LINZ / Musiktheater: PARSIFAL
9. April 2022 (Premiere 12. März 2022)
Von Manfred A. Schmid
Da die liebgewonnene Tradition, zu Ostern eine Aufführungsserie von Richard Wagners Bühnenweihfestspiel anzubieten, von Staatsoperndirektor Bogdan Roscic abgeschafft worden ist (kommt demnächst die Fledermaus zum Jahreswechsel an die Reihe?), trifft es sich gut, dass heuer in Linz eine vortreffliche Neuproduktion dieses Werks dargeboten wird. Die Berichte über die Linzer Premiere vom 12. März – der Online Merker berichtete darüber – sind voll des Lobes, vor allem was die musikalische Seite betrifft. Daran hat sich nichts geändert. Das Bruckner Orchester unter der Leitung von Markus Poschner lässt eine klare, ausgewogene Gestaltung der seelenvollen Musik erklingen. Da es im Parsifal wenig Handlung gibt, spielt sich das Meiste ohnehin in der sinfonisch strukturierten Partitur ab. Dabei geht es Wagner in seinem letzten Werk aber nicht so sehr um dramatische Zuspitzungen, sondern um die feine Ausgestaltung der Übergänge, um die Beschreibung innerer Konflikte und Befindlichkeiten sowie um die Schilderung der wunderbaren Natur. Poschners analytische Herangehensweise führt zu einem transparenten, nie zu üppigen Klang und bietet so den Sängern und der Sängerin auf der Bühne beste Entfaltungsmöglichkeiten, die auch entsprechend genutzt werden.
Die Regie des Linzer Schauspieldirektors Stephan Suschke lässt kein explizites Interesse an einer Deutung erkennen. Der erste Aufzug in einer kahlen Säulenhalle verläuft unspektakulär in einem zeitlich nicht näher festgelegten Ambiente. Parsifals Mutter, laut Wagner eine unsichtbare „Stimme aus der Höhe“, ist hier allerdings schon im Vorspiel auf der Bühne an der Seite des auf einem Schaukelpferd reitenden jungen Parsifal zu sehen und tritt auch später immer wieder auf (Eine Sparversion: Serebrennikov lässt in seiner Wiener Inszenierung bekanntlich gleich drei Mütter aufmarschieren). Bunter wird es dann in Klingsors Schloss, hier ein Laufhaus, in dem Wagners „Zaubermädchen“ als Sexarbeiterinnen ihre Dienste anbieten. Jedes der vielen Fenster hat einen eigens gemusterten Vorhang, so dass das Ganze wie eine Patchwork-Fassade bzw. wie ein amerikanischer Quilt aussieht. Klingsor hält sich die ganze Zeit, etwas abgehoben thronend, auf dem Dach des Hauses auf, sitzt, rauchend Zeitung lesend oder sinnierend, in einem Liegestuhl und nimmt – nachdem er Kundry über ihre Aufgabe, Parsifal zu verführen, eingehend instruiert hat – wenig Anteil am Geschehen, das unter ihm abläuft. Offenbar geht er davon aus, dass sein Plan ohnehin klaglos umgesetzt und gelingen wird.
Im dritten Aufzug geht der Regssiseur Suschke etwas regietheaterlicher ans Werk. Der Aufenthaltsraum der heruntergekommenen Gralsritter ist total vermüllt. Der erwartete „Karfreitagszauber“ fällt aus. Kundry wird mit Wasser aus der Wasserleitung getauft, der als Erlöser zurückkommende Parsifal bekommt goldene Schuhe angelegt, und Gurnemanz lässt dazu noch eine Handvoll Goldflocken auf sein Haupt herunterrieseln. Die Zukunft der Männergesellschaft sieht in Wahrheit aber weder goldig noch rosig aus. Untrügliches Regietheater-Signal dafür: Es fällt Schnee in die Halle, offenbar ist das Dach undicht. Trostlosigkeit und Müdigkeit prägen das Geschehen rund um die nunmehr von Parsifal an Stelle von Amfortas vollzogene Enthüllung des Grals. Haben sich die rauen Gesellen im ersten Aufzug noch das Blut als Kriegsbemalung kreuzförmig auf die Brust geschmiert, beklagen sie sich nun darüber, dass sie nicht mehr gerufen, nicht mehr gebraucht werden. Ein Ritterorden ohne Perspektiven. Keine Kreuzzüge mehr. Wie da die „Erlösung dem Erlöser“ aussehen soll, mit der Wagner die Oper enden lässt, bleibt ungeklärt.
Die Leistungen der Sänger, die bereits in der Premierenbesetzung waren und nun erneut zum Zug kommen, sollen hier nicht nochmals im Detail gewürdigt werden. Festzuhalten ist lediglich, dass Martin Achrainer ein herausragend singender und spielender Amfortas ist, William Mason ein berührender Titurel und Adam Kim ein guter, mysteriöser Klingsor. Allesamt respektable Hausbesetzungen, nicht zu vergessen der Opernchor sowie der Kinder-und Jugendchor. Der Stimme von Heiko Börner als Parsifal fehlt der einen Heldentenor auszeichnende metallische Glanz, aber sehr heldenhaft ist er in dieser Inszenierung ohnehin nicht konzipiert. Parsifal kommt nicht – wie im Libretto angekündigt – als strahlender Held, in gleißender Ritterrüstung und mit heruntergeklapptem Visier angerauscht, sondern müht sich, den wunderkräftige Speer als Gehhilfe nützend, nach vorne. Ein jämmerlicher, bedauernswerter Anblick.
Neu ist der dänische Bass Rúni Brattaberg als der das Geschehen unablässig bestimmender und kommentierender Gurnemanz. Wohl um mit seinen stimmlichen Mitteln möglichst ökonomisch umzugehen, nimmt er sich im ersten Akt merklich zurück und wirkt oft zu leise, kann dafür aber dann im Schlussteil um einiges zulegen.
Die beste Leistung des Abends, knapp vor dem Linzer Publikumsliebling Achrainer, liefert die ebenfalls nicht in der Premierenbesetzung vertretene Tuija Knihtilä. Die finnische Sängerin, die einen farbigen, fein modellierbaren Mezzosopran vorzuweisen hat, ist als demutsvolle, heilkundige auf Erlösung hoffende Dienerin ebenso überzeugend wie als verwunschene, Parsifal nachdrücklich umgarnende Verführerin im Klingsor-Akt. Ein starker Auftritt.
Viel Applaus für einen musikalisch gelungenen Opernabend, der inszenatorisch zwar einige Reibestellen aufzuweisen hat, die das Publikum aber nicht nachhaltig zu irritieren scheinen. Ein einsamer Buhruf ist zu registrieren, mehr nicht.
10.4.2022