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LINZ / Musiktheater: Musical TOOTSIE – österr. Erstaufführung

Ein Schauspieler, der sich als Frau ausgibt, um eine Rolle zu ergattern - Darf man(n) das?

21.12.2023 | Operette/Musical
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Gernot Romic als Dorothy Michaels. Alle Fotos: Landestheater Linz / Herwig Prammer

LINZ / Musiktheater: Musical TOOTSIE

20. Dezember 2023 (Premiere 9.12.23.)

Von Manfred A. Schmid

Einfach ein weiteres Musical, das einen erfolgreichen Film auf die Bühne bringt? Nicht ganz. Natürlich hat Tootsie, am Landestheater Linz zur österreichischen Erstaufführung gebracht, viel mit dem 1982 herausgekommenen Kinohit gleichen Namens zu tun, in dem Dustin Hoffman als arbeitsloser Schauspieler, der es sich mit allen Theaterleuten durch sein forderndes Auftreten verscherzt hatte und von seinem Agenten gefeuert wurde, zum Star einer TV-Krankenhausserie wird: Nachdem er, als Frau verkleidet, ein Casting bestanden hat und fortan als Dorothy Michaels das Publikum bezaubert. Die anstrengende Maskerade führt zu einigen schwierig zu meisternden Situationen und Missverständnissen, bestes Material für lustige Hoppalas und witzige Dialoge. Eine Filmfarce als Lacherfolg, ohne große moralische Folgen. Dass hier eigentlich im großen Stil betrogen wird, hat kaum Folgen. Michael kommt ungeschoren davon und bekommt das Mädchen.

40 Jahre später, in Zeiten von Gender-Diskussionen und verpönter kultureller und vermutlich auch geschlechtlicher Aneignung, wenn Blackfacing auf der Bühne längst verboten ist und sogar beim Kinderfasching eine Kostümierung als Chinese oder Indianer als ungehörig gilt, sieht das schon etwas anders aus. Die Musical-Version klammert die moralische Problematik nicht aus, sondern versucht sie zu thematisieren. So ist bei den Proben – politisch korrekt – immer von „Schauspieler:innen“ die Rede, was allerdings etwas befremdlich wirkt. Vor allem aber geht es darum: Darf ein Schauspieler, der sich als Frau ausgibt, einer Kollegin den Job wegnehmen? Am Schluss, als Michael die von ihn angebetete Julie, die er getäuscht und enttäuscht hat, auf einer Parkbank trifft, nachdem, er sich selbst schon Vorwürfe wegen seines ungebührlichen Verhaltens gemacht hat, gib es kein jähes Happyend, sondern es herrscht Betroffenheit und Nachdenklichkeit. Der weitere Verlauf, falls es den überhaupt geben sollte, bleibt mehr als ungewiss.

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Tanzensemble und das erhöht positionierte Orchester

Das neue Libretto von Robert Horn, 2019 mit dem Tony-Award für das beste Buch eines Musicals ausgezeichnet, verlagert die Handlung aus der TV-Serienwelt in den Backstage-Bereich des Broadway. Das klappt ausgezeichnet und gibt Anlass für viele Bühnen-Gags. Es darf weiterhin viel und unbeschwert gelacht werden. Denn moralinsauer ist das alles glücklicherweise dennoch nicht. Das hat sich auch Regisseur Ulrich Wiggers offenbar zu Herzen genommen, der den Unterhaltungsfaktor, Gradmesser eines jeden Musicals, nicht zu kurz kommen lässt.

Die Musik von David Yazbek, vom Bruckner Orchester Linz unter der Leitung von Juheon Han schwungvoll dargeboten, kann kaum mit markanten Melodien aufwarten. Ohrwürmer, die einen auf dem Nachhauseweg noch beschäftigen könnten, gibt es nicht. Gebrauchsmusik, die gut funktioniert, aber ohne Nachhaltigkeit verhallt.

Gesungen und gespielt wird, wie man es von der exzellenten Musicalsparte des Linzer Landestheaters gewohnt ist, ausgezeichnet. Auch die Choreografie von Kati Heidebrecht ist dem Broadway nicht allzu fern. Gernot Romic ist eine gute Besetzung für die nicht leicht zu bewältigende Rolle der Dorothy Michaels. Er überrascht mit einer glaubwürdigen Altstimme und sieht tatsächlich, wie es im Stück einmal heißt, ein bisschen wie MargaretThatcher aus, versetzt mit einer Prise Mikl-Leitner. Man glaubt es seinem Michael Dorsey, dass er die Chance auskostet, auf der Bühne als Dorothy Michaels endlich seine schauspielerischen Fähigkeiten ausspielen zu können, wird aber auch die Gewissensbisse, die ihn später Sorgen bereiten, als durchaus glaubwürdig einstufen. Schade, dass Michael vom Komponisten etwas stiefväterlich behandelt wird. Sein Bekenntnis  „Grenzenlos“ („Unstoppable“ )verhallt  glanzlos, was aber nicht am Interpreten liegt. Romic wurde vor Beginn als etwas indisponiert angekündigt, was aber kaum zu bemerken war

Einige der besten Nummern des Abends werden aber nicht von Michael gesungen. Das hymnische „Ich leb“ („I’m Alive“) etwa ist seiner Partnerin auf der Bühne, Julie Nichols, anvertraut, in die er sich verliebt und die auch ihn – in seiner Kunstfigur als Dorothy – liebt, obwohl sie nicht lesbisch ist, was zu einigen inneren Konflikten führt. Sanne Mieloos Julie ist eine strahlend glamouröse Erscheinung und dennoch keine unnahbare Diva, sondern in Wahrheit eine anlehnungsbedürftige junge Frau.

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Karsten Kenzel (Jeff Salter) und Gernot Romic (Dorothy Michaels)

Celina dos Santos ist Michaels Exfreundin Sandy. Eine ebenfalls gescheiterte, verzweifelte Schauspielerin, die im Song  „Was passieren wird“ („What’s Gonna Happen“) ihrer Existenzangst packend Ausdruck verleiht. Und der an einer Schreibblockade leidende Dramatiker Jeff, Michaels Mitbewohner (Karsten Kenzel), der seinen Freund kritisch zur Seite steht und ihn zuweilen recht zynisch beurteilt, hat einen großen Auftritt mit seiner kraftvoll präsentierten, vorläufigen Lebensbilanz in „Jeff fast zusammen“ ( „Jeff Sums it Up“). 

Die Nebendarsteller machen ihre Sache gut. Christian Fröhlich ist ein zunächst dümmlich wirkender, hölzerner, dafür aber hübscher Max mit Waschbrettbauch, der später aber durchaus Sympathiepunkte einheimsen kann. Daniela Dett ist eine gewiefte und selbstbewusst auftretende Produzentin Rita, und Enrico Treuse als selbstverliebter, überheblicher Regisseur Ron ein hektisch herumschwirrender, unablässig plappernder, die Umwelt ziemlich nervender Tyrann.

Die Bühne von Leif-Erik Heine ist vielleicht etwas zu sehr aufs Notwendigste reduziert, die Kostüme von Franz Blumauer setzen dafür bunte Akzente. Tootsie, das Musical, ist in Linz nicht das ganz große Musical, aber immerhin ein gutes Musical. Und das wird von Publikum auch mit recht viel Applaus entsprechend gewürdigt.

 

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