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LINZ / Musiktheater: LA FORZA DEL DESTINO

Konwitschnys Kurzversion - ein einmaliges Ereignis

17.02.2023 | Oper in Österreich
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Manuela Leonhartsberger (Preziosilla) und Chor. Alle Fotos:  Oper Linz / Reinhard Winkler

LINZ / Musiktheater: LA FORZA DEL DESTINO

16. Feber 2023 (Premiere 21. Jänner 2o23)

Von Manfred A. Schmid

In einer musikdramatischen Notlage ist Linz, schon wegen der guten Erreichbarkeit per Zug, immer eine überlegenswerte Alternative. Wenn in Wien, wie im Vorjahr, in der Karwoche erstmals seit langem kein Parsifal angeboten wird: Auf nach Linz, wo eine respektable Aufführung von Wagners Bühnenweihfestspiels zu erleben ist. Und wenn an der Staatsoper, nach drei Jahren Corona, wieder „Alles Walzer“ als Parole für eine rauschende Ballnacht erklingt, kann der Opernliebhaber den Linzer Spielplan zur Hand nehmen und wird auf ein Werk stoßen, dass in Wien 2012, also vor  elf Jahren (!), zum letzten Mal zu sehen war, was allerdings vor allem der klotzigen, freiluftbühnentauglichen, mehr als steinbruchwürdigen Inszenierung David Pountneys aus dem Jahr 2008 geschuldet ist: Nichts wie hin.

Peter Konwitschnys Inszenierung von Giuseppe Verdis Oper La forza del destino hat bei der Premiere Ende Jänner Begeisterung ausgelöst und wurde in den internationalen Medien durchwegs gelobt und gefeiert. Was hat der Altmeister, der an großen deutschen Bühnen, aber auch in Graz erfolgreich tätig war, an der Wiener Staatsoper bisher aber nur für die nicht französische Fassung von Don Carlos verantwortlich gezeichnet hat, im Linzer Musiktheater angestellt, dass es Lobeshymnen nur so hagelte? – Er hat es gewagt, Verdis Oper von der gewohnten – gefürchteten – Länge von drei Stunden auf rund die Hälfte zu kürzen. Darf man das denn überhaupt? – Peter Konwitschny darf. Weil er es kann! Er befreit die verworrene, in zahlreichen Nebenschauplätze mäandernde Handlung von allem Ballast, konzentriert sich auf die fatal endende Dreiecksgeschichte: Leonora, Tochter des spanischen Marchese von Calatrava, liebt Don Alvaro, einen Mestizen mit peruanischen Wurzeln, der den die Verbindung nicht billigenden Vater seiner Braut bei einem Streit versehentlich erschießt, was dann deren Bruder Don Carlo di Vargas auf den Plan ruft, der letztendlich die Familienehre rettet, indem er, selbst beim Duell mit seinem Widersacher tödlich getroffen, Leonora erschießt. Don Alvaro bleibt übrig. Damit wird der veristische Kern der Handlung eindeutig und nachvollziehbar in den Mittelpunkt gestellt. Dennoch wird der historische Hintergrund der Tragödie, ein brutaler, blutiger Krieg, nicht ausgespart, sondern bricht immer wieder – vor allem in den Auftritten des exzellenten Chores, der den Krieg euphorisch hochleben lässt oder beklagt, aber auch mit dem Einsatz von Trommelwirbeln und grellen Blitzen (auch im Zuschauerraum) – in den Ablauf der Handlung ein. Eine Marketenderin bietet den Soldaten ihre Dienste an und wirbt um Neuzugänge, Mönche, bei denen Leonora Zuflucht gefunden hat, rufen verzweifelt ihren Gott um Hilfe an. Und ein grimmiger, unheimlich geschminkter Chor begleitet die das Zigeunermädchen Preziosilla (eindrucksvoll und mitreißend Manuela Leonhartsberger) beim Singen des die Kriegslust anheizenden Lieds  „Ratataplan, ratataplan“

Von Konwitschny – unterstützt von Anna Beck – stammt auch die Bühne, die sich dreht und dreht und dennoch immer nur den Blick auf das gleiche Zimmer mit hohen, festungsähnlichen, hohen Mauern und drei Türen eröffnet: Die dort verkehrenden Personen sind Gefangene. Gefangene in ihren Gewohnheiten, Konventionen, in den ihnen auferlegten Rollen. Sie hinterfragen nichts, sondern verharren in ihren Verhaltensmustern, was letztendlich zur Katastrophe führt. Es ist nicht das Schicksal, das hier unerbittlich am Werk ist, sondern ihre Konditionierung: die Macht der Gewohnheit. Die Frage, wie war das mit dem verhängnisvollen Schuss, der von Konwitschny zeitlupenförmig zelebriert wird und alles Folgende ausgelöst hat? Sie wird nicht gestellt und alles nimmt seinen fatalen Lauf.

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Sung-Kyu Park (Don Alvaro) und Adam King (Don Carlo di Vargas)

In der Uraufführungsversion springt der lebensüberdrüssige Don Alvaro am Schluss. angesichts des Todes von Leonora und Don Carlo, in den Abgrund. Das wurde von Verdi und seinen Librettisten abgeändert. Die Mönche trösten ihn und er lebt, gestärkt vom Vertrauen in Gottes Gnade, weiter. Konwitschny verwendet in seiner geschickt erarbeiteten Linzer Fassung einen Chor der Mönche und stellt ihn, als große Bitte um Frieden, in den alle – auch Leonora und Carlo – einstimmen, an den Schluss. Gerade in Zeiten, wo das Publikum erneut von einem nicht weit abgelegenen Kriegsgeschehen aufgewühlt ist, wirkt das besonders effektvoll und berührend. Dennoch geht das bei Konwitschny, der viel von Brechts Epischem Theater gelernt hat, nicht ohne Augenzwinkern ab und erinnert etwas an das doppelbödige Happy End in der Dreigroschenoper.

Musikalisch klappt vieles ausgezeichnet. Enrico Calesso am Pult des Bruckner Orchesters Linz, das diesmal nicht tief im Graben, sondern etwas angehoben sitzt und musiziert, ist ein umsichtiger musikalischer Leiter, der schon die Ouvertüre mit leidenschaftlichem Elan zum Klingen bringt und das Geschehen auf der Bühne fein organisiert.

Michael Wagner als Marchese von Calatrava hat einen kurzen, aber nachhaltigen Auftritt als strenger, in seinen Ansichten und Vorurteilen unbeugsamer Vater. Petar Naydenov, ebenfalls ein durchschlagskräftiger Bass, der als Pater Guardiano der Leonora Asyl gewährt, darf hingegen Herz zeigen und warme, beruhigende Töne verströmen lassen.

Mit Carina Tybjerg Madsen, die im Herbst als neues Ensemblemitglied in der Titelrolle bei der Premiere von Gräfin Mariza debütierte, kommt diesmal als Zweitbesetzung zum Zug. Ihr heller, frischer Sopran passt gut zu Leonora, einer jungen Frau, die bis zum Schluss verunsichert ist durch die Tragödie, die ihre Liebe zu einem ihrem Vater nicht genehmen Mann ausgelöst hat.

Sung-Kyu Park, der bei der Premiere ob seines strahlenden Tenors gelobt wurde, kann diesmal nicht ganz überzeugen. Seinem Don Alvaro fehlt es gerade an der Strahlkraft, er klingt von Anfang an eher bedrückt und verhalten. Gerade aber als hals über kopf Verliebter, der mit seiner Holden durchbrennen will, müsste er mehr Willenskraft an den Tag legen. So aber scheint es, als ob der das kommende Unheil schon immer heraufkommen spüren würde.

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Ensemble mit Dirigent Enrico Calesso

Geradlinig und entschlossen geht der Bariton Adam Kim als Rächer ans Werk und ist auch stimmlich überzeugend. Sein Don Carlo di Vargas ist ein sturer, engstirniger Sohn, der ganz seinem Vater nachkommt und für die Rettung der Familienehre auch die ewig geschworene Freundschaft mit Don Alvaro, die sich gegenseitig das Leben gerettet hatten, ohne zu wissen, mit wem sie es in Wahrheit zu tun hatten, dem Verrat preisgibt. Die von Konwitschny in seiner Inszenierung immer wieder aufgeworfene nicht gestellte Frage besiegelt auch sein unrühmliches Ende, in das er seine Schwester mit hineinreißt. Ihre Ermordung ist seine letzte Tat, weil er überzeugt ist, dass sie seinen Vater gemeinsam mit Don Alvaro absichtsvoll getötet hat.

Zu erwähnen sind noch Vaida Raginskyte als Leonoras Zofe Curra, Tomaz Kovacic als Militärarzt und der Klarinettist Franz-Josef Labmayr als musizierender Odachloser, der mit seinen melancholischen Klängen die Einsamkeit beschwört.

Herzlicher Applaus im gut ausgelasteten Musiktheater am Volksgarten. Überzeugen Sie sich demnächst selbst über dieses ungewöhnliche Angebot. Konwitschnys Inszenierung regt jedenfalls zum Nachdenken an. Ist einmalig und sollte auch einmalig bleiben. Es ihm nachzumachen, hieße nur, vor einer großen Herausforderung – und die stellt diese dramaturgisch und logisch ziemlich problematische Oper gewiss dar – davonzulaufen. Aber gerade diese Herausforderung könnte zu besonders kreativen Lösungen führen. Daher freue ich mich schon darauf, Verdis La forza del destino bald wieder einmal in fast voller Länge (kleine Striche gibt es zu Recht auch in vielen anderen Opern) erleben zu können. Die an der Staatoper dahinsiechende La forza del destino wäre gewiss ein würdiger Kandidat für eine Neuinszenierung gewesen, Herr Direktor Roscic. Vielleicht kommt sie ja doch noch. Irgendwann.

 

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