
Gernot Romic (Frank Abagnale Jr.) und Ensemble. Alle Fotos: Landesbühne Linz / Barbara Pálffy
LINZ / Musiktheater: Musical CATCH ME IF YOU CAN – Dernière
3. Juni 2023 – zum letzten Mal
Von Manfred A. Schmid
Der 2002 von Steven Spielberg gedrehte Film mit Leonardo DiCaprio und Tom Hanks in den Hauptrollen, der auf der der Autobiographie des erfolgreichen Hochstaplers Abagnale Jr. basiert, war ein Welterfolg. Das 2011 am Broadway uraufgeführte Musical, mit Musik von Marc Shaiman, Texten von Shaiman und Scott Wittman sowie Buch von Terrence McNally. wurde zwar für vier Tony Awards nominiert und mit einem ausgezeichnet – er ging an den Darsteller des FBI-Ermittler Hanratty, der dem jungen Blender beharrlich auf den Fersen bleibt und ihm im Laufe der Jahre so nahekommt, dass sich zwischen beiden eine Art Vater-Sohn-Beziehung entwickelt. Nach gemischten Kritiken wurde es aber schon im September desselben Jahres eingestellt. Trotz einiger Schwächen – bemängelt werden u.a. fehlende dramatische Spannung, zu wenig Entwicklung der Charaktere, Überlänge in der ersten Hälfte, zudem erfahre man nicht, was Frank wirklich angetrieben hat – ist das Musical aber weiterhin auf den Spielplänen in aller Welt zu finden.
Nach der deutschsprachigen Erstaufführung 2013 an den Wiener Kammerspielen kam es im Dezember des Vorjahres zu einer weiteren österreichischen Premiere am Linzer Landestheater. Die Neuproduktion war bis zur letzten Vorstellung, von der hier berichtet wird, erfolgreich und so gut wie immer ausverkauft. Mag sein, dass gerade der Umstand, dass die Figur Franks bis zum Schluss „ungreifbar“ bleibt, das ist, was seine Faszination ausmacht. Mit zum Erfolg trägt gewiss auch die schwungvolle 60er-Jahre-Musik bei, die mit Anleihen bei Hits des Rat Pack (Frank Sinatra, Samy Davis, Dean Martin), zeitgenössischen Girl-Groups, damals hochbeliebten Saloon-Songs und Diva-Balladen bis hin zum Bossa Nova, genau den richtigen Ton trifft. Das Bruckner Orchester Linz unter der Leitung von Juheon Han zeigt ungeahnte Big-Band-Qualitäten und swingt und wippt, dass es eine Freude ist. Echte „Ohrwürmer“ gibt es allerdings nicht. Aber die Musik funktioniert tadellos.

Frank (Gernot Romic) als Arzt, der kein Blut sehen kann, in der Notaufnahme.
Catch Me If You Can, ins Deutsche übersetzt von Werner Sobotka, beginnt am Miami International Airport mit dem abrupten Ende von Frank Abagnale Juniors krimineller Laufbahn als durchaus erfolgreicher und von den Behörden gefürchteter Hochstapler. Als Hanratty ihm Handschellen anlegen will, fragt Frank, ob er den Leuten wenigstens noch erläutern darf, warum er überhaupt verhaftet wird. Als Hanratty widerstrebend zustimmt, wendet sich Frank augenzwinkernd ans Publikum: Er werde seine Geschichte in „einer Show“ erzählen. Was dann folgt, ist ein bunt schillernder Rückblick auf seine spektakuläre Karriere, ganz im Stil einer amerikanischen Fernsehunterhaltungsshow aus den 1960-er Jahren. Ulrich Wiggers, Regisseur der Linzer Produktion, hält sich weitgehend an diese Vorgabe und inszeniert, unterstützt von der Choreographie Jonathan Huors und in der passenden Art-Deco-Bühne von Leif Erik Heine, eine flotte Revue im Zeitgeist jener Ära. Durchaus aber auch mit entsprechenden kreativen Abweichungen und Freiheiten.
Inmitten von tanzenden Chormädchen im Mondrian-Look, wie er 1965 von Yves St. Laurent erstmals präsentiert worden war (Kostüme von Franz Blumauer), beginnt Frank mit der fetzigen Nummer „Live und ganz in Farbe“ sein Leben auszubreiten. Den Anfang macht sein erster, auf Anhieb gelungener Coup als angeblicher Französischlehrer. Dann hebt er ab. So, wie es der wahre Betrüger tatsächlich getan hat: Der wahre Frank Abagnale Jr. hat im Alter zwischen 15 und 22 Jahren mit gefälschten Schecks Schulden in Höhe von 2,5 Millionen Dollar angehäuft. Während dieser Zeit nahm er acht verschiedene Identitäten an und gab sich als Pilot der Fluggesellschaft Pan Am, als Anwalt und als Kinderarzt aus. Er habe das alles nur gemacht, um ein luxuriöses Leben ohne Arbeit führen zu können. Vor allem aber der Frauen wegen. Áuch die Art, wie die gesellschaftliche Rolle der Frauen in diesem Musical geschildert wird, ist typisch für die Zeit der 60-er Jahre. Zu sehen sind Stewardessen, die von Piloten träumen, Krankenschwestern, die von Ärzten schwärmen, und Ehefrauen, die sich aufopfernd um Haus und Kinder kümmern, oder, wie Franks muntere Mutter, sich vom gemeinsamen Herd und Bett rechtzeitig vertschüssen.
Übrigens: Alles, was er für seine Hochstaplerei braucht, hat sich der wahre Frank in Fernsehfilmen und Soap-Operas abgeschaut. Er wurde wegen seiner Verbrechen in zwölf Ländern auf fünf Kontinenten gesucht und kam ins Gefängnis. Nach sieben Jahren vorzeitig aus der Haft entlassen, gründete er eine Sicherheitsfirma und wurde Berater des FBI in Betrugsfällen.
Gernot Romic ist ein überzeugender, höflicher, findiger und sympathischer Frank, der mit schelmischem Charme ans Werk geht und das Publikum verschwörerisch in seine Betrügereien miteinbezieht und dieses, wenn er an seinen nächsten Coop herangeht, stets an seiner Seite zu haben vermeint. Man nimmt es ihm gerne ab, dass er in seine verbrecherische Karriere einfach so hineingerutscht ist. Zum Teil auch, weil er seinem Vater, Frank Abagnale Sr., einem zwielichtigen Unternehmer, finanziell helfen will, als dieser ins Visier der Finanzbehörden gerät und vor dem Ruin steht. Nicolas Tenerani als Vater gesteht bis zu Schluss sein Scheitern nicht ein, sondern schwurbelt von zu setzenden Aktionen, die ihn demnächst rehabilitieren würden, auch wenn er in Wahrheit längst nur noch als vereinsamte Trinker in einer Bar dahinvegetiert. Zum endgültigen Auslöser für eine Existenz, die er fortan nur noch durch Betrügereien finanziert, wird für Frank Jr. aber die Trennung seiner Eltern. Erst als er sich in die Krankenschwester Brenda Strong verliebt (in ihrer Naivität und Herzlichkeit berührend Celina dos Santos), besinnt er sich und will ein anständiges Leben führen und eine Familie gründen. Um das tun zu können, erwartet er von Hanratty, den er inzwischen persönlich kennengelernt hat und mit dem er manchmal telefoniert, um ihm z.B. Frohe Weihnachten zu wünschen, die Verfolgung einfach aufzugeben. Dass das nicht geht, macht dieser ihm klar, als am Schluss wieder die Szene mit seiner Gefangennahme am Flughafen von Miami wiederholt wird. Zuerst müsse er seine Schuld abbüßen, dann könne er an der Seite von Recht und Ordnung arbeiten.

Daniela Dett (Paula Abagnale) und Karsten Kenzel (Carl Hanratty) beim Verhör im Stil eines Bossa Nova.
Carl Hanratty, Frank Jr.s hartnäckiger Erzfeind, ist mit Karsten Kenzel bestens besetzt. Er ist der nerdige, einsame, arbeitssüchtige FBI-Agent, der Frank unbeirrt, beharrlich und zuweilen auch recht tollpatschig auf der Spur ist. Dass zwischen beiden eine starke emotionale Beziehung entsteht, ist unbestritten. Beide singen mit der entspannten Leichtigkeit, die zum Groove der Musik passt. Unterstützt wird Hanratty bei seinen Ermittlungen von einem schrägen Agenten-Trio, bestehend aus den FBI-Agenten Cod (Lukas Sandmann), Branton (Christian Fröhlich) und Dollar (Joel Parnis), die für komische Situationen en suite sorgen.
Daniela Dett als Franks Mutter Paula ist eine aparte, mit französischem Akzent sprechende Frau, der das eigene Glück an der Seite eines anderen Mannes wichtiger ist als die Eskapaden ihres Sohnes. Ungemein komisch erweist sich der Besuch Franks im Haus der Familie Strong, als Brenda ihn ihren Eltern vorstellen will. Sanne Mieloo glänzt als in Alkohollaune beschwingte, der Realität ausweichende Mutter Carol. Auch Thomas Höfner als angesehener Jurist Roger Strong zieht, als er Frank einschätzen will, ziemlich irreale Schlüsse, was freilich auch in Franks Fähigkeit gründen dürfte, phantastische, fragwürdige Angaben höchst plausibel darzustellen. Ihre Tochter Brenda berührt gegen Schluss mit ihrem an Aretha Franklin erinnernden Bekenntnis „Flieg, flieg, flieg“.
Das hochgeschätzte Ensemble der Musicalsparte des Linzer Landestheaters beweist wieder einmal, dass es in der Lage ist, mit Engagement und großem Können auch eine nicht perfekte Vorlage so mit Leben zu erfüllen, dass das Publikum begeistert und dankbar reagiert. Wie schon die Premiere wird auch die Dernière von Catch Me If You Can mit Standing Ovation quittiert. Es ist tatsächlich gelungen, das Publikum einzufangen und zu fesseln: Bravissimo!