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LINZ / Musiktheater: PAGANINI

Eine schillernder Showstar, in vielfacher Gestalt erfassbar gemacht

22.10.2024 | Operette/Musical
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Matjaz Stopinsek (Paganini, Mitte) und weitere Paganinis. Foto: Landestheater Linz (Barbara Pálffy)

LINZ / Musiktheater: Lehár-Operette PAGANINI

21. Oktober 2024 (Premiere 12, Oktober 2024)

Von Manfred A. Schmid

Die 1925 in Wien uraufgeführte Operette Paganini eröffnete die dritte Schaffensphase Franz Lehárs, die sich von heiteren, unbeschwerten Werken abwenden und hin zu opernhaften, tragischen Operetten ohne Happyend entwickeln sollte. Die Titelfigur des mit reichen Melodien ausgestatteten Stücks hatte Lehár für Richard Tauber konzipiert, der sie bei der Berliner Premiere auch sang. In Linz übernimmt Matjaz Stopinsek diese Aufgabe und braucht einige Zeit, in diese Rolle hineinzufinden. Das liegt vor allem daran, dass in den vorhergehenden Akten die sich entwickelnde Affäre Paganinis mit der mit Fürst Felice Bacchioccho verheiratetem Maria Anna Elisa, eine Schwester Napoleons (Carina Tybjerg Madsen), im Mittelpunkt steht. Sie sind einander anlässlich eines Auftritts des Stargeigers in Lucca begegnet und haben sich verliebt. Leider knistert es in dieser Beziehung überhaupt nicht, so dass rätselhaft bleibt, was sie aneinander finden, was sie gegenseitig anzieht und was sie – wenn auch nur vorübergehend – zusammenhält. Von brennender Leidenschaft jedenfalls keine Spur. Ein weiterer Grund ist die mysteriöse, von bösen Gerüchten umsponnene Figur des charismatischen „Teufelsgeigers“ Paganini, des ersten Showstars der Musikgeschichte, dem sogar Mord und mehrjährige Kerkerhaft angedichtet wurden. Die schillernde Figur eines Mannes, der ein Leben lang von Krankheiten heimgesucht und von weiblichen Fans verehrt und hysterisch gejagt wurde wie ein Popstar heutiger Tage, lässt sich tatsächlich nur schwer fassen. 

Das hat Regisseur Thomas Enzinger erkannt und dazu geführt, in seiner Inszenierung diesen faszinierenden Ausnahmekünstler gleich mehrfach aufgespaltet auf die Bühne zu bringen und so verschiedene Facetten dieser komplexen Persönlichkeit beleuchten und spiegeln zu lassen. Da ist einmal der alte, gebrechliche Paganini (Alfred Rauch), der am Beginn allein auf der Bühne steht, sich an die wohl einschneidende Episode damals in Lucca erinnert, die  Handlung begleitet und mitverfolgt, kommentiert und vor allem die bösartigen Vorwürfen und Anschuldigungen, die immer wieder von Stimmen aus dem Off auf Paganini herunterprasseln, dementiert und als bloße Gerüchte zurückzuweist. (Dazu, dass das alles in bruchstückhaften Erinnerungen erfolgt, passt auch die exzellente Bühne von Bernd Franke, die die Schauplätze in und um Lucca mit Bruchstücken von Gebäuden bestückt). Weiters gibt es Paganini als Knaben (Lorenz Perthmayr), der von seinem Vater ständig zum Üben gedrängt wurde, was nicht nötig gewesen wäre, weil er, wie er beteuert, das Geigenspielen ohnehin von Anfang an innig geliebt hat. Und natürlich ist da auch die Hauptperson: Paganini bei seinem Gastspiel in der Toscana, wo er vor allem als ein gegenüber weiblichen Reizen äußerst empfänglicher Mann dargestellt werden soll, was Matjaz Stopinsek anvertraut ist und ihm nicht ganz gelingt. Er ist zu wenig agil, wirkt eher melancholisch und passiv. Auch Paganini als Geiger ist natürlich gefragt, der in einer Operette als Höhepunkt einen fulminanten Auftritt zu absolvieren hat. Diesen Part übernimmt de Píotr Gladki. Die virtuos angelegte Musik, die er zum Besten gibt, ist eindeutig nicht von Paganini, sondern von Lehár: ein zündender ungarischer Csardas.

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Doch damit immer noch nicht genug: Enzinger komplettiert die Vervielfachung Paganinis durch sechs Tänzer, ebenfalls mit dessen schwarzglänzender Mähne, Kleidung und Sonnenbrillen (Kostüme von Götz Lanzelot Fischer), die die dunklen Seiten seiner Persönlichkeit verkörpern. Das von Evamaria Mayer choreographierte Ensemble erfüllt damit eine wichtige Rolle und repräsentiert drastisch die Schattenseiten eines Künstlerlebens: Wenn Paganini nostalgisch davon schwärmt „Gern hab‘ ich die Frau’n geküsst, hab‘ nie gefragt, ob es gestattet ist; dachte mir: nimm sie dir, küss sie nur, dazu sind sie ja hier!“, wälzen sie sich im Hintergrund mit Frauen, was eindeutig auf Vergewaltigungen hinweist. Ein gewagter Einfall, der aber eine starke und wohl auch erforderliche Replik auf die heute nicht mehr statthaften Textzeilen von Lehárs Librettisten Paul Knepler und Bela Jenbach ist. Ein wunderschönes, einschmeichelndes Liebesslied, das heute, ebenso wie Maria Anna Elisas „Liebe du Himmel auf Erden“, gerne gesungen wird, unkommentiert in Zeiten von „Me-too“ aber einfach nicht mehr geht. Eine gute Lösung des Dilemmas durch die Regie, auch wenn hier Paganini vermutlich Unrecht getan wird.

Nachdem die Fürstin herausgefunden hat, dass sich Paganini auch mit Bella, Primadonna an der fürstlichen Oper zu Lucca, eingelassen hat und persönliche Kränkung und Eifersucht ihre Beziehung prägen, wachsen sowohl Stopinsek wie auch Tybjerg Madsen darstellerisch über sich hinaus und erreichen auch gesanglich ihre Hochform. Der aus Slowenien stammende Tenor besinnt sich in „Ja meine Geige lieb ich immerdar“  seiner eigentlichen Bestimmung, und die dänische Sopranistin – beide Ensemblemitglieder – zeigt in  „Wo meine Wiege stand, ich weiß es nicht – Wer will heut mein Liebster sein“, dass ihr auch das Temperament einer zündenden Carmen eigen ist.

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Tina Jósephine Jaeger (Bella Giretti) und Jonathan Hartzendorf (Pimpinelli)

Tina Josephine Jaeger als Bella hat die für diese Rolle die erforderliche Soubretten-Stimme und auch das dazu passende komödiantische Talent. Mit Jonathan Hartzendorf als sie tollpatschig umwerbender Kammervorsteher Pimpinello bilden sie das obligate komische Nebenpaar, Grundpfeiler einer jeden Operette.

Tadellose Leistungen erbringen weiters Ulf Bunde als Fürst Felice Bacchioccho und Markus Raab als gestresster Impressario Bartucci. Für das Bruckner Orchester unter der Leitung von Marc Reibel ist Lehárs melodienreiche und walzerselige Musik hörbar eine gewiss willkommene Abwechslung im von monumentalen symphonischen Herausforderungen geprägten heiligen Bruckner-Jahr. Für das Publikum die Gelegenheit, ein nicht so häufig gespieltes Werk des Meisters der silbernen Ära der Wiener Operette kennenzulernen. Herzlicher, dankbarer Applaus

 

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