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LINZ/ Schauspielhaus: Linz: „LIEBESBRIEFE“ – Tanzabend in zehn Miniaturen von Mei Hong Lin und TanzLin.Z, Uraufführung am Netztheater des Landestheaters.

14.03.2021 | Ballett/Performance

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Lorenzo Ruta, Evi Van Wieren. Foto© Vincenzo Laera

Linz: „LIEBESBRIEFE“ – Uraufführung am Netztheater des Landestheaters, aufgezeichnet im Schauspielhaus am 05. 03., ins Netz gestellt am 13. 03.2021

Tanzabend in zehn Miniaturen von Mei Hong Lin und TanzLin.Z, Musik u. a. von Eleni Karaindrou, Kolsimcha, Kronos Quartet, Heitor Villa-Lobos

Eigentlich hätte die Premiere am 6. März stattfinden sollen, im Großen Saal des Musiktheaters, aber… Die ursprüngliche Idee wurde von der TanzLin.Z-Chefin im ersten lock-down entwickelt und dann zusammen mit den Ensemblemitgliedern zu einem 1 ¼ stündigen Tanzspektakel ausgebaut.

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Pedro Tayette, Nicole Stroh. Foto© Vincenzo Laera

Die Kapitel sind:

  1. Bunte Gesellschaft: Gemeinsamkeiten wie Unterschiede in der Gemeinschaft; die Menschen treten aus ihren Schablonen hervor, zeigen überraschende Fähigkeiten. Aber die Schablonen werden immer wieder einmal auftauchen.
  2. Verstrickt: Wir sind in unserer Routine gefangen, und die Pandemie zwingt uns, neue Wege zu finden, was neben der tänzerisch-akrobatischen Darstellung durch den Wechsel von einem „Tango nuevo“ über indisch inspirierter Musik bis zu einem spätromantisch-jazzigen Klavierstück auch in der Klangwelt verdeutlicht wird. Der getanzte Kapitelabschluß zum Klavier ist ein konzentrierter, intensiver pas de deux.
  3. Karton: Einerseits sind wir eingesperrt, andererseits können wir in der Abgeschiedenheit Interessen vertiefen. Die Tänzerinnen und Tänzer sind tatsächlich in kleine Kisten gepfercht, welche aber Kontakte auch nicht gänzlich unterbinden können; freilich kann es auch vorkommen, daß man in seiner Kiste wie der bekannte Schachtelteufel herumpizzeln muß… die Musik erinnert bisweilen an Strawinskij’s „Sacre“.
  4. Abstand bitte!: Physische Distanz wird sozialer Nähe gegenübergestellt, anhand eines Paares, das fast wie Eiskunstläufer über die Bühne gleitet (Safira Santana Sacramento, Pedro Tayette).
  5. Fake news: Unsicherheit, Nicht-Wissen, wie es weitergeht, als Nährboden für irrationales Handeln und Leichtgläubigkeit. Besonders eindrücklich und unterhaltsam ein pas de trois MNS/Totalverhüllung/Maskenverweigerer: Evi Van Wieren, Shao Yang Hsieh, Nicole Stroh. Die (Zeitungs)Ente tanzt den Tango mit dem Leser (Pavel Povrazník, Lorenzo Ruta), und man glaubt nicht, wie gut eine Rumba zum Klopapierhamstern paßt… jedoch endet das Ganze in einem Anfall von Reinigungswahn, untermalt von Kronos-Quartett. Als Erlösung daraus ertönt
  6. Der Ruf der Natur: Naturerleben als Seelenbalsam in der Krise, meisterlich in einer unglaublichen Mischung aus Romantik, Präzision und Akrobatik am, besser: im Cyr-Reifen von Shao-Yang Hsieh übergeleitet zum
  7. Fernweh: imaginäre Reisen als Kompensation der erzwungenen Festsetzung – auch wenn man der hier involvierten Airline nicht recht über die Tragflächen trauen kann! Aber wenigstens zum Schmunzeln ist die Szene.
  8. Online: Netzkontakte ersetzen die physischen, aber gehen wir darin womöglich verloren? Man surft buchstäblich auf den Smartphones!
  9. Wasser: wohl als ceterum censeo muß auch ein Umweltthema eingefügt werden; ohne Frage sehr eindrucksvoll gestaltet – mit Schwerpunkt Plastikvermüllung – vom Solisten Yu-Teng Huang mit Ensemble, aber eine logische Einfügung ins Gesamtbild erschließt sich nicht.
  10. Abschied: der einsame Tod in Zeiten von Corona… die buchstäblich von den Viren befallene Solistin Kayla May Corbin, kann aber vor ihrem Ende noch von den anderen getröstet werden.

Es seien noch die restlichen Solisten wie Ensemblemitglieder angeführt, definitiv not least: Rie Akiyama, Mireia González Fernández, Shao-Yang Hsieh und Shang-Jen Yuan.

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Evi Van Wieren, Shao-Yang Hsieh, Nicole Stroh. Foto© Vincenzo Laera

Anspruchsvolle und zugleich verständliche Choreografie und spannende Inszenierung: Mei Hong Lin, Dramaturgie Roma Janus – ihre sorgfältige Einführung in den Abend kann man ebenso auf der Landestheater-website genießen. Bühne und Kostüme Dirk Hofacker – er entwickelt aus einfachen Trikots mit oft nur kleinen Zusätzen immer wieder neue, der Szenerie entsprechende Facetten, und die dürfen durchaus auch einmal zum Lachen anregen, wie der zum Entenschnabel mutierte Turnschuh… Die Bühne ist sehr einfach gehalten, kommt mit wenigen Versatzstücken aus, die freilich punktgenau die passenden Räume erzeugen, woran auch die Lichtführung Johann Hofbauers großen Anteil hat.

Im Zusammenhang mit dieser „Netzaufführung“ sind natürlich auch Kameraführung und Schnitt von entscheidender Wichtigkeit: Jonatan Salgado Romero und Constantin Georgescu kommen ohne viel Großaufnahmen aus, arbeiten vielmehr meist mit Totalen und Halbtotalen und ahmen so den Eindruck eines Zuschauers im Saal sehr gut nach: trotz heimatlicher Umgebung stellt sich ein Bühnenerlebnis ein! Wozu auch die Tonmeisterarbeit von Christian Börner beiträgt – gar nicht trivial, wie er die Musikzuspielung, die ja auch für das Bühnenpersonal gut hörbar sein muß, mit Bühnengeräuschen, bis hin zum Atmen, in Balance hält.

Detais zur verwendeten Musik finden sich im Abspann des Stückes: Autostrada – Kolsimcha, LSO, Finale aus Tango Apasionado – 1721 Project, Loxandra – Eleni Karaindrou, Armellodie – Chilly Gonzales, Mini Skirt – Kronos Quartet, Tango Apocalypso – Boris Kovac, Say It Isn’t So – Frank Ifield, Worlds Five Sterile Pression 6 – Lukas Lauermann, Summer Night – Mother Earth Sounds, The Waltz of Hope – Eleni Karaindrou, Jazz Suite No. 2, III. Tanz – Dimitri Schostakowitsch, El Abrazo – Mathieu Saglio, Carnaval das Crianças Nr. 7 – Nelson Freire, Notes I & II – Eleni Karaindrou, Valsa da Dor – Nelson Freire.

Die Aufführung bleibt 48 Stunden (zu rechnen ab Samstag, 19:30) abrufbar.

Petra und Helmut Huber

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Yu-Teng Huang.Foto© Vincenzo Laera

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Kayla May Corbin, Pedro Taylette. Foto© Vincenzo Laera

 

 

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