Stimme gestaltet. Vicky, Gattin des Ex-Managers, stellt Daniela Dett mit großem Spektrum an Gefühlen, quirliger Beweglichkeit und großer Stimme dar.
Eine ganz besondere Rolle übernimmt Gaye MacFarlane: sie spielt Janette Burmeister, Korrepitorin und Theatercoach der Truppe, als Kreuzung zwischen Barbra Streisand und einer rat-pack-gestählten Shirley Mclane, einfach zum Niederknien! Daneben ist sie auch kurz als Mutter von Malcolm McGregor zu sehen, dann freilich im Rollstuhl.
Weitere Rollen und Ensembleaufgaben werden von Gernot Romic, Peter Lewys Preston, Ruth Fuchs und Lynsey Thurgar (und einigen der Vorgenannten) mit perfektem Tanz wie Gesang und Spiel wahrgenommen. Auch die Statisterie des Landestheaters erfüllt wichtige Aufgaben.
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Lynsey Thurgar, Romic. Copyright: Reinhard Winkler/ Landestheater

Die Inszenierung von Alexandra Frankmann ist temporeich und bunt mit bestens gezeichneten Charakteren, wozu auch die Choreografie von Cedric Lee Bradley ein wichtiges Stück beiträgt. In der wandlungsfähigen black box sind sicher nur beschränkte Gestaltung und Technik möglich, Florian Parbs baut aber mit einigen wenigen Versatzstücken und Vorhangskulissen überzeugende Räume auf, in denen die Personen in lebensechten Kostümen agieren. Johann Hofbauer setzt mit seinem Lichtdesign perfekt ergänzende Akzente. Die Dramaturgie (Arne Beeker) läßt den oft sarkastischen und alles andere als politisch korrekten Humor des Stückes blühen, wobei die sprachlich geschickte und bestens mit der Musik harmonierende Übersetzung ebenfalls hervorzuheben ist.
Begeisterter Applaus für alle Beteiligten.

Doch: woher kommt die titelgebende Phrase eigentlich? Ihre Bedeutung ist jedenfalls: „umfassend“ (im Stück: der strip ist nicht mit Freilegung der Unterhose beendet…). Die BBC veranstaltete vor einigen Jahren unter dem Titel „Balderdash and Piffle“ zusammen mit dem „Oxford English Dictonary“ eine Jagd nach umgangssprachlichen und slang-Begriffen, mit dem Ziel, eine frühere Erwähnung als bislang im OED vermerkt nachzuweisen und ihren Hintergrund zu erhellen. Bei „Full Monty“ war die wahrscheinlichste Erklärung jene, die auf ein großes Bekleidungsgeschäft mit Stammsitz in Leeds, Montague (= „Monty“) Burton, verwies; auch heute gibt es noch ca. 400 Burton-Filialen: der Begriff käme demnach davon, wenn man sich dort in einem einzigen Einkauf eine umfassende Herrenausstattung zulegt, also
Anzug, Weste, Hemd, Krawatte, Socken, Schuhe etc. – was auch auf den großen Anteil dieser Firma an der Lieferung von „demob suits“, die abgerüstete britische Soldaten 1945/1946 erhielten, zurückzuführen sein könnte.

H & P Huber

 

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