Premiere des Landestheaters Linz im Musiktheater am 12. November 2016
Salome
Oper in einem Akt von Richard Strauss nach dem Theaterstück Salomé von Oscar Wilde in der Übersetzung von Hedwig Lachmann
Astrid Weber, Jaques Le Roux, Seo Chang. Copyright: Falk von Traubenberg
Wilde‘s Theaterstück voller Erotik, bis zur (angedachten) Perversion, war, wie der Autor selbst, in der viktorianischen Zeit schlicht und ergreifend eine „Unmöglichkeit“. Die Uraufführung des während eines Paris-Aufenthaltes auf Französisch geschriebenen kurzen Stückes fand nach Verboten im Heimatland des Dichters in der französischen Metropole am 11. Februar 1896 statt; es dauerte bis 1931, bis es die erste öffentliche Aufführung in Großbritannien gab. Die 1894 erschienene englische Übersetzung (durch Lord Alfred Douglas, auch durch Wilde selbst?) glänzte durch die Bildsprache der den Jugendstil definierenden Illustrationen aus der Hand von Aubrey Beardsley, die Wilde allerdings weniger gefielen, da sie der Intention des Stückes widersprächen („too Japanese, while my play is Byzantine“).
Warum Wilde das Stück auf Französisch schrieb? Er hoffte, wie beim Flamen Maurice Maeterlinck gesehen, durch die Verfassung in einer ungewohnten Sprache neue Farben und Stimmungen kreieren zu können. Und er schaffte in seinem durchaus in zeitgenössischer Sprache gehaltenen Text eine zuvor nicht erreichte Musikalität, bis hin zu einer leitmotivischen Technik, die er am Sprachgebrauch der altgriechischen Dramatiker maß, denn: „Their test was always the spoken word in its musical and metrical relations. …writing has done much harm to writers.“ Dazu gelang ihm auch, die Grenze zwischen Bewußtsein und Unterbewußtem zum Verschwimmen zu bringen. Douglas aber verbog die englische Fassung, unter Verlust der Musikalität, in romantisierendes Pseudo-Shakespearean…
Diese englische Fassung (auch mit Kenntnis des Urtextes?) war das Ausgangsmaterial für die deutsche Übersetzung durch Hedwig Lachmann, die im Juni 1900 – mit Beardsleys Illustrationen – in der „Wiener Rundschau“ erschien, und von der fast alle weiteren Verwendungen im deutschen Sprachraum ausgehen. Lachmann brachte den Text wieder mehr in die Alltagssprache, weg vom Douglas’schen gekünstelten Märchentonfall; sie rekonstruierte zwar nicht Wildes ursprüngliche Musikalität, schaffte aber mit einer Reihe bildmächtiger Ausdrücke neue Effekte. Auch wirkt Salome bei ihr erwachsener und erotisch wissender als im Original. Jochanaan, bei Wilde durchaus antichristlich aggressiv und verbal gewalttätig, mutiert in der Übersetzung zum reinen Heiligen, der Böses allenfalls als Prophetie ausspricht.
Lachmanns Fassung wurde privat in Berlin am 15. November 1902 uraufgeführt; Richard Strauss saß im Publikum. Er entwickelte sein Libretto wie Debussy mit „Pelléas et Melisande“ direkt aus der Übersetzung und folgte dabei der Wagnerschen Maxime, daß die Musik aus dem Text abzuleiten sei – somit könnte man sagen, daß der endgültige Durchbruch der Moderne in der Opernmusik wesentlich von Oscar Wilde und Hedwig Lachmann beeinflußt ist. Die Figur der Salome hat auf dem Weg zu Strauss‘ „Scherzo mit tödlichem Ausgang“ eine beträchtliche Radikalisierung und Brutalisierung, eine Zuspitzung auf ihre Sexualität durchgemacht; Jochanaan wird gar zur Parodie eines Heiligen, gedacht als „eindimensionaler, Heuschrecken essender Eremit“, charakterisiert durch einen „4-Hörner-Schulmeister-Philisterton“ (Strauss zu Stefan Zweig).
Während die Uraufführung in Dresden ein rauschender (Publikums)Erfolg war und die Oper sofort als fixen Teil der Spielpläne etablierte, scheiterte Gustav Mahlers Aufführungsplan für Wien an der Zensur (nicht jedoch in Graz, unter Stabführung des Komponisten – seit Erzherzog Johann hat die Grüne Mark ja gerne die Nase vorne). Der groooße Kulturauskenner und Enkel der „epochalen“ Queen Victoria, Kaiser Wilhelm II., bemerkte zwar, Strauss habe mit „Salome“ einen schweren Fehler begangen. Der Komponist freilich wies gerne darauf hin, dass er mit den Tantiemen dieses ‚schweren Fehlers‘ seine prachtvolle Villa in Garmisch finanziert habe…
Die Strauss’sche Musik und ihre Umsetzung ist auch die Stärke des Abends: das Bruckner Orchester braust, malt flirrende Wüstenbilder, dräut und klagt – transparent und präzise unter der Stabführung von Dennis Russell Davies, der auch das Bühnengeschehen genau im Griff hat.
Weniger hat uns die Inszenierung von Marc Adam gefallen (Bühne und Kostüme: Annemarie Woods, Choreografische Mitarbeit: Pascale Chevroton, Video: Paulo Correira, Dramaturgie: Christoph Blitt):
Wenn man den Saal betritt, sieht man auf dem Szenenvorhang eine Säulenhalle, im Wind fächelnde Palmen, im Vordergrund der größte Luxus in der Wüste: Wasser, in einem swimming pool. Naja. In der Ferne zieht eine Karawane weiter, ohne sich um den Anachronismus zu kümmern. Oder gibt es eine textliche oder ideelle Handhabe, die Geschichte etwa ins Reich Saddams oder Assads zu verlegen?
Dann hebt sich der Vorhang, ehe die Musik beginnt. Die buchgemäße Terrasse des Palastes ist einem, nun leeren und beschädigten pool gewichen. Narraboth (sehr gut in Stimme und Spiel: Jacques le Roux) und seine Truppe (Erster Soldat: Nikolai Galkin, Zweiter Soldat: Justus Seeger; Page Vaida Raginskytė wurde der Einfachheit halber gleich dazurekrutiert) sind in verschlampte Kampfanzüge gekleidet, tragen ein Sammelsurium an Waffen wie Kalaschnikow und pump gun: alle stimmlich gut, sprachdeutlich.
Seo Chang. Copyright: Falk von Traubenberg
Auftritt Salome (Astrid Weber a. G.): silberne leggins, Galauniformjacke, blond-blaue Haare, eine Puppe im Schlepptau – als trotzig-pubertierender teenager kann sie durchgehen, aber überzeugend ist das Gesamtbild nicht. Stimmlich gefällt sie überwiegend gut, mitunter muss sie allerdings forcieren. Ihr Spiel wirkt mitunter unentschlossen – von der Regie alleine gelassen? Anders der Jochanaan von Seho Chang: sein mächtiger Bariton strömt samtig und druckvoll, füllt den Saal bis in den letzten Winkel, selbst „aus der Zisterne“; auch sein Spiel läßt keine Wünsche offen (ok, er muss in der Rolle auch weniger Facetten zeigen). Die Regie verpaßt ihm ein etwas verwildertes Che-Guevara-Aussehen – für den düsteren Eiferer durchaus adäquat.
Karen Robertson, Astrid Weber, Paul McNamara. Copyright: Falk von Traubenberg
Entsprechend der Versetzung des Stückes ins Heute ist Herodes in einen dunklen Anzug gekleidet; er könnte vielleicht ein lokaler Mafiaboss sein, aber König?? Statt Herodes Antipas nimmt man der Figur eher den Erode Antipasti ab… der gastierende Tenor Paul McNamara spielt engagiert und verleiht ihm solide und tragfähige Stimme – leider trifft ihn das Pech, dass ihm ausgerechnet bei „Man töte…“ ein Frosch im Hals ereilt. Die Herodias wird von Karen Robertson als zynisch-enttäusche Beißzange im Abendkleid köstlich gespielt und rollendeckend gesungen.
Die fünf Juden (Pedro Velázquez Díaz, Bonifacio Galván, Csaba Grünfelder, Xiaoke Hu, Ulf Bunde) machen ihre musikalisch heikle Sache sehr gut, bleiben auch in den Ensemblestellen bestens definiert. Optisch freilich sind sie als Partygäste im Anzug ebenso nichtssagend wie die meisten anderen Figuren, was auch für die beiden Nazarener (Dominik Nekel, Rastislav Lalinsky) und den Kappadozier (Tomaz Kovacic) gilt; auch letztere drei stimmlich überzeugend.
Karen Robertson, Astrid Weber. Copyright: Falk von Traubenberg
Vor Herodes‘ Auftritt gibt es einen Umbau: während man zu Beginn freien Blick in Wüste hat, wird nun sozusagen der „Gegenschuß“ präsentiert, mit dem Portiko des Palastes. Das kaputte swimming pool im Vordergrund freilich bleibt gleich; eindrucksvoll, wie die mächtige Säulenreihe herangefahren wird, aber die Notwendigkeit dieser Szenenänderung abseits des Originaltextes erschließt sich uns nicht. Dafür bleibt vom „Tanz der sieben Schleier“ so gut wie nichts – außer der großartig dargebotenen Musik, freilich. Was die durchaus bewegliche Frau Weber hier darbieten muß, erinnert eher an die jugendfreie Parodie einer striptease-show mit ein paar SM-Elementen; Ziel der Dominanz ist Herodes, der sich von seiner Stieftochter gründlich zum Affen machen läßt. Herodias scheint das egal zu sein. Erotische Spannung, die dem maulwurfsäugigen Tetrachen keine andere Wahl läßt, als den Propheten umbringen zu lassen? Fehlanzeige.
Orson Welles‘ Versetzung von Shakespeare’s „Julius Cäsar“ für das New Yorker Mercury Theater ins Zeitgenössische ist nun auch schon 80 Jahre her, ähnliche Ideen von Piscator sind 90 Jahre alt; das kann alles recht spannend ausfallen, vielleicht sogar heute noch, oder zumindest plausibel. Wenn man eine überzeugende Begründung für den Transfer findet. Solch eine lieferte das leading team dieser Produktion freilich nicht, ebensowenig für das umfassende Tötungsszenario zu Ende des Stückes – und bei allem Nachdenken seit den Schlußakkorden ist uns eine solche bislang auch nicht eingefallen…
H & P Huber
Unter Zuhilfename von
„Oscar Wildes Einakter ‚Salome‘ und die deutsche Rezeption“ von Rainer Kohlmayer, Tübingen 1996;
„Salome: Literatur wird Oper“ von Albert Gier, Berlin 2000
und Angaben aus www.richardstrauss.at