Kayla May Corbin und Ensemble. Foto: Dieter Wuschanski/Landestheater
Linz: „MARIE ANTOINETTE“ – Uraufführung am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 30. 03.2019
Tanzstück von Mei Hong Lin, Musik von Walter Haupt
Die Geschichte der jüngsten Tochter Maria Theresias ist hinlänglich bekannt, auch mit den Verzerrungen im Umkreis der Französischen Revolution („Brot/Kuchen“), und natürlich ihrem schauerlichen Ende in nämlicher. Hat es sich schon abgezeichnet, als Maria Antonia Josepha Johanna von Habsburg und Lothringen am Tag nach dem großen Erdbeben von Lissabon geboren wurde, das in ganz Europa seismisch wie theologisch-philosophisch zu spüren war? Nicht, daß wir zur Esoterik neigen, aber nach alter Omenlehre war das schon ein recht ungünstiges Vorzeichen…
Dirigent Marc Reibel und Komponist Walter Haupt bei der Premierenfeier. Foto: Petra und Helmut Huber
Walter Haupt, Jahrgang 1935, hat zusammen mit Carl Orff 1978 für München die erste „Klangwolke“, die seither auch in Linz heimisch wurde, geschaffen. Er hat nicht nur eine größere Zahl an Opern, sondern auch vieles für das Tanztheater, namentlich auch für Johann Kresnik, komponiert. Das heutige Auftragsstück für Linz hat er in enger Zusammenarbeit mit der Choreographin verfaßt und sich seiner reichen Erfahrung in verschiedensten Kompositionstechniken bedient – seriell, tonal, atonal, clusters, in die Handlung passende Zitate, alle möglichen auch von der Norm abweichenden Spielweisen der Instrumente des umfassend ausgestatteten Orchesters: wir zählten 72 Sessel im Graben, wovon 7 auf ein sehr umfangreiches Schlaginstrumentarium entfallen (insgesamt 56 Teile, allein 6 Pauken), dazu Klavier und Celesta. Haupt beschreibt seine Arbeit im Programmheft ausführlich.
Herausgekommen ist eine, trotz ihrer dramaturgisch punktgenau motivierten Ecken und Kanten, ausgesprochen zugängliche, dramatisch das Bühnengeschehen unterstreichende Musik; sie packt mit den ersten Klängen und zieht einen in die Welt dieses Stückes hinein. Es steckt genug an Ideen und Spannung drin, um die Musik auch ohne Bühne interessant zu machen, würden wir meinen – absolute Musik zu schreiben, war auch erklärtermaßen die Intention Haupts. Der Gesamteindruck ist jedenfalls ähnlich dicht und spannend wie bei der Musik von Zemlinsky und Schreker der Tanzproduktion Zwerg/Meerjungfrau 2016, nur mit heutigen Kompositionsmitteln.
Marc Reibel hat am Dirgentenpult (und in der sicher minutiösen Vorbereitung) das Bruckner Orchester zu einer vollkommenen Umsetzung dieser Erstaufführung geleitet. Die Präzision gerade bei den Perkussionseffekten oder bei Unisono-Stellen, beispielsweise von Celesta und Vibraphon, ist absolut; aber auch die konventionell wie mitunter unorthodox gespielten Streicher und Bläser setzen die mit gewaltigen Schwierigkeiten gespickte Partitur mit Verve und künstlerischer Überzeugungskraft um.
Die Handlung ist eine konventionelle Erzählung der Biographie der Titelfigur (Dramaturgie Katharina John). Zwar setzt sie, die Ouverture mit zunächst geschlossenem Vorhang, knapp vor dem Ende ein, als Marie-Antoinette, gefangen in den Auswirkungen der Halsbandaffäre und dem Glanz und den Spiegelungen des Pariser Hofes, in den Fokus des revolutionären Volkes gerät. Aber dann blendet man zurück auf die erste Begegnung des Dauphin mit der 14-jährigen Habsburgertochter, beide in strikte höfische Staffage gezwängt (und umspielt von Rokokoklängen). Das Treiben am Versailler Hof findet unter dem stets übermächtigen Blick des Sonnenkönigs statt. Der Bühnenraum ist mit einer goldgetönten netzartigen Struktur umgrenzt. Dieser goldene Käfig wird mit Versatzstücken in verschiedene Räume verwandelt; Lichteffekte verdeutlichen die Szenerie weiter. Mitunter fällt diamanten glitzernder Niederschlag, der auch Kälte ausstrahlen kann. Als sich die Königin mit Graf von Fersen einläßt, keimt in einem winterlichen Wald Grün auf. Hier erlebt sie ihre Erfüllung, will uns auch der Komponist sagen, indem er kurz das Walhall-Motiv aus dem „Rheingold“ anklingen läßt. Am bösen Ende wird sie vom eingangs schon gesehenen Glitzerkokon eingeholt.
Mei Hong Lin in der Mitte, vorne Statisterie (bei der Premierenfeier). Foto: Petra und Helmut Huber
Mei Hong Lin vergißt natürlich nicht auf detaillierte Darstellung der Seelenwelten – z. B. die Schwierigkeiten mit dem Ehegatten, der die für eine Dynastie so essentiellen „ehelichen Pflichten“ förmlich fürchtet; was wiederum zu Ängsten bei seiner nicht und nicht schwangeren Gattin führt, die sich von bedrohlichen Säuglingsgestalten umringt wähnt. Das Eingreifen ihres Bruders, Joseph II., um die Situation zu beruhigen, ist ebenso ein wichtiges Element wie die Rechtfertigungsversuche der Kirche im Angesicht der immer wilder wütenden Revolution. Aber: wenigstens jetzt sind Marie Antoinette und Louis ein echtes, tief verbundenes Paar geworden.
Bühne und Kostüme hat Dirk Hofacker entworfen (unterstützt von der Beleuchtung Johann Hofbauers). Die Kostüme entsprechen durchaus der Handlungszeit, aber natürlich sieht man auch den Bedürfnissen des Tanztheaters und der Charakterisierung von Rollen dienliche Abstraktionen und Zuspitzungen – insgesamt ein auch auf dieser Ebene sehr stimmiges Bild. Das revolutionäre Volk, dargestellt durch die begeisterte Statisterie, ist in Kostüme gekleidet, die einer naturalistischen „Misérables“-Inszenierung gut anstehen würden, wären da nicht, durchaus augenzwinkernd, ein paar Gelbwesten hineingeraten. Wir schreiben 2019.
Valerio Iurato, Kayla May Corbin. Foto: Dieter Wuschanski/Landestheater
Die Titelrolle ist auf vier Tänzerinnen verteilt: als Kind (Julia Bader), als junge Prinzessin, die politisch nach Frankreich verschachert wird: Núria Giménez Villarroya, als Königin Kayla May Corbin und schließlich in Niedergang und Revolution Andressa Miyazato; jede Darstellung für sich eine Perle, intensiv, mitreißend, bewegend. Ebenso viergeteilt Louis: zunächst Maxim Jurik, dann ein (außerhalb des ehelichen Schlafgemaches) unbekümmerter Edward Nunes, als junger König Valerio Iurato, zum Ende hin Jonatan Salgado Romero, der – zu spät – zu Autorität und Würde gefunden hat.
Hans Axel Graf von Fersen (Yu-Teng Huang) hat einen kurzen, intensiven Auftritt gleich nach der Pause; Joseph II. (Hodei Iriarte Kaperotxipi) tanzt tatsächlich auch diplomatisch elegant. Seelisch zutiefst involviert Tura Gómez Coll als Prinzessin von Lamballe, Vertraute Marie Antoinettes. Louis de Rohan, Kardinal Fürstbischof von Straßburg, Andrea Schuler: eindrucksvoll als Bühnenfigur wie als Lateinrezitator.
Núria Giménez Villarroya, Edward Nunes. Foto: Dieter Wuschanski/Landestheater
Einige der Vorgenannten übernehmen auch weitere Rollen. Die anderen am Hof von Versailles: Lara Bonnel Almonem, Julie Endo, Urko Fernandez Marzana, Mireia González Fernández, Rutsuki Kanazawa, Filip Löbl, Edward Nunes, Pavel Povrazník, Alessia Rizzi, Lorenzo Ruta und Kasija Vrbanac. Kinderrollen wurden von der OÖ Tanzakademie besetzt, unter der Leitung von Ilja van den Bosch.
Große und einhellige Begeisterung des Publikums für einen in allen Aspekten prachtvollen Abend; diese galt auch dem Komponisten, der mit seiner kompromißlos heutigen Musik das Publikum dieser Uraufführung im Sturm genommen hat.
Petra und Helmut Huber