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LINZ/Schauspielhaus des Landestheaters: „RENT“ –Musical von Jonathan Larson (Text und Musik), Deutsch von Wolfgang Adenberg. Premiere

27.04.2025 | Operette/Musical

Linz: „RENT“ – Premiere im Schauspielhaus des Landestheaters Linz, 26. 04.

Musical von Jonathan Larson (Text und Musik), Deutsch von Wolfgang Adenberg

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Karsten Kenzel, Valerie Luksch. Foto: Reinhard Winkler

1988 hatte der Theaterautor und regelmäßige Opernbesucher Billy Aronson die Idee, die von Giacosa, Illica und Puccini so erfolgreich in die Opernwelt gebrachte „Bohème“-Geschichte in das rüde und laute New York der Jetztzeit zu transferieren. Im Jahr darauf stieß der Komponist Jonathan Larson dazu. Ziel der Autoren war es, die Generation MTV (wieder, lange nach Hair und Jesus Christ) an den Broadway zu holen. Das Stück hält sich in weiten Strecken an die „Bohème“, auch die Rollennamen sind ident bis sehr ähnlich. Aus der Tuberkulose wird, 100 Jahre nach der Uraufführung der Puccini-Oper, AIDS – was allerdings nicht heißen soll, daß die Tb heutzutage kein Problem darstellen kann: vielmehr kann man das HIV inzwischen besser und nebenwirkungsärmer bekämpfen als die Mykobakterien, die die „Schwindsucht“ verursachen.

Der Autor starb in der Nacht vor der Uraufführung am 26. Jänner 1996 am New York Theater Workshop im Village (East 4th Street), was auch Handlungsgegend ist, völlig überraschend an einer Aortendissektion. Ende April war dann Broadwaypremiere. Das Stück spielte in seiner zwölfjährigen Laufzeit 280 Mio USD ein.

Bis auf wenige Dialogstellen ist das Werk durchkomponiert, teils auch mit sowas wie Rezitativen – man könnte diese Stellen angesichts der Rhythmik jetzt auch Rapitative nennen. Puccini wird einige Male zitiert, insbesondere bei der ersten Begegenung Roger-Mimi und im zweiten Akt (Musette-Thema). Mit seinem Mentor Stephen Sondheim verbindet Larson, daß er seine Figuren nicht opernhaft Gefühle ausmalen läßt, sondern seine Texte sind aktionsbezogen, wodurch dramaturgisch Vorwärtsdrang entsteht. Die Songs wurden übersetzt außer einem: „Seasons of Love“, mit dem der zweite (in Bohème-Zählung dritte) Akt beginnt; dieses Stück, das auch weitere Kreise in der Popwelt zog, hebt an mit der Zahl der Minuten in einem Jahr. Und weil für einzelne Musicalproduktionen gerne die jeweils neu zusammengestellte band einen stückbezogenen Namen hat, heißt das präzise Quintett (einschließlich seines Leiters am 1. keyboard, Raban Brunner) „The Five Hundred Twenty-Five Thousand Six Hundred Minutes“ und residiert geschickt versteckt im Aufbau der Drehbühne.

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Lukas Sandmann, Christian Fröhlich. Foto: Reinhard Winkler

Schauspielspartenleiter David Bösch inszenierte das Werk flott und turbulent (Choreographie: Hannah Moana Paul), mit starken Emotionen, die durch das bekannt exzellente Linzer Musical-Ensemble vermittelt werden. Dafür, daß der Schluß des Stückes gegenüber der Oper durch eine kaum motivierte „Wiederauferstehung“ der Mimi verwässert ist, kann er freilich nichts. Wahrscheinlich wollte man in altbekannter Theatermanier das Publikum nicht in kompletter Depression nach Hause entlassen – immerhin hat Larson auch viele AIDS-Schicksale aus seinem Freundeskreis in das Stück hineingeschrieben, und 1996 stellte das HI-Virus noch eine weit unmittelbarere Bedrohung vieler Leben dar, als es 30 Jahre später der (vielleicht oft zu optimistischen) Wahrnehmung entspricht.

Die Bühne von Patrick Bannwart entwirft, düsterer als die alten Ziegelbauten des New Yorker „Village“, eine Containersiedlung mit Platz für davor angesetzte Aktionen, performances etc.; Weihnachten oder Neujahrsabend werden in boshafter Karikatur der Konsumgesellschaft mit ärmlich, aber bunt geschmückten „Sandler“-Mobilen (Supermarkt-Einkaufswagen) markiert. Die Kostüme (Moana Stemberger) sind für ein buntes, bohemienhaftes Volk der 1980er/90er mit einem relativ hohen Anteil an künstlerisch orientierten Schwulen, aber auch deren noch ärmeren, weil wohnungslosen, Nachbarn glaubhaft. Dramaturgie: Arne Beeker.

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Enrico Treuse, Christian Fröhlich, Lukas Sandmann. Foto: Philipp Brunader

Der HIV-infizierte Liedermacher Roger Davids (Rodolfo) ist Karsten Kenzel, präsent, emotionell und präzise. Für Marcello ist Mark Cohen, ein Filmemacher, eingesetzt; Enrico Treuse zeichnet ihn als eher nüchternen Typ, der als Gesunder natürlich aber mit seinen HIV-infizierten Freunden fühlt und sich vor allem auch um die Probleme mit den prekären Wohnverhältnissen annimmt. Mimi Marquez, heroinsüchtige Nachtklubtänzerin, wird von Valerie Luksch empathiefordernd verkörpert.

Der schwule und HIV-positive Philosoph Tom Collins (Colline) ist für Christian Fröhlich erneut eine lohnende Aufgabe, die er glänzend erfüllt. Als Entsprechung des Benoît sehen wir einen vielschichtigen Gernot Romic als Benjamin Coffin III: früherer WG-Genosse von Roger, Mark und Tom, aber jetzt deren Vermieter und ein Immobilienentwickler, der die Containerbewohner eigentlich loswerden soll, aber doch seine alten Freunde nicht völlig fallen lassen will.

Joanne Jefferson soll Alcindoro entsprechen, ist aber in „Rent“ eine größere und komplexere Rolle (mit Marcello-Anteilen), die Alexandra-Yoana Alexandrova mit Witz, Tempo und Bissigkeit erfüllt, zumal in ihrer on-off-Liebe zur ebenfalls deutlich vergrößerten Musette-Variante Maureen Johnson, einer Performancekünstlerin, die von Sanne Mieloo mit Turbulenz und großer Soulstimme zum Strahlen gebracht wird.

Wohl am meisten vom Abend aber hat Angel Dumott Schunard (i. e. Schaunard), AIDS-kranke drag queen und Schlagzeuger, von Lukas Sandmann mit Hingabe und hervorragender Stimme versehen; diese Figur stirbt aber, in einer bewegenden, geradezu überwältigenden Szene (da wars wirklich absolut still im Saal!), sozusagen statt Mimi.

Das Ensemble (Daniela Dett, Luuk Hartog, Linda Krischke, Max Niemeyer, Astrid Nowak, Lynsey Thurgar) schenkt uns eine Vielzahl von köstlichen und präzisen Vignetten.

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Lukas Sandmann, Daniela Dett. Foto: Reinhard Winkler

Viel Szenenapplaus, und am Schluß standing ovation für Ausführende wie Produktionsteam.

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Schlussapplaus.. Foto: Petra und Helmut Huber

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Schlussapplaus mit Band.. Foto: Petra und Helmut Huber

 

Petra und Helmut Huber

 

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